Rz. 209

Die Bedürftigkeit und das Nachrangprinzip[111] beherrschen die Voraussetzungen für das Entstehen und Bestehen des Leistungsanspruchs des Hilfesuchenden im SGB II und SGB XII. Das normative Grundsatzprogramm der "Sozialhilfe" heißt "Selbsthilfe vor Hilfe der Solidargemeinschaft" (§ 2 SGB XII, §§ 2, 3 Abs. 3 SGB II) und "Eigene Mittel und Mittel Dritter vor staatlicher Hilfe".[112]

 

Rz. 210

Das Nachrangprinzip findet sich in §§ 1, 2 und 19 SGB XII sowie in §§ 1 und 9 SGB II jeweils in Verbindung mit den besonderen Leistungsansprüchen beschrieben.[113] Einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen hat nur derjenige, der bedürftig ist, sich nicht selbst helfen kann und eigene Mittel (Einkommen und oder Vermögen) oder die Mittel Dritter nicht bedarfsdeckend einsetzen muss.

 

Rz. 211

Eigene Mittel sind grundsätzlich bedarfsdeckend einzusetzen, wenn sie

nicht ausdrücklich "normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden dürfen",[114]
zur Bedarfsdeckung geeignet sind und
aktuell oder in absehbarer Zeit ("bereite" Mittel)
zur freien Verfügung stehen.

Dann wirken sie im sozialhilferechtlichen Leistungsverhältnis rechtshindernd. Fließen sie während des Leistungsbezuges zu, wirken sie ganz oder teilweise rechtsvernichtend.

 

Rz. 212

Eigene Mittel sind Einkommen und Vermögen. Beide Leistungssysteme definieren die Begriffe aber anders:

SGB XII: Einkommen = §§ 82 ff. SGB XII; Vermögen = § 90 SGB XII
SGB II: Einkommen = §§ 11 ff. SGB II; Vermögen = § 12 SGB II
 

Rz. 213

Die Methode der Anrechnung erfolgt einheitlich über die Anrechnung auf den Bedarf (Bedarfsdeckungsprinzip), aber mit unterschiedlichen Regeln zu Schontatbeständen. Daraus ergibt sich auch ein unterschiedliches Instrumentarium des "Sozialhilfe"-Regresses, mit dem sozialhilferechtliche Leistungsstörungsfälle repariert werden.

 

Rz. 214

Da die Regeln des Nachrangs und des "Sozialhilfe"-Regresses nicht einheitlich sind, kommt es hier ganz besonders darauf an, sicher bei der Gestaltung von Schenkung und Erbfall bei bedürftigen Menschen zu navigieren und "normative Schutzschirme" für Erbfall und Schenkung auszuloten. Dazu nachfolgend § 3, § 5 und § 6, ergänzt um § 4 betreffend die gehobene Sozialhilfe für Fälle aus dem sozialen Entschädigungsrecht.

[111] Vgl. dazu allgemein Berlit/Conradis, Existenzsicherungsrecht, Teil I, Kapitel 11.
[112] Vgl. zur historischen Entwicklung: Föcking, Fürsorge im Wirtschaftsboom, 2006; Doering-Striening, Vom BSHG zum SGB XII, VSSR 2009, 93 ff.
[113] Z.B. § 19 Abs. 1 SGB XII – Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 2740 SGB XII), § 19 Abs. 2 SGB XII – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41, 43 SGB XII), § 19 Abs. 3 SGB XII – besondere Hilfen (§§ 4774 SGB XII).
[114] Vgl. zum Einkommensschutz mit dieser Terminologie BSG v. 28.2.2013 – Az.: B 8 SO 1/12 R, NVwZ-RR 2013, 723 Rn 22; BSG v. 23.4.2013 – Az.: B 8 SO 8/12 R, SozR 4–3500 § 87 Nr. 1 Rn 21.

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