Rz. 1

Das neue Stiftungszivilrecht ist "endlich" da[1] – oder ist das etwa gar kein Grund zur Freude?[2] Wie wir sehen werden, gehen die Meinungen dazu weit auseinander.

Wie kam es zum neuen Recht? Auf Bitten der Konferenz der Innenminister wurde Ende 2014 eine Bund-Länder Arbeitsgruppe eingesetzt, die das bisherige Stiftungsrecht auf weitere Möglichkeiten der Vereinheitlichung, Vereinfachung und Zusammenführung überprüfen sollte.[3] Am 24.6.2021 beschloss dann schließlich der Bundestag in einer "Nacht-Aktion" die lange und kontrovers diskutierte Stiftungsrechtsreform, indem er den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts verabschiedete.[4]

Damit ist ein "Gesetz von Beamten für Beamte" verabschiedet worden.[5] Da bei der Gesetzesentstehung Stiftungspraktiker sowohl aus den Stiftungen selbst als auch aus der Beraterschaft wenig bis gar nicht eingebunden worden sind, ist das Ergebnis, so wie es Burgard pointiert formuliert hat,[6] wenig überraschend. Es wird uns in der Praxis vor zahlreiche Aufgaben stellen.

Das neue Recht wird erst "demnächst", nämlich zum 1.7.2023 in Kraft treten. Diese Vorbereitungszeit werden wir alle im Stiftungsrecht Tätigen, seien es die Gesetzgeber in den Bundesländern, die Mitarbeiter in Behörden, die Rechtswissenschaft oder eben wir Berater mit Sicherheit benötigen. Das ist uns beim Abfassen dieses kleinen Buches noch einmal ganz besonders klar geworden.

 

Rz. 2

Mit dem neuen Stiftungsrecht, das über einen so langen Zeitraum erarbeitet worden ist, werden wir Stiftungspraktiker und Stiftungswissenschaftler vor zahlreiche neue Fragen und Probleme gestellt. Da ist ein genauer Blick auf das neue Recht zu richten, um es richtig zu verstehen. Hüttemann/Rawert beklagen etwa die "Umständlichkeit und Kleinteiligkeit" im neuen Stiftungsrecht.[7] Wenn man ein neues Gesetz, wie eben das neue Stiftungsrecht verstehen will, um es anwenden zu können, ist man gut beraten, auch auf die Hintergründe und die Entstehungsgeschichte zu schauen. Dazu verweisen wir auf die zahlreichen Fachaufsätze im Literaturverzeichnis, die die Stiftungsreform überwiegend kritisch begleitet haben. Auch auf www.stiftungsrecht-plus.de findet sich leicht zugänglich Verschiedenes zu der Reform.

 

Rz. 3

Mit dem genauen Blick auf das neue Stiftungsrecht kann man aus unserer Sicht nicht früh genug anfangen, denn es werden fortlaufend neue Stiftungen in der Beratung nachgefragt und errichtet. Da können wir nicht abwarten, bis das neue Stiftungsrecht in den juristischen Großkommentaren erörtert und erläutert wird. Die Praxis braucht jetzt einen möglichst genauen ersten kommentierenden Blick auf die neuen gesetzlichen Regelungen.

Nicht nur bei der Neugründung von Stiftungen, sondern auch bei der Prüfung der etwaigen Notwendigkeit der Änderung bestehender Stiftungssatzungen im Einzelfall wird es unausweichlich einen erhöhten Abstimmungsbedarf mit den Stiftungsbehörden geben,[8] insbesondere weil eine Änderung ggf. noch nach bestehendem Landesstiftungsrecht erfolgen muss,[9] aber eben bereits mit Blick auf das neue Stiftungsrecht. Was das für die Zusammenarbeit mit den Stiftungsbehörden bedeutet, die bereits jetzt schon oftmals an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit arbeiten, haben uns in letzter Zeit "Schiebebriefe" von Seiten der Behörden verdeutlicht, die wir vermehrt erhalten. Die Personaldecke ist auch hier äußerst dünn. Es bleibt für die Zukunft des Stiftungswesens deshalb zu hoffen, dass die Mitarbeiterzahl bei den Behörden aufgestockt wird. Angesichts der vielfältigen traditionellen und zusätzlichen aktuellen Aufgaben auf allen Ebenen des Staates ist da unsere Hoffnung allerdings nicht sehr groß.

Es wird mithin einiges an Aufwand auf die Beraterzunft zukommen. Dabei kommt ggf. erschwerend hinzu, dass auch das Gemeinnützigkeitsrecht nicht unerheblich geändert worden ist.[10] Und bekanntlich sind über 90% aller Stiftungen gemeinnützig.

 

Rz. 4

Mit dem genaueren Blick, auch wenn er jetzt ersichtlich noch nicht "gut abgehangen" sein und noch nicht in alle Einzelheiten gehen kann, wollen wir hier mutig anfangen, und zwar ausgehend auch von der umfangreichen Diskussion, die es zu dem neuen Stiftungsrecht gegeben hat. Bei dieser Diskussion finden wir es bemerkenswert, mit wie viel Emotionen manche um das neue Stiftungsrecht gestritten haben. So hat etwa Winkler, ehemals bei der Stiftungsverwaltung Sachsen-Anhalt tätig, auf einer Fachveranstaltung das bisherige Stiftungsrecht im BGB als "grottenschlecht" abgetan.[11] Mit dieser Ansicht dürfte er trotz der allgemein anerkannten Reformbedürftigkeit des bisherigen Stiftungsrechts[12] doch ziemlich alleine stehen. Wohl auch angesichts der erfolgten "Evolution" und ausgebliebenen "Revolution" des Stiftungsrechts,[13] hat er sich jüngst auch moderater ausgedrückt.[14] Im Ton vergriffen hat sich Winkler mit seiner Kritik dennoch. Der Jurist lernt nicht ohne Grund, hart in der Sache, aber moderat im Ton mit Argumenten für seine Meinung zu streiten ("suaviter in modo fortite...

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