Rz. 7

Ein wesentliches Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses stellt es damit nach wie vor dar, wenn der die Dienstleistung Erbringende engen Weisungen hinsichtlich Inhalt, konkreter Durchführung, Zeit und Ort unterliegt (§ 611a Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB). Während es für einen Selbstständigen prägend ist, dass er im Grundsatz (selbstverständlich ebenfalls unter Berücksichtigung der Wünsche seiner Dienstgeber) selbst darüber entscheiden kann, wann, wo und wie genau er seine Leistung erbringt, unterliegt der Arbeitnehmer insoweit einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers, der diese Fragen durch Ausübung seines Direktionsrechts beantworten kann und darf. Ein gewisses Maß an Weisungsabhängigkeit ist zwar auch dem freien Dienstvertrag und im Übrigen auch dem Werkvertrag, dem Auftrag oder dem Geschäftsbesorgungsvertrag nicht fremd (vgl. §§ 645 Abs. 1, 665, 675 BGB). Der Arbeitnehmer unterliegt insoweit jedoch engeren Grenzen; seine Gestaltungsspielräume hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Leistung sind typischerweise sehr begrenzt.[12]

 

Rz. 8

Festzustellen ist allerdings, dass ein Abstellen auf den Grad des Bestehens von Weisungsrechten nicht immer zu klaren Ergebnissen führt: So ist z.B. auch eine selbstständige Reinigungskraft, die mit der Reinigung von Büroräumlichkeiten beauftragt ist, weder in der Gestaltung des Inhalts der Leistung noch in der Wahl des Orts oder des Zeitpunkts der Leistungserbringung frei: Die inhaltlich im Kern vorgegebene Reinigungsleistung ist naturgemäß in den Büroräumlichkeiten zu erbringen und wird in aller Regel nur zu einem Zeitpunkt sinnvoll erbringbar sein, in dem der übliche Geschäftsbetrieb des Büros ruht, so dass u.U. auch enge faktische Vorgaben zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bestehen.

 

Rz. 9

Betrachtet man die Abgrenzungsfrage aus der Perspektive des Arbeitsrechts, so führen andererseits gerade aktuelle Entwicklungen[13] dazu, dass das Direktionsrecht des Arbeitgebers in manchen Bereichen zunehmend in den Hintergrund tritt: So bestehen z.B. in der IT- oder Teilen der Dienstleistungsbranche teils sehr "offene" Arbeitszeitregelungen, die die Bestimmung der Lage der Arbeitszeit teils recht weitreichend in die Hände der Arbeitnehmer legen und diesen durchaus erhebliche Spielräume einräumen. Gleichsam ist hier häufig auch der Ort der Leistungserbringung nicht von Relevanz, da der Arbeitnehmer seine Arbeit z.B. mittels eines Laptops und einer Internetverbindung theoretisch von jedem Ort der Welt aus erledigen kann und es auch für den Arbeitgeber keine Rolle spielt, wo dies geschieht. Eine Leistungserbringung außerhalb vom Arbeitgeber gestellter Räumlichkeiten ist bisweilen auch seitens der Unternehmen zwecks Reduzierung von Mietkosten durchaus gewünscht und auch Arbeitnehmer greifen diese Idee zunehmend gerne auf, um etwa Reisezeiten zwischen Wohn- und Arbeitsort zu reduzieren oder generell eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen.

 

Rz. 10

Insbesondere in den Fällen "digitaler Arbeitsverhältnisse" soll nach jetzt teilweise vertretener Auffassung dem Wortlaut des § 611a BGB neben einer schlichten Wiedergabe der bisherigen Rechtsprechung durchaus eigenständige Bedeutung zukommen: Dieser soll so zu verstehen sein, dass ein Arbeitsverhältnis dann vorliegt, wenn der Verpflichtete weisungsgebunden oder in anderer Weise fremdbestimmt und damit persönlich abhängig ist.[14] Insoweit bleibt allerdings die weitere Entwicklung, insbesondere der Rechtsprechung der Arbeits- und auch Sozialgerichte abzuwarten.[15]

[12] Schaub/Vogelsang, § 8 Rn 23.
[13] Zu diesen Entwicklungen siehe auch die Ausführungen zur Arbeitsvertragsgestaltung unter "Arbeitsrecht 4.0" in § 4.
[14] ErfK/Preis, § 611a Rn 13.
[15] Zur Abgrenzung in den Fällen des sog. Crowdworking siehe BAG v. 1.12.2020 – 9 AZR 102/20; Waltermann, NJW 2022, 1129 ff.; Thüsing/Hütter-Bruns, NZA-RR 2022, 231 ff.

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