Rz. 23

Die Reformbedürftigkeit des Vormundschaftsrechts wurde schon in den achtziger Jahren thematisiert und diskutiert.[27] Nach dem Tod des 2-jährigen Kevin in Bremen, dessen Amtsvormund mit 240 Fällen überlastet war, im Jahr 2006 gab es zahlreiche Aktivitäten zum Kinderschutz und im Jahr 2011 wurde eine Teilreform mit dem Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft gesetzt.[28] Es folgten weitere Diskussionen in Expertengruppen, in Arbeitsgruppen beim BMJV und in der Wissenschaft.[29]

Der Reformprozess für das Betreuungsrecht[30] begann im engeren Sinne mit zwei Forschungsaufträgen des BMJV in den Jahren 2015 bis 2017 zur "Qualität in der rechtlichen Betreuung"[31] und zur "Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis im Hinblick auf vorgelagerte “andere Hilfen‘".[32] Es wurde u.a. ein Einsparpotential von 5–15 % an Neubetreuungen gesehen.[33]

 

Rz. 24

Es sind drei wesentliche Triebfedern für die Reform auszumachen: Zum Ersten, den auch durch die Zugangsverpflichtung aus Art. 12 Abs. 3 der UN-Behindertenrechtskonvention vom 13.12.2006[34] geförderten Gedanken der Selbstbestimmung im Betreuungsrecht[35] besser umzusetzen, zum Zweiten, die umständliche Verweisungssystematik zwischen Vormundschafts- und Betreuungsrecht mit zum Teil veralteten Regelungsinhalten zu ordnen und die Normen zu modernisieren und zum Dritten, die durch Betreuungen verursachten Kosten zu verringern.

Entsprechendes war schon im Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode festgeschrieben, namentlich sollten der Vorrang sozialrechtlicher Hilfen vor rechtlicher Betreuung, die Qualität der Betreuung sowie Auswahl und Kontrolle von Betreuerinnen und Betreuern, das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ("Unterstützen vor Vertreten") sowie die Finanzierung der Arbeit der Betreuungsvereine in Zusammenarbeit mit den Ländern gestärkt werden.[36] Von dort wurde auch das Ehegattenvertretungsrecht gefordert.[37]

 

Rz. 25

Zusätzlich zu den Forschungsvorhaben wurden beim BMJV Facharbeitsgruppen eingerichtet, die zu folgenden Themen mit Experten und Vertretern von Behindertenorganisationen, Berufs- und Fachverbänden, der Länder u.v.m. diskutierten:[38] "Stärkung des Selbstbestimmungsrechts bei der Betreuerauswahl, der Betreuungsführung und der Aufsicht", "Betreuung als Beruf und die Vergütung des Berufsbetreuers", "Ehrenamt (einschl. Verbesserung der finanziellen Situation der Betreuungsvereine) und Vorsorgevollmacht", "Rechtliche Betreuung und "andere Hilfen" (Schnittstelle zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung)". Zudem gab es Unterarbeitsgruppen zum Datenschutz sowie zu den Rechtspflegern.

Am 21.2.2019 fand mit Betroffenen ein Workshop statt, um deren Perspektive und Wünsche kennenzulernen.[39] Ursprünglich waren wohl zwei Termine geplant. Trotz zu erwartender Schwierigkeiten, denn z.B. wegen Demenz unter Betreuung stehende Menschen werden sich kaum tiefgehend zu betreuungsrechtlichen Fragen äußern können, wurde diese Möglichkeit, Erfahrungen aus der Betroffenenperspektive direkt zu hören, als sehr wertvoll angesehen.

 

Rz. 26

Zu dem Referentenentwurf des BMJV vom 23.6.2020[40] gab es zahlreiche Stellungnahmen, von denen 82 auf der Internetseite des BMJV zum Download stehen.[41] Horn wird zuzustimmen sein, dass von diesen Anregungen allerdings kaum etwas berücksichtigt wurde.[42] Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde am 15.11.2020 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.[43] Es folgten – nach einer öffentlichen Anhörung am 16.12.2020 – eine Beschlussempfehlung und ein Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag dazu, veröffentlicht am 3.3.2021.[44]

Das Gesetz wurde schnell vom Bundeskabinett verabschiedet, nahm seinen Weg durch den Bundestag und Bundesrat, in dem nur noch wenige Änderungen vorgenommen wurden;[45] am 5.3.2021 erfolgte die zweite und dritte Lesung im Bundestag.[46] Am 26.3.2021 wurde es mit der Zustimmung des Bundesrats endgültig verabschiedet.[47] Nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten wurde das Gesetz vom 4.5.2021 am 12.5.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.[48]

 

Rz. 27

In einer Art Reparaturgesetz wurden nach einem Entwurf der Bundesregierung vom 21.3.2022[49] sprachliche Korrekturen sowie – meist kleinere – Änderungen u.a. im FamFG, BGB und BtOG sowie dort und in anderen Gesetzes Korrekturen bei Verweisungen etc. vorgenommen.[50] Im BtOG gab es mehr Veränderungen, z.B. bei den Registrierungsregeln. Zudem wurde in § 34 BtOG festgeschrieben, dass die Beschränkung der Wirkung von Betreuungsbehördenbeglaubigungen auf Lebzeiten des Vollmachtgebers erst für Beglaubigungen ab dem 1.1.2023 gelten soll (dazu § 5 Rdn 16–19). Trotz deutlicher Kritik des Bundesrates wurde diese Regelung nicht mehr weitergehend geändert.[51]

Am 3.3.2022 legte das BMJV zudem den Entwurf einer Verordnung über die Registrierung von beruflichen Betreuern vor, die Betreuerregistrierungsverordnung (BtRegV).[52]

[27] BReg, BT-Drucks 19/24445 (Gesetzentwurf), 119.
[28] BGBl...

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