Rz. 69

Die Abmahnung ist eine ernsthafte arbeitsrechtliche Handlungsoption, die eine Doppelfunktion erfüllt. Sie ist zum einen nach der Rechtsprechung regelmäßig notwendig bevor wirksam eine ordentliche und/oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden kann (siehe Rdn 105 ff.123 ff.), zum anderen aber auch auf die ungestörte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gerichtet. Es ist deshalb von besonderer Bedeutung, sich mit den Grundsätzen der Abmahnung eingehend zu befassen und insbesondere formale Mängel zu vermeiden.

1. Grundsätze

 

Rz. 70

Bei der Abmahnung handelt es sich um eine einseitige Erklärung, die dem anderen Vertragsteil deutlich machen soll, dass ein bestimmtes vertragswidriges Verhalten nicht geduldet wird. Die Abmahnung zielt auf die Herstellung eines zukünftigen vertragsgemäßen Verhaltens ab. Mit der Beanstandung des konkreten Fehlverhaltens des Arbeitnehmers kommt der Abmahnung eine Rügefunktion zu. Jede Abmahnung muss außerdem eine konkrete Androhung enthalten, dass im Wiederholungsfall das Arbeitsverhältnis gekündigt wird.[88] Diese Androhung beinhaltet eine Warnfunktion. Die Abmahnung hat damit einen Doppelcharakter. Sie ist primär bestandsschützend, aber auch Vorstufe zur verhaltensbedingten Kündigung. Hieraus folgt zugleich, dass es sich bei der einmal ausgesprochenen Abmahnung um einen Verzicht auf eine Kündigung handelt. Mit anderen Worten: Ein einmal abgemahnter Vorwurf ist als Kündigungsgrund "verbraucht" und kann erst im Wiederholungsfall kündigungsrechtliche Konsequenzen haben.[89] Allerdings ist eine vorherige Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist.[90] In welchen Fällen dies bei der Internetnutzung der Fall ist, wird weiter unten ausführlich dargestellt (vgl. Rdn 88 ff.).

[88] Küttner/Schmidt, Personalbuch 2021, Abmahnung Rn 1.
[89] Küttner/Schmidt, Personalbuch 2021, Abmahnung Rn 8.
[90] Küttner/Schmidt, Personalbuch 2021, Abmahnung Rn 18.

2. Wirksamkeitsvoraussetzungen

 

Rz. 71

Eine Abmahnung kann grundsätzlich formfrei ausgesprochen werden, also insbesondere auch mündlich.[91] Wegen der strengen inhaltlichen Anforderungen kann jedoch nur dringend empfohlen werden, die Schriftform zur Beweissicherung einzuhalten. Abmahnungsberechtigt sind diejenigen Vorgesetzten, die maßgebliche Weisungsbefugnisse gegenüber dem betroffenen Mitarbeiter haben. Dies muss nicht zwingend der Arbeitgeber selbst (Geschäftsführer, Vorstand) sein. In Betracht kommen alle Personen, denen intern Weisungsbefugnisse eingeräumt wurden, wie beispielsweise Abteilungsleiter oder Personalleiter.[92]

 

Rz. 72

Inhaltlich müssen bei einer Abmahnung zwingend bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Zunächst muss das Fehlverhalten genau nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bezeichnet werden. Damit wird der notwendigen Dokumentationsfunktion der Abmahnung Rechnung getragen. Bloße allgemeine Wertungen sind nicht ausreichend und machen die Abmahnung bereits aus diesem Grunde unwirksam.

 

Rz. 73

 

Praxishinweis

Sind einem Mitarbeiter verschiedene abmahnungswürdige Verfehlungen vorzuhalten, sollten gesonderte Einzelabmahnungen ausgesprochen werden. Denn bei nicht ausreichend konkretisiertem Sachverhalt eines gerügten Fehlverhaltens oder fehlender sachlicher Berechtigung nur eines einzelnen Vorwurfes ist die Abmahnung insgesamt rechtsunwirksam, selbst wenn andere Vorwürfe in derselben Abmahnung gerechtfertigt sind.[93]

 

Rz. 74

Neben der Dokumentationsfunktion muss auch die Hinweisfunktion der Abmahnung erfüllt werden. Der Arbeitnehmer muss also konkret darauf hingewiesen werden, dass ein bestimmtes Verhalten als vertragswidrig angesehen wird. Abgeschlossen wird die Abmahnung mit der konkreten Kündigungsandrohung (Warnfunktion). Fehlt die Kündigungsandrohung, ist die Abmahnung schon aus diesem Grunde rechtsunwirksam.[94] Dem Arbeitnehmer müssen die Sanktionen im Wiederholungsfalle deutlich bewusst sein. Nicht ausreichend sind undeutliche Formulierungen, die lediglich mögliche Sanktionen einbeziehen (Beispiel: Im Wiederholungsfall müssen Sie mit weiteren Maßnahmen rechnen.).[95] Bei weiteren Maßnahmen und/oder weiteren Sanktionen könnte es sich auch lediglich um den Ausspruch einer weiteren Abmahnung handeln. Solche Unsicherheiten müssen durch eine klare Formulierung vermieden werden.

 

Rz. 75

Für den Ausspruch der Abmahnung existiert keine Frist.[96] Um der notwendigen Warnfunktion aber Nachdruck zu verleihen, sollte nach Kenntnis des Verstoßes möglichst zeitnah, bestenfalls innerhalb von zwei Wochen die Abmahnung ausgesprochen werden. Bei einem längeren Zuwarten kann die Warnfunktion ihre Wirkung verlieren. Wird die Abmahnung erst viele Wochen nach dem Vorfall ausgesprochen, kann im Einzelfall sogar das Abmahnungsrecht verwirkt sein, denn das Rechtsinstitut der Verwirkung gem. § 242 BGB ...

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