Rz. 71

Relativ häufig wird der Rechtsanwalt mit der Vertretung mehrerer Miterben beauftragt, die das gemeinsame Ziel einer Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft haben. Zu Beginn des Mandats werden die Mandanten häufig die schnellstmögliche Erbauseinandersetzung anstreben. Dabei muss der Rechtsanwalt für Erbrecht, eine Interessenkollision nicht von vornherein fürchten, solange es um Ansprüche der Erbengemeinschaft gegen Dritte oder die Abwehr von Pflichtteilsansprüchen gegen die Erbengemeinschaft geht. Entsprechend soll auf die bereits benannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs verwiesen werden, die auf das Erbrecht und die Erbengemeinschaft ohne weiteres übertragen werden kann (vgl. Rdn 29).[159] Die bloß latente Möglichkeit eines Interessenwiderstreits zwischen den Miterben erfüllt nicht automatisch die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 43a BRAO.

 

Rz. 72

Dennoch muss die Vertretung von mehreren Miterben als Brennpunkt eines möglichen Interessenwiderstreits angesehen werden, sofern die Miterben im Innenverhältnis unterschiedliche Ansichten haben. Daher wird die Freude des Rechtsanwalts über die Annahme eines neuen Mandats nur kurz bestehen, sofern er eine sorgfältige Prüfung einer Interessenkollision unterlassen hat. Schnell kann zwischen den Miterben Streit darüber entstehen, welche Tochter oder welcher Sohn eine Zuwendung von dem Erblasser zu Lebzeiten erhalten hat. Die Schwelle zur Vertretung gegenläufiger Interessen ist hier durch eine Änderung der Interessen der Miterben niedrig. Daher stellt beispielsweise die Geltendmachung von Ausgleichsansprüchen nach den §§ 2050 ff. BGB einen Hauptanwendungsfall der Interessenkollision bei der Vertretung mehrerer Miterben dar. Weiterhin können Auslegungsschwierigkeiten von testamentarischen Verfügungen einen Interessenwiderstreit begünstigen. Exemplarisch kann hier die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis genannt werden.

 

Beispiel

Die Parteien waren Geschwister und Miterben nach der verstorbenen Erblasserin. Der Vater war vorverstorben. Die Erblasserin hat in ihrem Testament verfügt, dass man der Klägerin, der Tochter der Erblasserin, das Hausgrundstück gebe. Die Parteien stritten darüber, ob es sich bei der testamentarischen Verfügung um ein Vorausvermächtnis oder eine Teilungsanordnung handelt.[160] Das Gericht entschied, dass es sich bei der Verfügung um eine Teilungsanordnung handelte.

"Für die Abgrenzung zwischen Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis ist darauf abzustellen, ob die Erblasserin die Kl. mit der Zuweisung des Hausgrundstücks "wertmäßig begünstigen", ihr nämlich das Grundstück zusätzlich zu ihrem Erbteil zukommen lassen wollte. Der Erblasser kann einem (oder einzelnen) seiner Miterben Gegenstände zuweisen, deren Wert höher ist, als diesem seiner Quote nach bei der Auseinandersetzung zukäme. In einer solchen Lage stellt sich die Frage, ob der Mehrbetrag (Mehrwert) zusätzlich zu dem Erbteil zugewendet sein soll. Ist dies der Fall, dann handelt es sich (jedenfalls wegen des Mehrwerts) nicht (nur) um eine Teilungsanordnung, sondern (auch) um ein Vorausvermächtnis. Ist der Verfügung von Todes wegen eine entsprechende (zusätzliche) Zuwendung aber nicht zu entnehmen, oder ist dem Erblasser eine solche im Hinblick auf die von ihm eingegangenen erbrechtlichen Bindungen sogar verwehrt, dann kann es sich nur um eine Teilungsanordnung handeln. Zwar lässt sich bei feststehenden Erbquoten eine "überquotale" Teilungsanordnung nur dann durchführen, wenn der dadurch (zunächst) begünstigte Miterbe den Mehrwert durch Zahlung aus seinem eigenen Vermögen ausgleicht. Dazu wird er aber in vielen Fällen von vornherein bereit und im Allgemeinen auch verpflichtet sein, zumal Teilungsanordnungen gem. § 2048 S. 1 BGB für alle Miterben verbindlich zu sein pflegen."[161]

Unterstellt man, dass ein Rechtsanwalt in diesem Sachverhalt für beide Miterben tätig geworden wäre, läge offensichtlich ein Interessenwiderstreit vor, wodurch bereits die Mandatsannahme zu versagen gewesen wäre.

 

Rz. 73

Dem Rechtsanwalt für Erbrecht ist neben der sorgfältigen Prüfung des Vorliegens widerstreitender Interessen bei der Annahme bzw. Vertretung des Mandats daher anzuraten, dass er bei der Vertretung von mehreren Miterben einer Erbengemeinschaft bereits bei der Annahme des Mandats alle Mandanten darauf hinweist, dass die Gefahr des Eintritts einer Interessenkollision und eine Beendigung aller Mandate besteht, um etwaige Vergütungsansprüche nicht zu verlieren.[162] Dies zeigt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2013, die sich mit einer gemeinsamen Beratung von Eheleuten in einer Scheidungsangelegenheit befasst hat.[163] Hier hatte der Rechtsanwalt, der für beide Parteien tätig war, keinen Vergütungsanspruch, da er die Parteien nicht hinreichend über einen möglichen Interessenkonflikt aufgeklärt hat. Entsprechend stand dem Vergütungsanspruch ein Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung einer Aufklärungspflicht entgegen. Zur Aufklärungspflicht führte de...

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