Rz. 59

Vor Beantragung einer Ehescheidung ist zunächst festzustellen, ob überhaupt deutsches Recht anwendbar ist und sodann zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Scheidung einer Ehe vorliegen.[65]

[65] Zur Voraussetzung wirksamer Eheschließung vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 2021, 1461; zur Wirksamkeit einer libanesischen "Handschuhehe" vgl. VerwG Magdeburg FamRZ 2021, 491; zur Eheschließung mit Hilfe von Stellvertretern (in Mexiko) vgl. BGH FuR 2022, 104.

1. Anwendung deutschen Rechts

 

Rz. 60

Ob das materielle deutsche Ehescheidungsrecht nach Maßgabe der §§ 1564 ff. BGB Anwendung findet, richtet sich nach der EU-VO Nr. 1259/2010 vom 20.12.2010 (sog. ROM III-VO), und zwar unabhängig davon, ob das nach dieser Verordnung anzuwendende Recht nicht das Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaates ist (sog. universelle Anwendung, Art. 4). Maßgebend ist in erster Linie eine Rechtswahl der Beteiligten, Art. 5, die in Deutschland nach Art. 46d Abs. 2 EGBGB bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Form des § 127a BGB getroffen werden kann. Im Hinblick auf den Anwaltszwang im Ehescheidungsverfahren, § 114 Abs. 1 FamFG, bedarf es also beiderseitiger anwaltlicher Vertretung.[66]

Ersatzweise bestimmt sich das anzuwendende Recht nach Art. 8 mit der dort vorgesehenen Anknüpfungsleiter:

gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Eheleute im Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts
letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten, wenn dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor Anrufung des Gerichts endete und einer der Ehegatten zum Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat
Recht des Staates der gemeinsamen Staatsangehörigkeit der Ehegatten
Recht des Staates des angerufenen Gerichts

Deutsches Ehescheidungsrecht ist also entgegen früherer Rechtslage auch anzuwenden, wenn beide Eheleute eine (auch gemeinsame[67]) fremde Staatsangehörigkeit haben, aber ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Einleitung des Ehescheidungsverfahrens in Deutschland haben.

[66] Grüneberg/Thorn, VO ROM III Art. 5 Rn 6.
[67] Vgl. OLG München FamRZ 2014, 862 m. Anm. Heiderhoff.

2. Scheitern der Ehe

 

Rz. 61

Einziger Scheidungsgrund ist nach § 1565 Abs. 1 BGB das Scheitern der Ehe. Eine Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen, § 1565 Abs. 1 BGB. Dabei wird für die Aufhebung der Lebensgemeinschaft, die Trennung, i.d.R. eine Zeitdauer von mindestens einem Jahr verlangt. Vor Ablauf der Jahresfrist kommt die Ehescheidung nur in Betracht, wenn die Fortsetzung der Ehe für den antragstellenden Ehegatten aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde, § 1565 Abs. 2 BGB.[68]

Die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit des Abwartens der Trennungszeit werden zwar in der Rechtsprechung uneinheitlich, jedoch allgemein sehr streng gehandhabt. Ein gravierender Sachverhalt ist mit substantiiertem Vortrag auch dann notwendig, wenn der andere Ehegatte scheidungswillig ist. Entscheidend ist zu fragen, ob das Verhalten des anderen Ehegatten eine sofortige Aufhebung des Bandes der Ehe zwingend verlangt[69] oder ob umgekehrt zumutbar ist, mit der Einreichung des Scheidungsantrags bis zum Ende des Trennungsjahres abzuwarten.[70]

 

Rz. 62

Nach § 1566 BGB wird die Zerrüttung der Ehe unwiderlegbar vermutet, wenn die Ehegatten ein Jahr getrennt leben und beide die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt (Abs. 1) oder aber die Ehepartner drei Jahre lang getrennt leben (Abs. 2).

 

Rz. 63

Die Ehescheidung kann trotz Zerrüttung ausnahmsweise verweigert werden, wenn und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist oder wenn und solange die Scheidung für den scheidungsunwilligen Antragsgegner aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint (§ 1568 BGB). Solche Umstände darf das Familiengericht trotz der Amtsermittlungsmaxime im Ehescheidungsverfahren, § 127 Abs. 1 FamFG, nur berücksichtigen, wenn der scheidungsunwillige Ehegatte sie vorbringt, § 126 Abs. 3 FamFG.

Die Verhinderung einer solchen "Scheidung zur Unzeit"[71] wird aber nur in extremen Ausnahmefällen möglich sein.[72] Selbst, wenn die Scheidung für einen Ehegatten aufgrund seines Gesundheitszustandes eine existenzbedrohende Wirkung mit Suizidgefährdung haben könnte,[73] muss dies nicht zur Verhinderung der Scheidung führen.[74]

 

Rz. 64

Nach der Definition des § 1567 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie im Hinblick auf die Ablehnung der ehelichen Lebensgemeinschaft erkennbar nicht herstellen will. Es wird vom Gesetzgeber klargestellt, dass die Trennung in diesem Sinne auch innerhalb der ehelichen Wohnung stattfinde...

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