Rz. 55

Als Verlegung eines Betriebes oder eines Betriebsteiles gilt jede nicht nur geringfügige Veränderung der örtlichen Lage des Betriebes oder des Betriebsteils.[60] Maßgeblich ist also eine Veränderung der örtlichen Lage des Betriebes oder der jeweiligen Betriebsteile. Ausgenommen sind geringfügige Veränderungen. Beispielhaft werden hier immer wieder der "Wechsel der Straßenseite", "Verlegung in ein in der Nähe gelegenes Gebäude" oder "Umzug innerhalb des Gebäudes" verwendet. Bei allen Veränderungen wird es für die Frage, wann die Schwelle der Geringfügigkeit überschritten ist, darauf ankommen, ob sich aus der Änderung der örtlichen Lage des Betriebes wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft ergeben. Zu betrachten sind somit sämtliche nachteiligen Auswirkungen, die die Verlegung des Betriebes mit sich bringen kann, wie etwa verlängerte Fahrzeiten oder eine schlechtere Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz. Nachteilig kann auch die Verlegung des Betriebes von einer zentralen Innenstadtlage mit allen Möglichkeiten der Nahversorgung in ein abgelegenes Industriegebiet sein. Als Nachteil gilt auch der Wegfall der Möglichkeit, eine Kantine zu benutzen. Zu hohe Anforderungen dürfen hierbei jedoch nicht gestellt werden.

 

Rz. 56

Eine Verlegung des Betriebes als Betriebsänderung wurde etwa bejaht in folgenden Fällen:

Verlegung des Betriebes in einer Großstadt aus dem Zentrum an den 4,3 km entfernten Stadtrand[61]
Verlegung des Betriebes innerhalb der Gemeinde um 3 km[62]
Verlegung des Betriebes um 350 m[63]
Verlegung des Betriebes innerhalb einer Großstadt um 5,5 km[64]
 

Rz. 57

Verneint wurde das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 111 S. 3 Nr. 2 BetrVG bei der Verlegung eines Betriebes innerhalb des gleichen Einkaufszentrums, wobei lediglich eine geringfügige Änderung der örtlichen Lage innerhalb des Gebäudekomplexes erfolgt ist, um auf eine größere Verkaufsfläche zu ziehen.[65]

 

Rz. 58

 

Praxistipp

Selbst wenn von Arbeitgeberseite eingewandt wird, dass durch eine Verlegung innerhalb derselben Stadt und bei entsprechend guten Verkehrsanbindungen überhaupt keine Nachteile entstanden seien, entfallen die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach §§ 111, 112 BetrVG deswegen gerade nicht. Liegt eine Verlegung des Betriebes vor, sind die Voraussetzungen des § 111 S. 2 BetrVG erfüllt. Es wird fingiert, dass die dort genannten Betriebsänderungen wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können. Ob und in welchem Umfang diese dann auszugleichen sind, ist in den Verhandlungen zu klären, im Nichteinigungsfalle hat die Einigungsstelle nach billigem Ermessen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang hier ein Sozialplan zu errichten ist.

 

Rz. 59

Abzugrenzen ist die Verlegung des Betriebes jedoch von der Betriebsstilllegung. Maßgeblich ist auch, ob durch die nicht unerhebliche räumliche Verlegung des Betriebes die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich und rechtsbeständig aufgelöst wird. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Betrieb an dem neuen Ort mit einer im Wesentlichen neuen Belegschaft fortgeführt wird, etwa weil sich die Arbeitnehmer des Betriebes weigern, an den neuen Arbeitsort mitzugehen.[66] Wird der Betrieb ins Ausland verlagert, so greifen die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates aus § 111 ff. BetrVG auch wenn der ­Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes auf die Bundesrepublik Deutschland begrenzt ist. Es stellt sich dabei jedoch die Frage, ob die Verlagerung ins Ausland nicht vielmehr den Tatbestand der Betriebsstilllegung erfüllt, da die Produktionsgemeinschaft im Inland endgültig aufgelöst wird. Andererseits kann auch der Tatbestand eines Betriebsübergangs erfüllt sein, insbesondere wenn die Organisation der Produktion in unveränderter Weise z.B. als selbstständige Betriebsabteilung im Ausland fortgeführt werden soll.[67] Insbesondere bei einer Betriebsverlagerung ins Ausland kann daher auch, wenn die räumliche Entfernung zwischen alter und neuer Betriebsstätte nicht so erheblich ist, alleine aus dem Grund der Verlagerung ins Ausland, an der Wahrung der Identität nicht zwingend gezweifelt werden. So hat das BAG angenommen, dass die Verlagerung eines Betriebs oder Betriebsteils einem Betriebsübergang i.S.v. § 613a BGB nicht entgegenstehe, wenn die Wegstrecke zur neuen Arbeitsstätte von den Arbeitnehmern in weniger als einer Autostunde bewältigt werden könne.[68]

 

Rz. 60

 

Hinweis

Gerade bei grenznahen Verlagerungen ins Ausland kann diese Frage durchaus eine Rolle spielen. Bei der Vertretung des Betriebsrates und den betroffenen Arbeitnehmern ist daher sehr genau zu hinterfragen, ob tatsächlich eine Betriebsstilllegung im Inland oder nicht vielmehr eine Verlegung des Betriebes verbunden mit einem Betriebsübergang nach § 613a BGB, vorliegt. Bei dem dann abzuschließenden Sozialplan ist natürlich zu berücksichtigen, dass entsprechende Nachteilsausgleichsregelungen vereinbart werden, je nachdem, ob die betr...

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