Rz. 459

Die Frage des Umfangs der gerichtlichen Überprüfbarkeit der sozialen Auswahl und der Bewertung der Sozialindikatoren ist in § 1 Abs. 3 und Abs. 4 KSchG geregelt. Nach der Streichung der Kündigungserleichterung durch einen Interessenausgleich mit Namensliste in § 1 Abs. 5 KSchG a.F. zum 1.1.1999 war die Betriebsvereinbarung mit einem Punkteschema gem. § 1 Abs. 4 KSchG a.F. die einzige Möglichkeit, durch kollektivrechtliche Vereinbarung das Risiko einer fehlerhaften Sozialauswahl im Zusammenhang mit betriebsbedingten Kündigungen für den Arbeitgeber zu mildern. Diese Möglichkeit besteht seit dem 1.1.2004 weiterhin neben der wiedereingeführten Regelung eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 1 Abs. 5 KSchG n.F.

 

Rz. 460

In § 1 Abs. 4 KSchG n.F. ist durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 mit Wirkung ab 1.1.2004 eine Überprüfungsbeschränkung durch Festlegung von Bewertungsvorgaben für die Gewichtung von Sozialauswahlkriterien in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung nach §§ 111 ff. BetrVG geregelt worden.

a) Formale Anforderungen an ein Punkteschema

 

Rz. 461

Formal ist zunächst darauf zu achten, dass – wenn die Vereinbarung auf betrieblicher Ebene abgeschlossen werden soll – die entsprechenden Festlegungen im Rahmen einer Betriebsvereinbarung vorgenommen werden. Wenn Anlagen verwendet werden, müssen diese nach der Rechtsprechung zu den formalen Anforderungen an die Einbeziehung einer Anlage in die Vereinbarung entweder fest miteinander verbunden sein oder durch ihren Inhalt, die drucktechnische Aufmachung und eine Unterschrift von Arbeitgeber und Betriebsrat am Ende der Vereinbarung die Zugehörigkeit zu den vorstehend getroffenen Regelungen deutlich machen.[476]

 

Rz. 462

 

Beispiel

Eine Anlage zum Interessenausgleich, der selbst keine Betriebsvereinbarung darstellt, reicht hierfür nach der Auffassung des LAG Düsseldorf allerdings nicht aus.[477]

 

Rz. 463

Ein Punkteschema für die soziale Auswahl stellt auch dann eine nach § 95 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie dar, wenn es der Arbeitgeber nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigungen anwenden will. Wendet der Arbeitgeber ein von ihm unter Verstoß gegen § 95 Abs. 1 BetrVG aufgestelltes Punkteschema an, so führt dieser Mitbestimmungsverstoß jedoch allein nicht zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung.[478]

 

Rz. 464

Die Betriebsparteien können Auswahlrichtlinien i.S.v. § 1 Abs. 4 Var. 2 KSchG bei späterer oder schon bei zeitgleicher Gelegenheit – etwa bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste – ändern. Setzen sie sich in einem bestimmten Punkt gemeinsam über die Auswahlrichtlinie hinweg, ist die Namensliste zumindest dann maßgeblich, wenn Interessenausgleich und Auswahlrichtlinie von denselben Betriebsparteien stammen. Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist auch dann eine nach § 95 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie, wenn der Arbeitgeber es nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigungen anwenden will. Das Punktesystem einer Auswahlrichtlinie muss keine individuelle Abschlussprüfung des Arbeitgebers vorsehen. Der Arbeitgeber braucht neben den in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ausdrücklich bezeichneten Grunddaten keine weiteren Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ein berechtigtes betriebliches Interesse i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ist anzunehmen, wenn die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung geeignet ist, eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern.[479]

[477] LAG Düsseldorf v. 17.3.2000 – 9 (6) Sa 84/00, LAGE § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 32 = DB 2000, 1572 = NZA-RR 2000, 421 = ZInsO 2001, 92.

b) Begrenzung auf einzelne Sozialdaten

 

Rz. 465

Inhaltlich zu berücksichtigen ist zunächst, dass § 1 Abs. 4 KSchG a.F. dem Umstand Rechnung trug, dass die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG nicht mehr nur auf Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten begrenzt war. Vielmehr mussten im Rahmen der Sozialauswahl alle zusätzlichen Sozialdaten, also insbesondere auch

Schwerbehinderung,
Pflege von Angehörigen,
etwaige Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten sowie
Ausbildung und Arbeitsmarktchancen

berücksichtigt werden.[480]

 

Rz. 466

§ 1 Abs. 4 KSchG a.F. eröffnete den dort genannten Sozialpartnern – also insbesondere nach § 95 BetrVG Arbeitgeber und Betriebsrat – nicht nur die Möglichkeit, im Rahmen einer der dort genannten Kollektivvereinbarungen festzulegen, wie die einzelnen Sozialdaten im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, also gegeneinander zu gewichten sind. Vielmehr eröffnete § 1 Abs. 4 KSchG a.F. den Beteiligten auch die Möglichkeit, im Rahmen entsprechender Vereinbarungen festzulegen, welche sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge