Rz. 267

Auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit muss ein Insolvenzverwalter, der den Arbeitnehmer wegen fehlenden Beschäftigungsbedarfs von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freistellt, hierbei billiges Ermessen i.S.d. § 315 BGB beachten. Die Anordnung der Freistellung ist unbillig, wenn der Insolvenzverwalter nicht unverzüglich Maßnahmen ergreift, um das Arbeitsverhältnis zum schnellstmöglichen Zeitpunkt zu beenden.[282]

 

Rz. 268

Stellt der Insolvenzverwalter die Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens frei, stellen die Ansprüche der Arbeitnehmer bei Beachtung der nachstehend dargestellten Voraussetzungen sonstige Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO dar.[283]

 

Rz. 269

In der Entscheidung des LAG Köln vom 31.1.2011[284] ging es um die Frage, ob die Entgeltforderung bei einer Freistellungsabrede für die Zeit nach Insolvenzeröffnung Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO ist oder eine Insolvenzforderung. Das LAG Köln hat eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO angenommen.

 

Rz. 270

Nach der Rechtsprechung des BAG[285] begründet der Insolvenzverwalter jedoch Neumasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO bei Unterlassung der frühest möglichen Kündigung nach Masseunzulänglichkeitsanzeige, und zwar auch bei freigestellten Arbeitnehmern: Der Rang einer Forderung auf Arbeitsvergütung als Masseverbindlichkeit wird durch die nach der Anzeige der (drohenden) Masseunzulänglichkeit zu treffende Entscheidung des Insolvenzverwalters bestimmt, ob er das Arbeitsverhältnis unverzüglich kündigt oder ob er es (zunächst) fortsetzt. Als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gilt die Arbeitsvergütung für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt wird.

 

Rz. 271

 

Hinweis

Der maßgebliche Kündigungstermin bestimmt sich dabei nach dem Zeitpunkt, zu dem eine Kündigung unter Beachtung gesetzlicher Verpflichtungen, z.B. aus § 102 BetrVG, § 85 SGB IX oder §§ 111, 112 BetrVG rechtlich zulässig ist. Er richtet sich nicht nach dem Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung des Insolvenzverwalters, den Betrieb stillzulegen.[286]

 

Rz. 272

Ähnlich hat auch das LAG Hamm entschieden:[287]

Das nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit (§ 208 InsO) eintretende Vollstreckungsverbot aus § 210 InsO erfasst nur die in § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO geregelten Masseverbindlichkeiten (sog. Altmasseverbindlichkeiten).

Daraus folgt im Umkehrschluss: Verbindlichkeiten i.S.v. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO (sog. Neumasseverbindlichkeiten) sind grundsätzlich weiterhin mit der Zahlungsklage zu verfolgen. Hiervon ist eine Ausnahme dann zu machen, wenn der Insolvenzverwalter mit Recht einwendet, die Insolvenzmasse genüge auch nicht zur vollständigen Tilgung der Neumasseverbindlichkeiten (weitere Masseunzulänglichkeit). Der Rechtsschutz des Neumassegläubigers ist nur in einem solchen Falle auf die Erhebung einer Feststellungsklage beschränkt.
Daraus folgt ferner im Umkehrschluss, dass die sog. Neumasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 InsO mit ihrer Fälligkeit grundsätzlich aus der Insolvenzmasse zu befriedigen sind. Der Rang einer Forderung auf Arbeitsentgelt als Alt- oder Neumasseverbindlichkeit wird durch die nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu treffenden Entscheidung des Insolvenzverwalters bestimmt, ob er das Arbeitsverhältnis unverzüglich kündigt oder ob er es (zunächst) fortsetzt.
 

Rz. 273

Hat der Insolvenzverwalter, die Arbeitskraft eines Arbeitnehmers nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit weiter in Anspruch genommen, und sei es auch nur für eine bestimmte Zeit bis zu einer geplanten Stilllegung oder bis zu einer Personalanpassung, und spricht er in einem solchen Fall während der Weiterbeschäftigung dann eine Kündigung aus, die vom Arbeitnehmer erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen oder vom Insolvenzverwalter zurückgenommen wird, dann sind die daraus entstehenden Annahmeverzugsansprüche Neumasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO.

[283] Dazu Schmidt/Uhlenbruck/Moll, S. 657 f.
[285] BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZInsO 2005, 50 = ZIP 2004, 1323, dazu EWiR 2004, 815 (Bork); Bayreuther, ZIP 2008, 573; zur Abgrenzung der Alt- und der Neumasseverbindlichkeiten siehe auch BGH v. 13.4.2006 – IX ZR 22/05, ZInsO 2006, 541.
[286] BAG v. 31.3.2004 – 10 AZR 253/03, ZInsO 2005, 50 = ZIP 2004, 1323, dazu EWiR 2004, 815 (Bork); Bayreuther, ZIP 2008, 573.

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