Rz. 375

Trotz Wegfalls des bisherigen Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers kann eine betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sein, wenn die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung besteht; diese besteht grundsätzlich nur auf einem freien oder voraussehbar bis zum Ausscheiden des Arbeitnehmers frei werdenden Arbeitsplatz,[395] auf dem der Arbeitnehmer ohne Änderung des Arbeitsvertrages kraft Weisungsrechts weiter beschäftigt werden könnte.[396]

 

Rz. 376

 

Hinweis

Kommen mehrere Arbeitnehmer, deren Kündigung ansteht, für einen freien Arbeitsplatz in Betracht, hat die Auswahl unter ihnen nach den Kriterien der sozialen Auswahl (siehe Rdn 404 ff.) zu erfolgen.

 

Rz. 377

Frei ist also ein Arbeitsplatz,

der zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt ist oder
der mit hinreichender Sicherheit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist frei wird oder
unmittelbar nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Verfügung steht oder
für den im Zeitpunkt der Kündigung bereits feststeht, dass er in absehbarer Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist frei werden wird, falls die Überbrückung dieses Zeitraums dem Arbeitgeber zumutbar ist.
 

Rz. 378

Ausnahmsweise gilt als freier Arbeitsplatz also auch ein solcher, von dem im Zeitpunkt der Kündigung bereits feststeht, dass er in absehbarer Zeit nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers frei wird, sofern die Überbrückung dieses Zeitraums dem Arbeitgeber zumutbar ist: Nach der Rechtsprechung des BAG ist jedenfalls ein solcher Zeitraum zumutbar, den ein anderer Stellenbewerber zur Einarbeitung ebenfalls benötigen würde.[397]

 

Rz. 379

 

Beispiel

Die Überbrückung von sechs Monaten bei einem noch keine drei Jahre währenden Arbeitsverhältnis ist dem Arbeitgeber schon außerhalb der Insolvenz unzumutbar, wenn die Einarbeitungszeit eines neu eingestellten Mitarbeiters erheblich kürzer wäre.[398] Die Zeitspanne einer zumutbaren Überbrückung in der Insolvenz wird noch deutlich kürzer zu bemessen sein.

 

Rz. 380

Soll als anderweitige Beschäftigung eine solche auf einem anderweitigen Arbeitsplatz in Betracht kommen, kann die betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sein, wenn er beiden Parteien zumutbar ist und der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung ein ihm – infolge Vorhersehbarkeit der künftigen Entwicklung – mögliches Änderungsangebot unterlassen hat, sofern der Arbeitnehmer einem solchen Angebot zumindest unter Vorbehalt zugestimmt hätte (hypothetische Zustimmung und Zumutbarkeit).[399]

 

Rz. 381

 

Beispiel

Hypothetische Zustimmung und Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer sind im Zweifel nicht anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer Herabstufungen vom Verkaufsleiter zu einem – einem anderen Verkaufsleiter unterstellten – Außendienstmitarbeiter mit Gehaltseinbußen von monatlich etwa 3.000 DM sowie einen weiträumigen Ortswechsel hätte hinnehmen müssen.[400]

 

Rz. 382

Eine Weiterbeschäftigungspflicht auf freien Arbeitsplätzen eines anderen Unternehmens kommt in Betracht, wenn das kündigende Unternehmen mit dem anderen Unternehmen einen Gemeinschaftsbetrieb führt. Eine unternehmensübergreifende Weiterbeschäftigungspflicht besteht demgegenüber nicht, wenn der Gemeinschaftsbetrieb bei Zugang der Kündigung als solcher bereits nicht mehr existiert. Das Kündigungsschutzgesetz ist nicht konzernbezogen. Eine konzernbezogene Weiterbeschäftigungspflicht kann ausnahmsweise bestehen, wenn sich ein anderes Konzernunternehmen ausdrücklich zur Übernahme des Arbeitnehmers bereit erklärt hat oder eine Unterbringungsverpflichtung unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag, einer sonstigen vertraglichen Absprache oder der in der Vergangenheit geübten Praxis folgt. Weitere Voraussetzung einer unternehmensübergreifenden Weiterbeschäftigungspflicht ist ein bestimmender Einfluss des vertragsschließenden Unternehmens auf die "Versetzung".[401]

 

Rz. 383

Eine Kündigung ist dann nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt, wenn ein anderer Arbeitsplatz zu vergleichbaren oder schlechteren Bedingungen vorhanden und frei ist und der Arbeitnehmer – sei es auch erst nach einer dem Arbeitgeber zumutbaren Fortbildung oder Umschulung – das Anforderungsprofil der ­betreffenden Stelle erfüllt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmöglichkeiten anzubieten, besteht nur, wenn im Kündigungszeitpunkt feststeht, dass spätestens nach Durchführung der Qualifizierungsmaßnahme ein geeigneter Arbeitsplatz im Unternehmen vorhanden und frei ist. Der Arbeitgeber ist von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer allein zum Zwecke der Qualifikation weiter zu beschäftigen. Hält der Arbeitgeber im Rahmen einer betrieblichen Einheit Stellen vor, die ausschließlich der Qualifizierung und Vermittlung an andere Unternehmen innerhalb und außerhalb des Konzerns dienen, handelt es sich nicht um freie Arbeitsplätze i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 2, S. 3 KSchG. Lehnt der Arbeitnehmer einen Wechsel in die betriebliche Einheit ab, ist der Arbeitgeber deshalb kündigungsrechtlich nicht verpflic...

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