Rz. 404

Ein besonderes Problem stellt in der Praxis häufig die zutreffende Bildung der Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer für die Durchführung der sog. Sozialauswahl dar. Diese soziale Auswahl ist betriebsbezogen, also abteilungsübergreifend, aber nicht unternehmensbezogen oder konzernbezogen.[417]

 

Rz. 405

 

Hinweis

Das BAG hat entschieden, dass die Sozialauswahl auch dann grundsätzlich betriebsbezogen zu erfolgen hat, wenn sich der Arbeitgeber ein betriebsübergreifendes Versetzungsrecht vorbehalten hat.[418]

 

Rz. 406

Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer bedeutet deren Austauschbarkeit, ohne dass eine längere Einarbeitungszeit erforderlich ist und ohne dass eine Änderungskündigung erfolgen müsste. Die Vergleichbarkeit ist also dann nicht gegeben, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern nicht einseitig aufgrund seines arbeitgeberseitigen Direktionsrechts auf einen anderen Arbeitsplatz umsetzen oder versetzen kann.[419]

 

Rz. 407

 

Praxistipp

Je enger die Tätigkeit im Arbeitsvertrag definiert ist, umso kleiner ist auch die Gruppe der vergleichbaren Arbeitnehmer.[420] Sog. weite Versetzungsklauseln in Arbeitsverträgen führen also zu einem entsprechend weiteren Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer bei beabsichtigten betriebsbedingten Kündigungen.

 

Rz. 408

Der Kreis der in eine nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmenden Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer bestimmt sich nach ihrer Vergleichbarkeit. Diese bemisst sich zwar in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst nach der ausgeübten Tätigkeit.[421] Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Tätigkeit und Ausbildung eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen ("qualifikationsmäßige Austauschbarkeit").[422]

 

Rz. 409

An einer Vergleichbarkeit fehlt es jedoch, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aufgrund des zugrunde liegenden Arbeitsvertrags nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann ("arbeitsvertragliche Austauschbarkeit").[423] Arbeitnehmer, die arbeitsvertraglich nicht einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden dürfen, sind mangels Vergleichbarkeit mit anderen Arbeitnehmern nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.

 

Rz. 410

 

Hinweis

Die Vergleichbarkeit kann grundsätzlich auch nicht dadurch herbeigeführt werden, dass der Arbeitsvertrag eines von einem betrieblichen Ereignis betroffenen Arbeitnehmers erst anlässlich dieses Ereignisses einvernehmlich oder im Wege der Änderungskündigung entsprechend abgeändert wird.[424]

 

Rz. 411

Die völlige Identität der Arbeitsplätze ist jedoch nicht erforderlich; es genügt, wenn der Beschäftigte aufgrund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb und aufgrund seiner beruflichen Qualifikation in der Lage ist, diese andere Arbeit zu verrichten. Maßstab ist regelmäßig die gleiche Tarifgruppe.[425]

 

Rz. 412

Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG i.V.m. § 1 Abs. 4 KSchG können dabei diese gesetzlichen Anforderungen an die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht verdrängen. Im Rahmen eines Beurteilungsspielraums können zwar Erfahrungen der Betriebspartner hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer bestimmter Arbeitsplätze einfließen, es können aber nicht von vornherein Arbeitnehmer bestimmter Abteilungen oder Arbeitsgruppen ohne ausreichende sachliche Kriterien nicht als vergleichbar eingestuft werden.[426] Dies gilt umso mehr als § 1 Abs. 4 KSchG nur die Gewichtung der sozialen Auswahlkriterien und nicht die Zusammensetzung des auswahlrelevanten Personenkreises oder die entgegenstehenden betrieblichen Bedürfnisse i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG betrifft.[427]

 

Rz. 413

Die Betriebsparteien können Auswahlrichtlinien i.S.v. § 1 Abs. 4 Var. 2 KSchG bei späterer oder schon bei zeitgleicher Gelegenheit – etwa bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste – ändern. Setzen sie sich in einem bestimmten Punkt gemeinsam über die Auswahlrichtlinie hinweg, ist die Namensliste zumindest dann maßgeblich, wenn Interessenausgleich und Auswahlrichtlinie von denselben Betriebsparteien stammen. Ein Punkteschema für die soziale Auswahl ist auch dann eine nach § 95 Abs. 1 S. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige Auswahlrichtlinie, wenn der Arbeitgeber es nicht generell auf alle künftigen betriebsbedingten Kündigungen, sondern nur auf konkret bevorstehende Kündigungen anwenden will. Das Punktesystem einer Auswahlrichtlinie muss keine individuelle Abschlussprüfung des Arbeitgebers vorsehen. Der Arbeitgeber braucht neben den in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ausdrücklich bezeichneten Grunddaten keine weiteren Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ein berechtigtes betriebliches In­teresse i.S.v. § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ist anzunehmen, wenn die im konkreten Fall vorgenommene Altersgruppenbildung geeignet ist, eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern.[428]

 

Rz. 414

An der Berechtigung des Arbeitsgebers, den Arbeitnehmer einseitig auf ein...

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