Rz. 1

Wenn von Anwaltshaftung die Rede ist, geht es um die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsanwalt ggü. seinem Auftraggeber oder anderen Personen zum Schadensersatz verpflichtet ist.[1] Ein kodifiziertes Recht der Anwaltshaftung gibt es nicht, abgesehen von vereinzelten gesetzlichen Regelungen wie § 44 Satz 2 BRAO oder § 52 BRAO. Grundlegende Bedeutung kommt deshalb dem Richterrecht und dabei vornehmlich der Rechtsprechung des für die Anwaltshaftung[2] (und auch für die Haftung der Rechtsbeistände und Steuerberater) zuständigen IX. Zivilsenats des BGH zu.

 

Rz. 2

Das deutsche Recht wählt für die Anwaltshaftung im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen[3] (vgl. auch Rdn 379) einen vertragsrechtlichen Ansatz.[4] Dies hängt v.a. damit zusammen, dass in §§ 823 ff. BGB eine deliktische Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden weitgehend ausgeschlossen ist (zur Deliktshaftung des Rechtsanwalts vgl. § 15 Rdn 1 ff.). Die national unterschiedliche Anknüpfung der Haftung (Vertrag/Delikt) kann im Zusammenhang mit der Wahl ausländischer Gesellschaften zur Berufsausübung Haftungsbeschränkungen ermöglichen, die das inländische Recht nicht vorsieht (etwa englische LLP, vgl. Rdn 476).

Dogmatisch wurde die Haftung des Rechtsanwalts ggü. seinem Auftraggeber herkömmlicherweise auf das Institut der positiven Vertragsverletzung (pVV) zurückgeführt.[5] Seit der Schuldrechtsmodernisierung gilt das neue Leistungsstörungsrecht (vgl. § 3 Rdn 1); hierauf wird – ebenso wie auf das Übergangsrecht – Bezug genommen. Anknüpfungspunkt ist danach die Schlechtleistung des Rechtsanwalts, also eine fehlerhafte oder unzureichende Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten.[6] Anspruchsgrundlage für den Ersatz des durch eine schuldhafte Pflichtverletzung verursachten Schadens ist damit regelmäßig § 280 Abs. 1 BGB. Die vertragliche Haftung des rechtlichen Beraters schließt unter den Voraussetzungen des § 253 Abs. 2 BGB auch einen Anspruch auf eine billige Entschädigung in Geld (Schmerzensgeld) mit ein.[7]

 

Rz. 3

Bei der steuerrechtlichen Beratung durch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer sind die vertraglichen Grundlagen und die Haftungsregelungen weitgehend vergleichbar, weshalb die nachfolgende Darstellung am Beispiel des Rechtsanwalts im Wesentlichen auch für die Haftung der genannten Berufsträger gilt.

[1] Zur Geschichte und Entwicklung der Anwaltshaftung vgl. Giebels-Deinert, Anwaltshaftung und andere Folgen der Pflichtverletzung von Prozessvertretern im 18. und 19. Jahrhundert.
[2] Im Geschäftsverteilungsplan des BGH für das Geschäftsjahr 2019 ist von "Rechtsstreitigkeiten über Auftragsverhältnisse (§§ 662 bis 676 BGB) und Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 bis 687 BGB) (…) betreffend Ansprüche von und gegen Rechtsanwälte und Rechtsbeistände, (…) betreffend Ansprüche aus steuerlicher Beratung" sowie "Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen gegen Rechtsanwälte und Rechtsbeistände" die Rede.
[3] Vgl. etwa Hirte, Berufshaftung, S. 242 ff. (Österreich, Schweiz, Frankreich, Italien, England und USA); Sieg, NJW 1996, 2209 ff. (zum US-amerikanischen Recht); N. Bettinger, Englische LLP und Anwaltshaftung in Deutschland, S. 64 ff.
[4] Vgl. Borgmann/Jungk/Schwaiger, Anwaltshaftung; Fahrendorf/Mennemeyer, Die Haftung des Rechtsanwalts; Henssler/Gehrlein/Holzinger, Handbuch der Beraterhaftung, Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht; vgl. auch Boergen, Vertragliche Haftung des Rechtsanwalts; Henssler, JZ 1994, 178 ff.; Hirte, Berufshaftung, S. 11 ff.; Poll, Die Haftung der freien Berufe am Beispiel des Rechtsanwalts, S. 49 f. und S. 163 ff.; Rinsche, ZAP, Fach 23, S. 249 ff.; Grams, in: Hartung/Scharmer, BORA/FAO, vor § 51 BRAO Rn 2 ff.; Sieg, Internationale Anwaltshaftung, S. 85 ff.; Schultz, Die zivilrechtliche Haftung des Anwalts, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht; Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung.
[5] Vgl. etwa BGH, WM 1986, 199, 203; BGH, NJW-RR 1990, 1241, 1244; Hartstang, S. 541.
[6] Vgl. Zugehör, Beraterhaftung, Rn 135; Vollkommer/Greger/Heinemann, § 1 Rn 1.

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