Rz. 28

Zum Bereich der Erfassung des aktuellen Vermögens bzw. Nachlasses gehört in jedem Fall auch die Erfassung von lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers an die beteiligten Personen bzw. dritte Personen. Auch hier gilt dies grundsätzlich sowohl für die gestaltende Beratung vor dem Erbfall als auch für die Beratung bzw. Vertretung eines Mandanten nach dem Erbfall. Lebzeitige Zuwendungen spielen im Rahmen der gestaltenden Beratung eine erhebliche Rolle für die Frage von Ausgleichungs- und Anrechnungsbestimmungen sowie Pflichtteilsergänzungsansprüchen und auch Fragen des Schenkungswiderrufs nach § 528 BGB. Gerade der Schenkungswiderruf ist in Fällen eines nicht auszuschließenden Rückgriffs eines Sozialhilfeträgers vor dem Hintergrund der gesamten Bandbreite der Rückgriffsmöglichkeiten nach dem Sozialhilferecht zu beurteilen.

 

Rz. 29

Nach dem Erbfall ist sowohl im Rahmen der Erbauseinandersetzung als auch in Fällen der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen der Bereich der lebzeitigen Zuwendungen des Erblassers ebenfalls von maßgeblicher Bedeutung. Nur die genaue Kenntnis von ausgleichungspflichtigen und möglicherweise auch auf den Pflichtteil anrechnungspflichtigen Vorempfängen ermöglichen eine Beurteilung, inwieweit dem Mandanten ggf. zu einer Ausschlagung der Erbschaft zu raten ist. Vor dem Hintergrund der sehr kurz bemessenen Ausschlagungsfrist ist es daher geboten, frühzeitig den Sachverhalt auch hinsichtlich der Vermögenswerte einschließlich Vorempfänge zu ermitteln.

 

Rz. 30

Bei der Ermittlung der Vorempfänge ist ferner neben dem Wert des Vorempfangs auch die Ermittlung des Zeitpunkts der Zuwendung von maßgeblicher Bedeutung. Unabhängig von den ohnehin gesondert zu beurteilenden steuerrechtlichen Fragen, ist die Kenntnis über den Zeitpunkt der Zuwendung ebenso von maßgeblicher Bedeutung für die sich aus dem Gesetz ergebenden Fristen (z.B. §§ 529 Abs. 1, 2325 Abs. 3 BGB). Dabei darf nicht übersehen werden, dass Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten im Rahmen der Pflichtteilsergänzung zeitlich unbegrenzt angerechnet werden (§ 2327 BGB). Hinzu kommt gerade bei Grundstückszuwendungen die Ermittlung eines ggf. vorbehaltenen Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts, da dies für den Lauf der Zehn-Jahres-Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB von erheblicher Bedeutung ist. Der Beginn der Frist nach § 2325 Abs. 3 BGB ist nach der Rechtsprechung des BGH jedenfalls dann gehindert, wenn der Erblasser den verschenkten Gegenstand dadurch weiter nutzt, dass er sich gewisse Rechte uneingeschränkt vorbehält.[13]

 

Rz. 31

Bei der Ermittlung lebzeitiger Zuwendungen bzw. von Vorempfängen sind zu erfassen

Art der Zuwendung;
Wert der Zuwendung;
Empfänger der Zuwendung;
Zeitpunkt der Zuwendung (auch innerhalb der Zehn-Jahres-Frist) und
Vereinbarungen in Zusammenhang mit der Zuwendung (Ausgleichungspflicht, Anrechnungspflicht, vorbehaltene Rechte).
 

Rz. 32

Auch hier bedarf es nötigenfalls eigener zusätzlicher Ermittlungen seitens des Rechtsanwalts durch Einholung von aktuellen Grundbuchauszügen, der Einholung von Bankauskünften bzw. Geltendmachung von möglichen Auskunftsansprüchen gegen die Erben bzw. Dritte.

[13] BGH, Urt. v. 27.4.1994 – IV ZR 132/93: kein Fristanlauf beim Totalnießbrauch; nicht abschließend geklärt beim Bruchteils- oder Quotennießbrauch oder Wohnungsrecht, das auf einen bestimmten Teil des übereigneten Grundstücks beschränkt ist. Hier ist auf die "wesentliche Nutzung" abzustellen, hierzu eingehender MüKo/Lange, § 2325 Rn 77; zum Wohnungsrecht auch OLG München, Urt. v. 8.7.2022 – 33 U 5525/21.

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