Leitsatz (amtlich)

1. Das dem Erblasser eingeräumte Wohnungsrecht hemmt im vorliegenden Einzelfall den Beginn der Abschmelzungsfrist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB, weil es an allen relevanten Räumen des verschenkten Hauses besteht, so dass der Erwerber insoweit keine eigene Nutzungsmöglichkeit hatte (Anschluss an BGH, Urteil vom 29. Juni 2016, IV ZR 474/15, ZEV 2016, 445 = ErbR 2016, 570).

2. In einem solchen Fall sind die Unterschiede zwischen einem vorbehaltenen Nießbrauch und dem tatsächlich vereinbarten Wohnungsrecht so gering, dass die Interessen des Pflichtteilsberechtigten, denen bei der Beurteilung der Frage der Hemmung des Fristenlaufs gemäß § 2325 Abs. BGB besonderes Gewicht zukommt, es rechtfertigen, den Lauf der Frist gemäß § 2325 Abs. 3 BGB als gehemmt anzusehen (Anschluss an BGH, Urteil vom 19. Juli 2011, X ZR 140/10; NJW 2011, 3082).

 

Normenkette

BGB § 2325

 

Verfahrensgang

LG München II (Aktenzeichen 1 O 255/19)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts München II vom 8. Juli 2021 in Ziffer 1 abgeändert und - teilweise zur Klarstellung - neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, wegen einer Forderung in Höhe von EUR 43.274,71 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16. Januar 2019 sowie einer Zinsforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 32.700,65 vom 16. März 2018 bis zum 21. Februar 2019 die Zwangsvollstreckung in die im Grundbuch von xxx eingetragenen Grundstücke Fl.Nr. 93, FlNr. 119/3, Fl.Nr. 579, Fl.Nr. 618 und Fl.Nr. 974 zugunsten des Klägers zu dulden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München II ist im Umfang seiner Aufrechterhaltung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 50.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht einen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beklagten geltend.

Die Kläger sind Brüder sowie Erben zu 1/3 nach ihrem am x.x.2017 verstorbenen Vater xxx (nachfolgend: Erblasser). Der bereits an die Miterben zu gleichen Teilen ausbezahlte Barnachlass des Erblassers betrug EUR 9.535,95.

Mit Übergabevertrag vom 30. November 2010 (Anlage K 1) hatte der Erblasser die im Grundbuch von xxx, Bl. 2144 eingetragenen Grundstücke Fl.Nr. 93, 119/3, 579, 618 und 974 an den Beklagten übertragen, wobei der Beklagte bestimmte Verpflichtungen gegenüber dem Erblasser übernahm und der Erblasser sich zudem ein lebenslanges Wohnungsrecht an dem auf dem Grundstück Fl.Nr. 93 errichteten Wohnhaus vorbehielt, das ihn berechtigte, "die Räume des bestehenden Bauernhauses alleine zu benützen" sowie ein Mitbenutzungsrecht bezüglich der sonstigen Gebäude und Flächen des Grundstücks Fl.Nr. 93. Die Eigentumsumschreibung vom Erblasser auf den Beklagten erfolgte am 13. Januar 2011. In der Folgezeit bewohnte und nutzte der Erblasser das Haus und die sonstigen Gebäude und Flächen wie zuvor.

Laut Verkehrswertgutachten des Sachverständigen xxx (K 2) hatte das mit einem Wohnhaus und Betriebsgebäuden bebaute Grundstück Fl.Nr. 93 zur Zeit der Übergabe nach Abzug der Belastungen einen Verkehrswert von EUR 493.000,00, die übrigen Grundstücke - land- und forstwirtschaftliche Flächen - einen Verkehrswert von EUR 162.000,00.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2018 (K 8) forderte der Kläger den Beklagten unter Fristsetzung zum 15. März 2018 zur Zahlung von Pflichtteilsergänzungsansprüchen in Höhe von EUR 110.057,31 auf, mit Schreiben vom 26. November 2018 unter Fristsetzung zum 15. Januar 2019 zur Zahlung von EUR 79.112,16.

Der Kläger hat vor dem Landgericht zunächst einen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von EUR 79.112,16 geltend gemacht. Er hat die Ansicht vertreten, dass der rechnerische Nachlass EUR 540.409,02 betrage. Das Grundstück Fl.Nr. 93 sei insoweit mit dem vollen Verkehrswert anzusetzen, da wegen des dem Erblasser eingeräumten Wohn- und Mitbenutzungsrechts keine Abschmelzung gemäß § 2325 Abs. 3 BGB vorzunehmen sei. Von den übrigen Grundstücken seien gemäß § 2325 Abs. 3 BGB 40% des Verkehrswerts anzusetzen. Abzüglich der latenten, indexierten Betriebsaufgabesteuer ergebe sich für die dem Beklagten lebzeitig zugewendeten Grundstücke ein Wert von EUR 523.095,71. Zu addieren sei daneben der tatsächlich vorhandene Nachlass (EUR 9.535,95) sowie die indexierte Schenkung an den Kläger (EUR 7.777,36). Der Pflichtteil des Klägers von unstreitig 1/6 betrage damit EUR 90.068,17. Hiervon seien die Schenkung des Erblassers an den Kläger (EUR 7.777,36) sowie der bereits ausbezahlte Erbteil (EUR 3.178,65) in Abzug zu bringen.

Der Beklagte hat erstinstanzlich insbesondere vorgebracht, dass bei der Berechnung des Pflichttei...

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