Rz. 79

Laut § 55 OWiG i.V.m. § 163a StGB ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich zum Tatvorwurf zu äußern. Dies hat noch vor dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens stattzufinden. Eine bestimmte Form der Anhörung ist nicht vorgeschrieben. Sie kann am Tatort geschehen, aber auch in Form der Zusendung eines Anhörungsbogens. Eine Aussagepflicht zur Sache gibt es nicht. Diesbezüglich sollten frühestens nach Akteneinsicht Aussagen erwogen werden.

 

Rz. 80

 

Praxistipp

Die Anhörung unterbricht die Verfolgungsverjährung. Im Einzelfall kann es daher sinnvoll sein, auf den Anhörungsbogen nicht gleich mit der Verteidigungsanzeige und dem Antrag auf Akteneinsicht zu reagieren, sondern Zeit verstreichen zu lassen. Gleichwohl werden dann regelmäßig weitere Ermittlungen folgen. Die Vor- und Nachteile sind mit der Mandantschaft zu erörtern.

Sofern die Verteidigungsanzeige vorerst unterbleiben soll, darf der Hinweis an die Mandantschaft nicht vergessen werden, sich nach Erhalt eines Bußgeldbescheides sofort und fristwahrend beim Verteidiger zu melden.

 

Rz. 81

Der Fahrzeughalter hat denknotwendig Kenntnis darüber, ob er selbst gefahren ist oder an wen er das Fahrzeug überlassen hat. Daher kann er nur Zeuge oder Betroffener sein. Die informatorische Befragung des Halters im Rahmen einer Kennzeichenanzeige scheidet damit aus.[177] Insoweit verbleibt es im Einzelfall zu differenzieren, ob der Halter als Zeuge oder als Betroffener angehört wird. Im letzteren Fall ist er nämlich gem. §§ 55 Abs. 2, 46 OWiG i.V.m. § 136 StPO ordnungsgemäß über sein Recht zu Schweigen zu belehren.[178]

 

Rz. 82

Unterbleibt die Betroffenenbelehrung, kann hieraus ein Beweisverwertungsverbot erwachsen, welches vom Verteidiger im Verfahren mit der sog. Widerspruchslösung zu behandeln ist: Er hat der Verwertung unter Verweis auf das Beweisverwertungsverbot zu widersprechen und dieser Widerspruch ist im Prozess ausdrücklich vor Beginn der maßgeblichen Beweiserhebung erneut und begründet zu wiederholen sowie ins Protokoll aufnehmen zu lassen.[179] Nur dann kann er als Verfahrensrüge in zweiter Instanz erfolgreich aufgegriffen werden.[180]

 

Praxistipp

Ist der Vernehmung des Beschuldigten durch einen Polizeibeamten nicht der Hinweis nach § 136 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 163a Abs. 4 S. 2 StPO vorausgegangen, dass es ihm freistehe sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, so dürfen Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat, im Strafverfahren nicht verwertet werden.[181] Ob dies auch für das Ordnungswidrigkeitenverfahren gilt, ist nicht abschließend geklärt, jedoch zu bejahen.

Wird der Betroffene zunächst zu Unrecht als Zeuge vernommen und im weiteren Verlauf als Beschuldigter, ist er hinsichtlich seiner ursprünglichen Aussagen "qualifiziert" über deren Nichtverwertbarkeit hinzuweisen. Unterbleibt dieser ausdrückliche Hinweis, ist hinsichtlich der nachfolgenden Beschuldigtenangaben abzuwägen, ob der Betroffene davon ausging, von seinen ursprünglichen Angaben nicht mehr abrücken zu können. In die Abwägung sind das Sachaufklärungsinteresse und das Gewicht des Verfahrensverstoßes mit einzubeziehen.[182]

Der Verwertung dieser Aussage muss aber in jedem Fall in der Hauptverhandlung ausdrücklich in jeder Form widersprochen und dies begründet werden. Ein Sammelwiderspruch ist möglich.[183] Ansonsten kann die Verwertung in der Rechtsbeschwerde nicht gerügt werden.

 

Rz. 83

Die Vorschriften der StPO – und somit auch die Hinweispflicht des Polizeibeamten nach § 136 Abs. 1 S. 2 StPO – gelten nach dem Willen des Gesetzgebers für das Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 46 OWiG sinngemäß.[184] Diese Generalklausel kann nur in Ausnahmefällen durchbrochen werden. Das Schweigerecht als fundamentaler Grundsatz eines fairen Prozessverfahrens, ist vom BVerfG schon immer zu einer der wichtigsten Grundlagen jedes Verfahrens erklärt worden.[185] Generell besteht das Verbot Angaben des Betroffenen gegen seinen Willen zu verwerten.[186] Auch bei Ordnungswidrigkeiten und ihrem im Vergleich zu Straftaten verminderten Unrechtsgehalt ist kein schlagendes Argument ersichtlich, weshalb hiervon abgewichen werden sollte.

 

Rz. 84

Aussagen des Beschuldigten bzw. des Betroffenen, die dieser außerhalb einer offiziellen Vernehmung macht (z.B. spontane Äußerungen nach dem Unfall gegenüber der Polizei) können dagegen auch nach der vorgenannten BGH-Entscheidung verwertet werden. Dies gilt auch für das Ergebnis einer informatorischen Befragung des Tatverdächtigen, die keine Betroffenenvernehmung darstellt.[187] Das Verwertungsverbot besteht ferner nicht, wenn feststeht, dass der Betroffene sein Recht zum Schweigen ohne Belehrung gekannt hat. Das Gleiche gilt, wenn er in der Hauptverhandlung verteidigt wird und der Verwertung zustimmt. Nach der Entscheidung des BGH ist ein Betroffener, der von seinem Aussageverweigerungsrecht gewusst hat, nicht in gleicher Weise schutzbedürftig wie derjenige, der das Schweigerecht nicht kannte.[188] In der Praxis wird allerdings sehr sel...

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