Rz. 175

Verkehrsverstöße werden mit Geldbußen und unter Umständen zusätzlich mit Fahrverbot nach dem bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog geahndet und die daraus resultierenden Punkte werden im Fahreignungsregister (FAER)[370] eingetragen. Die Verteidigung allein am vorgelegten Bußgeldbescheid festzumachen, würde zu kurz greifen; sowohl die Vorgeschichte des Mandanten – welche sich nicht ausschließlich aus dem FAER ergibt – als auch die Folgen einer Ahndung für die Zukunft müssen geprüft und besprochen werden.

[370] Ehemals Verkehrszentralregister (VZR).

I. Bußgeld

 

Rz. 176

Am 9.11.2021 ist der neueste Bußgeldkatalog in Kraft getreten, welcher eine deutliche Erhöhung der Bußgelder festlegt. Bislang spielte für Betroffene die Bußgeldhöhe eine untergeordnete Rolle – vorrangige Problemfelder waren das Fahrverbot und die Punkteeintragung. Dies dürfte sich nunmehr wandeln. Die Anhebung der Geldbußen unter Beibehaltung der Fahrverbotsgrenzen wird unterschiedlich beurteilt. Misslich ist jedenfalls, dass die Systematik zwischen Punkteeintragung und Geldbuße unübersichtlich geworden ist.

 

Praxistipp

Bislang galt die Faustformel, dass eine Geldbuße ab 60 EUR stets Punkte im FAER nach sich zieht. Seit dem 9.11.2021 muss man den konkreten Tatvorwurf betrachten!

So wird eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 16 bis 20 km/h innerorts nunmehr mit 60 EUR und außerorts nunmehr mit 70 km/h geahndet. Eine Punkteeintragung beginnt hingegen nach wie vor jeweils erst ab einer Überschreitung von 21 km/h (Regelbuße: 100 EUR).

 

Rz. 177

Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen sind nur selten Thema; bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie gem. § 17 Abs. 3 OWiG in der Regel unberücksichtigt. Sofern gewöhnliche Umstände vorliegen, hat sich auch das Gericht am Bußgeldkatalog zu orientieren, da dieser als Zumessungsrichtlinie Rechtssatzqualität entfaltet. Dann reicht auch eine schlichte Bezugnahme auf die jeweilige Ziffer der BKatV aus. Liegen hingegen besondere Umstände vor, kann das Gericht durchaus auch zulasten des Betroffenen hiervon abweichen; dann sind diese Umstände aber auch im Urteil festzustellen und individuell zu würdigen.[371] Ist ein Verstoß nicht im Katalog geregelt, kann auf einen vergleichbaren abgestellt werden.[372] Auch bei geringfügigen Erhöhungen des Bußgelds sind Feststellungen hierzu in der Regel nicht erforderlich.[373]

Bei höheren Geldbußen ist die Bewilligung von Zahlungserleichterungen gem. § 18 OWiG von Amts wegen zu prüfen und über die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse hinaus für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar zu bemessen.[374]

 

Praxistipp

Eine Reduktion der hier thematisierten Geldbußen wegen wirtschaftlicher Verhältnisse ist in der Praxis die Ausnahme. Hierbei ist jedenfalls § 28a StVO zu berücksichtigen:

Erfolgt die Reduzierung der Geldbuße unter 60 EUR allein aufgrund der finanziellen Leistungsfähigkeit des Betroffenen, wird dennoch die Punkteeintragung nach dem Regelkatalog vorgenommen.

 

Rz. 178

Eine Reduzierung der Geldbuße kann mit dem Nachtatverhalten begründet werden, bspw. mit der Teilnahme an einer Nachschulung. Ausgehend vom Verkehrserziehungsgedanken ist hier zu prüfen, ob der Betroffene hinreichend für die Zukunft bereichert ist.[375] Eine Erhöhung des Bußgeldes kann in Betracht kommen bei Vorbelastungen, die noch nicht tilgungsreif sind.[376] Auch diesbezüglich ist an die Verwertbarkeit und dieTilgungsreife zu denken. Im Übrigen sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen zu berücksichtigen, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass sie außerordentlich gut oder schlecht sind. Die Arbeitslosigkeit kann einen solchen Anhaltspunkt darstellen.[377] Die Fahrzeugart an sich (z.B. SUV) ist ohne die gebotene Aufklärung und Abwägung aller Umstände kein Grund für eine Bußgelderhöhung.[378] Bei sehr hohen Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Abstandsunterschreitungen kann bei fahrlässigen Delikten vorsätzliches Handeln naheliegen – ob weitere Indizien hierzu vorliegen müssen, bleibt im Einzelfall zu klären.[379] Ansonsten gilt, dass bei fahrlässiger Begehung der Maximalbetrag gem. § 24a Abs. 4 StVG i.V.m. § 17 Abs. 2 OWiG nicht überschritten werden darf.[380]

[371] Göhler/Seitz/Bauer, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 17 Rn 34; BeckOK OWiG/Sackreuther, 30. Ed. 1.4.2021, OWiG, § 17 Rn 111; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 31.5.2022 – 1 OWi 2 SsBs 89/21, BeckRS 2022, 15398 Rn 10.
[373] KG, Beschl. v. 22.5.2019 – 3 Ws (B) 119/19, Rn 25, juris = VRS 136, 116; OLG Köln, Beschl. v. 15.7.2022 - III-1 RBs 198/22 = NStZ 2022, 617.
[374] OLG Oldenburg, Beschl. v. 29.10.2014 – 2 Ss (OWi) 278/14, Rn 7, juris = zfs 2015, 113; KG, Beschl. v. 18.8.2020 – 3 Ws (B) 152/20, Rn 34, juris; BayObLG, Beschl. v. 17.10.2019 – 202 ObOWi 948/19, Rn 9, juris = VA 2020, 36; KG, Beschl. v. 25.8.2022 – 3 Ws (B) 187/22 – 122 Ss 80/22, BeckRS 2022, 29031 Rn 10.
[375] AG Eilenburg, Urt. v. 29.9.2022 – 8 OWi 950 Js 67934/21 m...

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