0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 74 wurde mit Wirkung zum 1.6.1994 durch Art. 1 PflegeVG v. 26.5.1994 (BGBl. I S. 1014) eingeführt und ist am 1.1.1995 in Kraft getreten (Art. 68 PflegeVG). Durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) v. 28.5.2008 (BGBl. I S. 874) wurde mit Wirkung zum 1.7.2008 Abs. 1 Satz 1 um einen Halbsatz ergänzt und Satz 3 angefügt; Abs. 2 Satz 3 wurde geändert.

1 Allgemeines

 

Rz. 1a

Die Vorschrift beschreibt die Modalitäten für die Auflösung von Versorgungsverträgen und sieht hierbei spezifische Regelungen für die ordentliche Kündigung (Abs. 1) und außerordentliche Kündigung (Abs. 2) vor. Die Vorschrift findet auch auf "fiktive" Versorgungsverträge gemäß § 73 Abs. 3 und 4 Anwendung.

2 Rechtspraxis

2.1 Auflösung des Versorgungsvertrags durch Kündigung

 

Rz. 2

Zur Auflösung bestehender Versorgungsverträge gemäß §§ 72, 73 bedarf es der Kündigung durch eine der Vertragsparteien. Mit der Auflösung des Versorgungsvertrages zu dem in der Kündigung ausgesprochenen Zeitpunkt endet für den Träger der Pflegeeinrichtung die generelle Berechtigung, an der pflegerischen Versorgung zu Lasten der Pflegeversicherung teilzunehmen.

 

Rz. 3

Die von dem Leistungserbringer erklärte Kündigung ist ihrer Rechtsnatur nach eine einseitige (empfangsbedürftige) öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die die Vorschriften des BGB über Willenserklärungen entsprechende Anwendung finden (vgl. § 61 SGB X). Als einseitige Willenserklärung kann die Kündigung nur bis zu ihrem Zugang gegenüber der anderen Vertragspartei widerrufen werden (§ 130 Abs. 1 BGB).

Soweit die Kündigung von den Landesverbänden der Pflegekassen ausgesprochen wird, ist ihr Rechtscharakter umstritten. Da in diesen Fällen dem Leistungserbringer sein mit Abschluss des Versorgungsvertrages verliehener Status als zugelassene Pflegeeinrichtung entzogen wird, wird hier die Kündigung in Anlehnung an die Rechtsprechung des BSG zur Kündigung von Versorgungsverträgen im Krankenhausbereich (vgl. BSGE 78 S. 233, 235) zunehmend rechtlich als Verwaltungsakt betrachtet (vgl. KassKomm., Sozialversicherungsrecht, Bd. 2 Rz. 4, 19 zu § 74; a.A. Udsching, SGB XI, § 74 Rz. 3).

 

Rz. 4

Die Vorschrift des § 74 berührt nicht das Recht der Vertragsparteien, im Einvernehmen mit dem zuständigen Träger der Sozialhilfe (vgl. Abs. 1 Satz 1) eine Auflösung des Versorgungsvertrages durch Vereinbarung außerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfristen herbeizuführen.

2.2 Ordentliche Kündigung

 

Rz. 5

Nach Abs. 1 Satz 1 kann der Versorgungsvertrag von jeder Vertragspartei mit einer Frist von einem Jahr ganz oder teilweise gekündigt werden (ordentliche Kündigung).

 

Rz. 6

Während eine Kündigung durch den Träger der Pflegeeinrichtung an keine Voraussetzungen gebunden ist und demzufolge keiner Begründung bedarf, ist eine Kündigung durch die Landesverbände der Pflegekassen nur statthaft, wenn die zugelassene Pflegeeinrichtung nicht nur vorübergehend eine der gesetzlichen Anordnungen des § 72 Abs. 3 Satz 1 nicht oder nicht mehr erfüllt. Zum Schutz der Träger der Pflegeeinrichtungen besteht daher eine Berechtigung zur (fristgerechten) Kündigung nur, soweit

  • die begrifflichen Voraussetzungen der an der Pflegeversorgung teilnehmenden Pflegeeinrichtungen (Pflegedienste, Pflegeheime) nach Maßgabe des § 71 nicht oder nicht mehr in vollem Umfange erfüllt sind (Abs. 1 Satz 1 HS 1)

    und/oder

  • die betroffenen Pflegeeinrichtungen nicht mehr die Gewähr für eine leistungsfähige oder wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten (Abs. 1 Satz 1 HS 1)

    und/oder

  • die Pflegeeinrichtung ihre Pflicht wiederholt gröblich verletzt, Pflegebedürftigen ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu bieten, die Hilfen darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen wiederzugewinnen oder zu erhalten und angemessenen Wünschen der Pflegebedürftigen zur Gestaltung der Hilfe zu entsprechen (Abs. 1 Satz 1 HS 2).

Der durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz mit Wirkung zum 1.7.2008 gemäß Abs. 1 Satz 1 HS 2 ergänzend in das Gesetz aufgenommene ordentliche Kündigungstatbestand soll nach dem Willen des Gesetzgebers dem hohen Stellenwert Rechnung tragen, der der Verwirklichung der in § 2 normierten Selbstbestimmungsrechte zukommt.

Gemeinsam für alle Kündigungstatbestände gilt, dass sie nicht nur vorübergehend vorliegen dürfen. Soll daher die Kündigung z.B. auf unwirtschaftliche Betriebsführung gestützt werden, muss diese wiederholt festgestellt oder nicht mehr behebbar sein. Auch darf es sich nicht nur um geringfügige Unwirtschaftlichkeiten handeln, die durch Abstriche in der Leistungsvergütung ausgeglichen werden könnten (so BR-Drs. 505/93 S. 138). Nur vorübergehender Natur sind denknotwendig ferner Kündigungstatbestände, die bei Beendigung der vertraglichen Zulassung nicht mehr vorliegen, d.h. nach Ausspruch der Kündigung innerhalb der Jahresfrist entfallen sind.

 

Rz. 7

Da eine Kündigung des Versorgungsvertrages durch die Landesverbände der Pflegekassen nicht selten die Belange von Sozialhilfeempfängern tangiert, schreib...

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