Rz. 35

Die von der Rechtsprechung entwickelte Günstigkeitsprüfung greift dann, wenn eine Frau bei der Krankenkasse vor der Entbindung Mutterschaftsgeld beantragt hat und aufgrund des voraussichtlichen Entbindungstages und der sich daraus ergebenden Schutzfristen wegen fehlender Anspruchsvoraussetzungen kein Anspruch auf Mutterschaftsgeld realisiert werden kann. In diesen Fällen kann die Frau nach erfolgter Entbindung unter Vorlage der Geburtsurkunde bei der Krankenkasse beantragen, dass diese ausgehend vom tatsächlichen Entbindungstag eine erneute Überprüfung des Anspruchs vornimmt (GR v. 06.12.2017-II i.d.F. v. 23.03.2022, Abschn. 9.2.2.7).

 
Praxis-Beispiel

Eine Frau soll laut einer ärztlichen Bescheinigung am 13.11. entbinden. Die Schutzfrist und damit der leistungsauslösende Tatbestand für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld beginnt somit 6 Wochen vorher – also am 2.10. Das lediglich auf 3 Monate befristete, krankenversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis der Frau endet wegen Zeitablauf bereits am 30.9. An diesem Tag endet auch die den Anspruch auf Mutterschaftsgeld begründende Mitgliedschaft. Ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld besteht deshalb nicht (ein nachgehender Leistungsanspruch gemäß § 19 Abs. 2 SGB V reicht für die Begründung eines Mutterschaftsgeldanspruchs nicht aus).

Die Frau entbindet jedoch tatsächlich bereits 2 Tage früher als erwartet – nämlich am 11.11. – und legt der Krankenkasse zwecks Feststellung des Anspruchs auf Mutterschaftsgeld die Geburtsbescheinigung vor.

Lösung:

Die Frau kann jetzt Mutterschaftsgeld beanspruchen.

Hätte sich nämlich der Arzt nicht "geirrt", hätte die Frau – ausgehend vom 42. Tag vor dem tatsächlichen Entbindungstag – noch Mutterschaftsgeld beanspruchen können, weil am 30.9. noch eine Mitgliedschaft bestanden hätte. Deshalb gilt der 30.9. als fiktiver leistungsauslösender Tatbestand mit der Folge, dass die Frau einen Anspruch auf Mutterschaftsgeld ab dem 30.9. hat.

 

Rz. 36

Anmerkungen zu dem Beispiel von Rz. 35:

  1. Die Günstigkeitsprüfung ist von der Frau, die – ausgehend vom voraussichtlichen Entbindungstag – keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld hat, nach der Geburt ausdrücklich zu beantragen (vgl. § 19 SGB IV). Eine Prüfung durch die Krankenkasse von Amts wegen erfolgt nicht.
  2. In dem Beispiel setzt die Zahlung von Mutterschaftsgeld wegen der bis einschließlich 30.9. erbrachten Arbeitsleistung erst am 1.10. ein, und zwar für die volle Anspruchsdauer (insgesamt 99 bzw. 127 Tage; vgl. § 24i Abs. 3 Satz 2, Abschn. 9.4.3.1.1 des GR v. 06.12.2017-II i.d.F. v. 23.03.2022); § 24i Abs. 4 ist nicht anzuwenden.
  3. Die neue Prüfung führt niemals zu einer Änderung des Beginns der arbeitsrechtlichen Schutzfrist i. S. d. § 3 Abs. 1 MuSchG. In dem Beispiel beginnt die Schutzfrist weiterhin am 2.10. Wenn also ein Arbeitgeber immer am letzten Tag eines Monats das Arbeitsentgelt für den ablaufenden Monat abrechnet, sind die letzten 3, der Berechnung des Mutterschaftsgeldes zugrundeliegende Kalendermonate die Monate Juli, August und September.

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