Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfügungsantrag auf den Erlass einer Befriedigungsverfügung. Auslegung des Klage- oder Verfügungsantrags. Pflegebedürftigkeit des Vaters als Verfügungsanspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 FPfZG. Rechtsmissbräuchliches Familienpflegezeitverlangen. Einwand der sog. Selbstwiderlegung im einstweiligen Rechtsschutz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Im einstweiligen Rechtsschutz muss bei der Befriedigungsverfügung, die in der Regel eine Leistungsverfügung ist, das Gesuch auf eine konkrete Maßnahme gerichtet sein. Denn bei ihr ist - abgesehen von dem schnelleren Verfahren und der Einstweiligkeit der begehrten Maßnahme - diese mit der im Hauptsacheverfahren angestrebten endgültigen Rechtsfolge identisch.

2. Bei der Auslegung eines Klage- oder Verfügungsantrags ist nicht an dessen buchstäblichem Sinn zu haften, sondern der wirkliche Wille der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht.

3. Wird die Pflegebedürftigkeit des Vaters nach § 2 Abs. 4 Satz 1 FPfZG ordnungsgemäß nachgewiesen, folgt der Verfügungsanspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 FPfZG, wenn der Arbeitgeber als Antragsgegner gegenüber der angestrebten Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit keine entgegenstehenden betrieblichen Gründe nach § 2a Abs. 2 Satz 2 FPfZG geltend macht.

4. Liegen im Einzelfall besondere Umstände vor, die darauf schließen lassen, der Arbeitnehmer wolle die ihm gemäß §§ 2 und 2a FPfZG zustehenden Rechte zweckwidrig dazu nutzen, unter Inkaufnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und der Arbeitsvergütung einen kündigungsschutzrechtlichen Vorteil gegenüber anderen Arbeitnehmern zu erlangen, kann dies die Annahme eines gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlichen Familienpflegezeitverlangens rechtfertigen.

5. Die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Befriedigungs- oder Regelungsverfügung wird verneint, wenn der Antragsteller in Kenntnis der maßgeblichen Umstände untätig bleibt und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung erst nach längerer Zeit stellt. Der den einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmende Arbeitnehmer widerlegt durch langes Zuwarten die nach § 940 ZPO erforderliche Dringlichkeit einer einstweiligen Verfügung.

 

Normenkette

ZPO § 139 Abs. 1, § 253 Abs. 2 Nr. 2, §§ 894, 940; BGB § 242; FPfZG § 2 Abs. 1, 4, § 2a Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 19.09.2016; Aktenzeichen 6 Ga 16/16)

 

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 19.09.2016 - 6 Ga 16/16 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Dem Antragsteller wird bis zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens das Recht eingeräumt, die wöchentliche Arbeitszeit auf 37 Stunden wöchentlich bei Verteilung auf die Arbeitszeit von Montag bis Donnerstag zu reduzieren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

 

Tatbestand

Der Antragsteller strebt im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eine Vereinbarung bzw. Regelung zur Familienpflegezeit an.

Von der Darstellung des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird nach § 69 Abs. 2 ArbGG unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 59 R - Bl. 61 R d. A.) abgesehen.

Das Arbeitsgericht Bielefeld hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urteil vom 19.09.2016 - 6 Ga 16/16 - zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Bl. 62 - 62 R d. A.).

Das Urteil ist dem Antragsteller am 21.09.2016 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich die am 30.09.2016 eingelegte und mit dem am 08.11.2016 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Der Antragsteller wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage gegen das erstinstanzliche Urteil. Er trägt ergänzend vor:

Allein die Zurückweisung seines Wunsches zur Pflege des XX Jahre alten Vaters, mit dessen Ableben jederzeit gerechnet werden müsse, führe zu einem wesentlichen Nachteil i. S. v. § 940 ZPO. Die Durchsetzung des Wunsches nach persönlicher Teilhabe an der Pflege einer pflegebedürftigen nahestehenden Person sei von sehr hohem Wert. Die Berücksichtigung der Möglichkeit einer Heranziehung Dritter für die Pflege stelle in diesem Zusammenhang eine sachfremde Erwägung dar. Für die Interessenabwägung komme es auch nicht auf eine drohende Gesundheitsgefährdung des zu pflegenden Angehörigen an. Die Antragsgegnerin habe keine dringenden betrieblichen Gründe gegen die Familienpflegezeit eingewandt, sondern sich nur auf ein angeblich rechtsmissbräuchliches Familienpflegezeitverlangen berufen. Sie sei in ihrer betrieblichen Organisation nicht eingeschränkt. Auf die Regelungen des Pflegezeitgeset...

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