Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsvereinbarung über Sonderkündigungsschutz. Wirksamkeit Betriebsvereinbarung. Verstoß gegen gesetzliche Regelung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG bezieht sich ausweislich des Gesetzeswortlauts auf "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen". Unter "sonstigen Arbeitsbedingungen" sind alle Regelungen zu verstehen, die Gegenstand der Inhaltsnorm eines Tarifvertrages sein können. Dies ist bei der Regelung eines Sonderkündigungsschutzes für Arbeitnehmer der Fall.

 

Normenkette

BetrVG § 77 Abs. 3; MTV § 17; BetrVG § 111

 

Verfahrensgang

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 19.04.2013; Aktenzeichen 1 BV 330/12)

 

Nachgehend

BAG (Beschluss vom 20.01.2015; Aktenzeichen 1 ABR 1/14)

 

Tenor

  • I.

    Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.04.2013, 1 BV 330/12, wird zurückgewiesen.

  • II.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit und den Bestand einer Betriebsvereinbarung, die einen betriebsverfassungsrechtlichen Sonderkündigungsschutz für langjährig Beschäftigte regelt.

Die Antragsgegnerin, die bis zum 30.06.2012 als X. AG firmierte, ist ein Dienstleister, insbesondere auf dem Gebiet der Servicierung von Bankportfolien. Sie unterliegt dem Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für das Bankgewerbe (im Folgenden: MTV). Der Antragsteller ist der bei der Antragsgegnerin gewählte Betriebsrat.

Spätestens seit dem Jahr 1969 - ein früherer Zeitpunkt ist nicht feststellbar - existiert im Betrieb der Antragsgegnerin eine Betriebsvereinbarung, die unter § 4 (im Folgenden: § 4 BV) Folgendes regelt:

"Mitarbeiter/-innen, die mehr als zwanzig Jahre ununterbrochen in der Bank tätig gewesen sind, können nur aus einem in ihrer Person liegenden wichtigen Grund gekündigt werden."

Die Betriebsvereinbarung wurde in der Vergangenheit mehrfach - zuletzt am 18.12.2009 - erneut abgeschlossen, wobei § 4 im Wortlaut nicht verändert wurde.

Die Regelung des § 4 BV wurde bisher zu keinem Zeitpunkt relevant, weil bei der Antragsgegnerin keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen worden sind.

Mit dem 12.11.1975 wurde ausweislich des von der Antragsgegnerin zur Akte gereichten "Tarifvertrag zur Änderung des Manteltarifvertrages" in § 17 Ziffer 3 MTV folgende Regelung aufgenommen:

"Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören, sind nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes und bei Betriebsänderungen im Sinne des § 111 BetrVG kündbar.

Das gilt nicht, wenn ein Anspruch auf Altersruhegeld bzw. vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder Rente wegen Erwerbsminderung geltend gemacht werden kann. Im Fall des Eintretens der teilweisen Erwerbsminderung und der teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit entfällt der Kündigungsschutz nur unter der weiteren Voraussetzung, dass für den Arbeitnehmer kein seinem Leistungsvermögen angemessener Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt worden ist oder werden kann.

Die Möglichkeit der Änderungskündigung bleibt unberührt. Für die Verdienstsicherung gilt § 7 Ziffer 5 MTV."

§ 19 Ziffer 3 MTV regelt - und zwar unverändert seit dem 01.11.1954 - Folgendes:

"Günstigere Arbeitsbedingungen, auf die ein Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarung oder kraft eines besonderen Arbeitsvertrages Anspruch hat, bleiben bestehen."

1983 vereinbarten die Tarifvertragsparteien ein Rationalisierungsschutzabkommen (im Folgenden: RSA) zur Absicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen bei Rationalisierungsmaßnahmen. Nach § 11 RSA in der Fassung vom 10.06.2010 ist geregelt, dass "günstigere gesetzliche, tarifliche und günstigere betriebliche oder einzelvertragliche Bestimmungen von diesem Abkommen unberührt bleiben".

Seit dem Jahr 2001 hat die Antragsgegnerin in Arbeitsverhältnissen mit sogenannten Vertragsangestellten (außertariflich Beschäftigten) die Anwendung von § 4 der Betriebsvereinbarung arbeitsvertraglich ausgeschlossen.

Mit Schreiben vom 14.05.2012 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, nach ihrer Auffassung könne § 4 BV allenfalls für die vor dem 12.11.1975 angestellten Beschäftigten greifen. Für alle nach diesem Zeitpunkt geschlossenen Arbeitsverhältnisse sei § 4 BV wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.

Mit Schreiben vom 04.12.2012 hat die Antragsgegnerin die Betriebsvereinbarung vorsorglich zum 30.06.2013 gekündigt.

Aufgrund des bei der Antragsgegnerin bestehenden Haustarifvertrages "Tarifvertrag zur Restrukturierung und Beschäftigungssicherung bei der X. AG" (im Folgenden: HTV) vom 20.12.2011 sind betriebsbedingte Kündigungen bis zum 31.12.2013 ausgeschlossen. § 12 HTV enthält ebenfalls die Regelung, dass günstigere gesetzliche, tarifliche und günstigere bestehende betriebliche oder einzelvertragliche Bestimmungen von diesem Tarifvertrag unberührt bleiben.

Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, § 4 BV sei nicht gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG wegen Verstoßes gegen...

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