Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsteilübergang. Prozessvergleich mit Betriebsveräußerer

 

Leitsatz (amtlich)

1. Werden in einem Unternehmen mit zahlreichen Filialen zunächst ein Großteil davon geschlossen und die nach einer Sozialauswahl verbliebenen Arbeitnehmer auf die restlichen Filialen verteilt, so werden von einem Übergang dieser Filialen auf einen Erwerber auch die Arbeitsverhältnisse derjenigen Arbeitnehmer erfasst, deren Arbeitsverhältnis nicht wirksam gekündigt worden ist oder bei denen die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen war.

2. Ein Arbeitnehmer, der mit dem kündigenden Veräußerer des Betriebs im Kündigungsschutzprozess die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zu einem nach dem Betriebsübergang liegenden Zeitpunkt vereinbart, ist gehindert, gegenüber dem Erwerber einen Fortbestand über diesen Tag hinaus geltend zu machen.

 

Normenkette

BGB § 613a Abs. 1 S. 1; ZPO § 265 Abs. 2 S. 1, § 256 Abs. 1, §§ 259, 533 Nr. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 10.06.2005; Aktenzeichen 28 Ca 13727/05)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 30. September 2005 – 28 Ca 13727/05 – teilweise geändert.

2. Die Klägerin hat in der Zeit vom 01. bis 31. Mai 2005 in einem Arbeits-verhältnis zu den Bedingungen wie zwischen ihr und der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG zur Beklagten gestanden.

3. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 3/4 und die Beklagte zu 1/4 zu tragen.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin stand seit dem 01. Januar 1999 als Filialleiterin in den Diensten der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG.

Gemäß einem Interessenausgleich vom 23./24. Februar 2005 (Abl. Bl. 80 – 85 d.A.) wurden 47 der 79 Filialen dieses Unternehmens geschlossen und zur Anpassung des Personalbestands eine filialübergreifende Sozialauswahl unter Aufstellung einer Namensliste der zu entlassenden Arbeitnehmer durchgeführt. Dementsprechend wurde der Klägerin, die in einer geschlossenen Filiale beschäftigt worden war, mit Schreiben vom 28. Februar 2005 durch den an diesem Tag bestellten Insolvenzverwalter über das Vermögen ihrer Arbeitgeberin zum 30. April 2005, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, gekündigt. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 01. März 2005 zu.

Mit Wirkung zum 01. Mai 2005 übernahm die Beklagte die noch verbliebenen 31 Filialen. Die Klägerin, die sich zunächst gegen die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt hatte, ist der Ansicht, dieses sei infolge Betriebsübergangs auf die Beklagte übergegangen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die entsprechende Feststellungsklage und den Antrag auf Weiterbeschäftigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht vortragen können, zuletzt in einer der 31 übernommenen Filialen eingesetzt gewesen zu sein. Folglich sei ihr Arbeitsverhältnis nicht vom Übergang der betrieblichen Organisationseinheit(en) betroffen gewesen. Ob ihre Arbeitgeberin oder der Insolvenzverwalter gehalten gewesen sei, sie vor der Veräußerung im Hinblick auf die Grundsätze der Sozialauswahl einer übernommenen Filiale durch eine Versetzung zuzuordnen, sei für den hiesigen Rechtsstreit ohne Belang.

Gegen dieses ihr am 07. Oktober 2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 04. November 2005 eingelegte und am 25. November 2005 begründete Berufung der Klägerin. Sie ist der Ansicht, dass ihre Filiale Bestandteil der „W.-Filialkette” gewesen sei. Dieser Betrieb sei trotz Schließung von 47 Filialen als unverändertes Substrat auf die Beklagte übergegangen. Zudem habe der spätere Insolvenzverwalter bei Abschluss des Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat die Zuordnung sämtlicher Mitarbeiter zu den jeweiligen Filialen nicht davon abhängig gemacht, in welcher dieser Filialen die Mitarbeiter zuletzt beschäftigt gewesen seien. Nach Durchführung der Sozialauswahl seien die verbliebenen Mitarbeiter auf die restlichen Filialen neu verteilt worden.

Die Klägerin beantragt

  1. festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis zu den Bedingungen wie zwischen ihr und der Foto-Radio-W. Filial-GmbH & Co. KG bestehe,
  2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Filialleiterin in Berlin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, im Hinblick auf einen nach Einlegung der Berufung geschlossenen Prozessvergleich im Kündigungsschutzprozess, wonach das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 31. Mai 2005 geendet habe, sei deren Rechtsschutzinteresse entfallen und könne diese auch keine Weiterbeschäftigung mehr verlangen. Zudem sei es zu keinem Betriebsübergang gekommen, weil sie lediglich 40 % der vormaligen Filialen ohne die Verwaltung übernommen habe. Auch ein Betriebsteilübergang liege nicht vor, weil die einzelnen Filialen keine wirtschaftliche Einheit darstellten. Jedenfalls habe die Klägerin zu keiner der übernommenen Filialen gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbr...

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