0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Regelung ist mit Wirkung zum 1.1.1997 durch Art. 1 § 87 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz (UVEG) v. 7.8.1996 (BGBl. I S. 1254) an die Stelle des § 577 RVO getreten. Durch das 7. Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze v. 12.6.2020 (BGBl. I S. 1248) wurde Satz 1 mit Wirkung zum 1.1.2021 redaktionell angepasst.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Durch die Vorschrift soll vermieden werden, dass ein nach der Regelberechnung (§ 82), nach den Vorschriften für Berufskrankheiten (§ 84) oder nach der Regelung über den Mindest- und Höchst-Jahresarbeitsverdienst (§ 85) festgesetzter Jahresarbeitsverdienst (JAV) die Versicherte unbillig benachteiligt oder ihnen einen unbilligen Vorteil bringt.

2 Rechtspraxis

 

Rz. 3

Die Vorschrift über die Festsetzung des JAV nach billigem Ermessen gilt für die erstmalige Festsetzung des JAV. Für Neufeststellungen gelten die §§ 90, 91.

 

Rz. 4

Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist grundsätzlich zunächst die Berechnung des JAV nach den §§ 82, 84 und 85. Stellt die Berufsgenossenschaft in Kenntnis der tatsächlich gegebenen Einkommenssituation der versicherten Person eine erhebliche Unbilligkeit fest, so wird nach pflichtgemäßem Ermessen der JAV innerhalb der Grenzen von Mindest- und Höchst-JAV festgestellt, der die Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV für die Berechnung des JAV zugrunde legt. Die Bezugsgröße liegt 2022 für die alten Bundesländer bei 39.480,00 EUR (3.290,00 EUR monatlich). Für das Beitrittsgebiet liegt sie bei 37.800,00 EUR (3.150,00 EUR monatlich). Der Höchst-JAV gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 liegt 2022 bei 78.960,00 EUR (Zweifache der Bezugsgröße für die alten Bundesländer – Bezugsgröße West – gemäß § 18 Abs. 1 SGB IV). Er kann per Satzung gemäß Abs. 2 Satz 2 höher bestimmt werden (vgl. insoweit die Komm. in Rz. 7 zu § 85).

 

Rz. 5

Das Ermessen der Unfallversicherungsträger bezieht sich nur auf die Höhe des zu korrigierenden JAV. Die Beurteilung der Berufsgenossenschaft , ob und inwieweit die Regelberechnung nach den §§ 82, 84 und 85 eine Unbilligkeit darstellt, ist durch das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles uneingeschränkt überprüfbar (BSG, Urteil v. 18.3.2003, 2 U 15/02 m. w. N.).

 

Rz. 6

Hinsichtlich der Korrektur der JAV-Berechnung ist im Hinblick auf Satz 2 der Vorschrift in Fällen erheblicher Abweichungen von den üblicherweise zugrunde zu legenden Einkommensverhältnissen sowohl nach oben als auch nach unten darauf abzustellen, ob diese Einkünfte von gewisser Dauer sind, also die Einkommenssituation der verletzten Person geprägt haben. Lediglich vorübergehende veränderte Erwerbsmöglichkeiten genügen regelmäßig nicht, um die Anwendung des § 87 zu rechtfertigen. Denn kurzzeitige Ausschläge im Rahmen der Einkommensverhältnisse lassen per se keine Rückschlüsse auf besondere Fähigkeiten zu, die sich erheblich einkommenssteigernd auf den weiteren beruflichen Werdegang der versicherten Person auswirken könnten.

 

Rz. 7

So kann von einer gewissen Dauer der Einkommensverhältnisse ausgegangen werden, wenn sich das höhere oder niedrigere Einkommen mindestens in den 12 Kalendermonate vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist, auf den Lebensstandard nicht unerheblich ausgewirkt hat. Der Einkommenszeitraum von 12 zusammenhängenden Kalendermonaten vor dem schädigenden Ereignis wird von Gesetzes wegen auch bei der Regelberechnung des JAV gemäß § 82 Abs. 1 SGB VII zugrunde gelegt.

 

Rz. 8

Bei den nach Satz 2 zu berücksichtigenden Kriterien handelt es sich aufgrund des Wortlauts ("insbesondere") nicht um eine abschließende Aufzählung. Die Kriterien müssen im Zeitpunkt des Versicherungsfalles vorgelegen haben, um bei der Ermessensentscheidung Berücksichtigung finden zu können. Dies bedeutet beispielsweise außergewöhnliches Talent, eine ganz besondere Ausbildung oder eine überragende Befähigung, die in einem eklatant höheren Einkommen innerhalb der letzten 12 Monate vor dem Eintritt des Versicherungsfalles ihren Niederschlag gefunden haben.

3 Literatur

 

Rz. 9

Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 87 Rz. 3.

Kater/Leube, SGB VII, § 87 Rz. 3.

Kunze, in: LPK-SGB VII, 2. Aufl., § 87 Rz. 10.

Lauterbach-Dahm, UV-SGB VII, § 87 Rz. 12a.

Ricke, in: KassKomm, SGB VII, § 87 Rz. 8.

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