Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Listen-Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2112. Wie-Berufskrankheit. neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft. arbeitstechnische Voraussetzung. tatsächliche Vermutung. haftungsbegründende Kausalität. Beurteilungskriterien für die Wesentlichkeit einer Ursache. Gonarthrose. Adipositas. Fliesenleger. Streitgegenstand. Sachverständigenbeirat. Kniebelastende Tätigkeit. Vorwirkung einer Gesetzesänderung. Konkurrierende Ursache. MdE

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Anerkennung einer "Wie"-BK einerseits und einer Listen-BK andererseits handelt es sich um verschiedene Streitgegenstände im Sinne verschiedener Ansprüche (vgl zuletzt BSG vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R = SozR 4-2700 § 9 Nr 17).

2. Ein Anspruch auf Anerkennung der Gonarthrose als "Wie"-BK nach § 9 Abs 2 SGB 7 erlischt nicht durch die Einführung der BK Nr 2112 Anl 1 BKV.

3. Aus der Erfüllung der nach dem Verordnungstext der BK Nr 2112 Anl 1 BKV geforderten 13.000 Stunden kniebelastender Tätigkeit ergibt sich eine tatsächliche Vermutung für die Verursachung der Gonarthrose als zumindest (auch) wesentliche Teilursache einer bestehenden Gonarthrose.

4. Die Anwendung einer tatsächlichen Vermutung aus der eingeführten Listen-BK Nr 2112 Anl 1 BKV auf die Anerkennung einer Gonarthrose als "Wie"- BK stellt keine unzulässige Vorwirkung von Gesetzen dar, weil dieses Verbot nur bei Eingriffen zu Lasten des Bürgers, nicht jedoch zu seinen Gunsten gilt.

5. Adipositas scheidet laut Verordnungsbegründung als konkurrierender Faktor aus und kann die tatsächliche Vermutung nicht widerlegen.

 

Orientierungssatz

Gesichtspunkte für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache sind insbesondere die versicherte Ursache bzw das Ereignis als solches einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, konkurrierende Ursachen unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens und Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen der erstbehandelnden Ärzte sowie der gesamten Krankengeschichte. Trotz dieser Ausrichtung am individuellen Versicherten ist bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs im Einzelfall der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und Gesundheitsschäden zugrunde zu legen. Letzterer bestimmt sich unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde.

 

Normenkette

SGB VII § 9 Abs. 1-2, § 56 Abs. 2 S. 1; BKV Anl. 1 Nr. 2112; ZPO § 287

 

Tenor

I. Die Berufungen der Beklagten und des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 2. März 2007 werden zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger ¾ der ihm entstandenen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer beidseitigen Kniegelenksarthrose als “Wie„- Berufskrankheit, nach § 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebes Buch (SGB VII) streitig.

Der Kläger ist 1952 geboren und von Beruf Fliesenleger. Seit 1967 war er in diesem Beruf ununterbrochen tätig. Mit am 12. September 2002 bei der Beklagten eingegangenem Arztbrief des Dr. PR. wurde der Verdacht des Bestehens einer Berufskrankheit angezeigt mit der Begründung, dass der Kläger im Jahre 1973 während der Arbeit beim Aufstehen starke Schmerzen im linken Kniegelenk verspürt habe, die durch einen Meniskusriss entstanden seien. Der Meniskusriss sei nunmehr operiert worden. In der Folge habe sich eine sekundäre Arthrose des medialen Gelenkabschnitts am linken Kniegelenk entwickelt. Die Beklagte leitete ein Verfahren wegen des Verdachts des Bestehens einer Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) ein, in welchem der Kläger angab, in der Zeit von 1967 bis 1971 eine Ausbildung zum Fliesenleger absolviert, von 1972 bis 1973 Wehrdienst geleistet und von 1974 bis ins Jahr 2002 beruflich mit der Verlegung von Wand und Bodenfliesen beschäftigt gewesen zu sein, wobei er zirka 40 Prozent der Arbeitszeit kniend verbracht habe. Im Zeitraum von 1958 bis 1978 habe er in der Freizeit Fußball und Handball gespielt. Beschwerden seien erstmals 1976 aufgetreten. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 18. Oktober 2002, derzufolge der Kläger von 1970 bis 2002 beruflich überdurchschnittlich den Meniskus belastend tätig gewesen sei, so dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK der Nr. 2102 erfüllt seien. Dr. XY. vertrat in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2003 die Auffassung, dass im Bereich des rechten Kniegelenks eine sekundäre Meniskopathie vorliege, die für eine Berufskrankheit nach Nr. 2102 der Anlage zur BKV irrelevant sei. Es ließen sich eine deutliche Chondropathie am medialen Tibiakopf und am femoropatellaren Gleitlager sowie deutliche bis schwere Knorpelschäden II bis III gradig an der medialen Femurrolle finden. Am linken Kniegel...

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