Rz. 63

In bestimmten Fallgruppen kann jegliche Haftungsinanspruchnahme eines Arbeitgebers – sowohl eine vorrangige als auch eine nachrangige – ermessenswidrig sein.[1] Der Kasuistik liegt überwiegend die Erwägung zugrunde, dass ein Arbeitgeber einerseits für Fehler innerhalb seiner Herrschaftssphäre verschuldensunabhängig haftet, dafür aber nicht für Fehler verantwortlich gemacht werden kann, deren Ursache außerhalb seiner Herrschaftssphäre, insbesondere im Bereich der Finanzverwaltung, liegt.[2] Ist die Ursache eines Fehlers sowohl beim Arbeitgeber als auch bei der Finanzverwaltung gegeben, so ist das Mitverschulden der Finanzverwaltung entsprechend dem Rechtsgedanken des § 254 BGB zu berücksichtigen.[3] Allerdings muss das Fehlverhalten des FA ein erhebliches sein.[4] Der Arbeitgeber ist für eine Zurechenbarkeit eines Fehlers außerhalb seiner Herrschaftssphäre beweispflichtig.[5]

 

Rz. 64

Bei der Zuordnung der Fehlerursache ist davon auszugehen, dass es einem Arbeitgeber obliegt, sich zwecks eines vorschriftsmäßigen LSt-Einbehalts über die einschlägigen Gesetze, Verordnungen und Richtlinien der Finanzverwaltung zu unterrichten. Ist die Rechtslage zweifelhaft, so darf er nicht auf sein eigenes Urteil vertrauen, sondern muss eine Anrufungsauskunft beim Betriebsstätten-FA nach § 42e EStG einholen.[6] Die Anrufungsauskunft bindet allerdings nur das Betriebsstätten-FA, nicht aber mangels dessen Mitwirkung das Wohnsitz-FA des Arbeitnehmers. Letzteres kann bei dessen ESt-Veranlagung im ESt-Verfahren den Arbeitnehmer uneingeschränkt in Anspruch nehmen.[7] Das Unterlassen einer Anrufungsauskunft in schwierigen Fällen steht der Annahme eines entschuldbaren Rechtsirrtums regelmäßig entgegen.[8] Der Arbeitgeber kann sich auch nicht darauf verlassen, dass der von ihm vorgenommene LSt-Abzug einwandfrei ist, wenn sein Verfahren bei einer LSt-Außenprüfung nicht beanstandet worden ist.

 

Rz. 65

Ein Arbeitgeber kann sich jedoch darauf verlassen, dass die von ihm angewendete LSt-Abzugsmethode zutreffend ist, wenn sie schon Gegenstand einer vorausgegangenen LSt-Außenprüfung gewesen und vom Vorprüfer nicht beanstandet worden war. Gleiches gilt, wenn das FA nach einer LSt-Außenprüfung Kenntnis vom Fehler des Arbeitgebers erlangt, ihn aber hierauf nicht aufmerksam gemacht hat oder wenn der Fehler durch eine frühere LSt-Außenprüfung hervorgerufen worden war und der Prüfer den Arbeitgeber in seinem Rechtsirrtum noch bestärkt hatte.[9] Ein Arbeitgeber kann auch nicht in Anspruch genommen werden, wenn sein LSt-Abzug Richtlinien, Erlassen oder Verfügungen der Finanzbehörden des Bundes oder der Länder entspricht, selbst wenn er diese nicht gekannt hat.[10] Das Gleiche gilt im Falle einer Billigkeitsregelung der Finanzverwaltung.[11] Ein Arbeitgeber befindet sich weiterhin auch in einem unverschuldeten Rechtsirrtum, wenn er sich beim LSt-Abzug nach einer höchstrichterlichen Rspr. gerichtet hatte, die sich später geändert hat, oder wenn er auf die Angaben in einem Manteltarifvertrag über die Steuerfreiheit von Bezügen vertraut hatte.[12]

 

Rz. 66

Ein der Finanzverwaltung zurechenbarer Fehler, der zum Ausschluss der Haftung des Arbeitgebers führt, ist schließlich dann anzunehmen, wenn der Fehler zwar zunächst dem Arbeitgeber beim Einbehalt der LSt unterlaufen war, dann aber das FA bei der ESt-Veranlagung des Arbeitnehmers denselben Fehler begangen hat und dessen Veranlagung nunmehr bestandskräftig und nicht mehr nach § 173 AO änderbar ist.[13]

 

Rz. 66a

In der Sphäre des FA liegende Umstände, die eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers unbillig erscheinen lassen, hat der BFH[14] schließlich auch dann angenommen, wenn eine Nachforderung vom Arbeitnehmer daran scheitert, dass das FA ihn bestandskräftig zur ESt ohne die Möglichkeit einer Änderung nach § 173 AO veranlagt hat. Ein solcher, aus der Sphäre des FA stammender Umstand, fehlt hingegen, wenn eine Nachforderung infolge Vermögenslosigkeit des Arbeitnehmers nicht durchsetzbar ist.

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