Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusicherung. verbindliche Zusage. unverbindliche Auskunft. Verjährung. Erklärungswillen. Anerkennung als Asylberechtigter. Schriftform. Zusicherung eines rechtswidrigen Verhaltens. Änderung der Rechtslage

 

Leitsatz (amtlich)

  • In einem Hinweis auf einem Ablehnungsbescheid, nach Anerkennung als Asylberechtigter stehe rückwirkendes Kindergeld ab Einreise zu, kann eine Zusicherung iS von § 34 SGB X liegen.
  • Teil der Regelungen eines Bescheides können auch solche Erklärungen sein, welche der Unterschrift nachfolgen.
 

Normenkette

BKGG §§ 1, 9 Abs. 3-4; SGB X §§ 33-34; SGB I §§ 15, 45; BGB § 133

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.08.1992; Aktenzeichen L 6 Kg 3/92)

SG Mainz (Urteil vom 17.12.1991; Aktenzeichen S 4 Kg 28/92)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. August 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt nach seiner Anerkennung als Asylberechtigter rückwirkend Kindergeld über die 4-Jahres-Frist hinaus.

Er ist türkischer Staatsangehöriger und hält sich seit April 1980 in der Bundesrepublik Deutschland auf, wo er im gleichen Monat um Asyl nachsuchte. Ab Mai 1980 war er in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt bzw arbeitslos. Am 7. Mai 1985 beantragte der Kläger, ihm für seine drei in der Türkei lebenden Kinder Kindergeld zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, nachdem sie erfahren hatte, daß der Kläger Asylbewerber war (Bescheid vom 31. Mai 1985). Die Rückseite des Bescheides war mit den Hinweisen versehen:

“Sollte Ihnen das Asylrecht durch bindende Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bzw rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zuerkannt werden, wird damit rückwirkend der Statuts als Flüchtling festgestellt (§§ 43, 44, 45 AuslG). Asylanten sind aufgrund des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 S 559) Deutschen gleichgestellt, die hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. In Anlehnung an den in § 9 Abs 3 und 4 BKGG enthaltenen Rechtsgedanken ist Kindergeld ab der Einreise zu gewähren, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Feststellung des Asylrechts bindend bzw rechtskräftig geworden ist.

Ich stelle Ihnen deshalb anheim, zu gegebenen Zeitpunkt rechtzeitig erneut Antrag auf Kindergeld zu stellen.”

Durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Januar 1990 war der Kläger als Asylberechtigter anerkannt worden. Im Juni 1990 stellte er daraufhin erneut einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld. Die Beklagte bewilligte dem Kläger Kindergeld mit Wirkung ab Januar 1986. Kindergeldansprüche für die Jahre 1984 und 1985 seien bereits verjährt (Bescheid vom 10. Juli 1990).

Der Widerspruch, mit dem unter Bezugnahme auf den Hinweis im früheren Ablehnungsbescheid Kindergeld ab der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt wurde, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. September 1990).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Kindergeld für seine drei Kinder auch für die Zeit vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 zu gewähren. Es vertrat die Auffassung, im Falle einer die Asylberechtigung anerkennenden Entscheidung sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch die Zeit vor der Bestandskraft dieser Entscheidung als gewöhnlicher Aufenthalt zu werten. Die Asylanerkennung habe nur deklaratorische, nicht konstitutive Wirkung. Gemäß Art 16 Abs 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) sei der Kläger bereits während der streitigen Zeit zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt gewesen und habe dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt iS von § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gehabt. § 44 Abs 4 Sozialgesetzbuch – Zehntes Buch – (SGB X) sei nicht anwendbar, denn die Beklagte habe sich nicht auf die Bestandskraft des Bescheides vom 31. Mai 1985 berufen, sondern einen sog Zweitbescheid erteilt. § 44 Abs 4 SGB X enthalte auch keinen allgemeinen, die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verdrängenden Grundgedanken, die rückwirkende Erbringung von Leistungen durchwegs auf 4 Jahre zu begrenzen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die Einrede der Verjährung berufen, denn § 9 Abs 3 BKGG, der eine Spezialvorschrift gegenüber § 45 Abs 1 SGB I darstelle, sei wegen der gleichen Interessenslage entsprechend anwendbar. Erst nach der Entscheidung über die Asylberechtigung, die nur deklaratorische Wirkung habe, könne sich der Kläger auf diesen Status berufen. Auch die Beklagte sei dieser Auffassung gewesen, daß vergleichbare Lebenssachverhalte vorliegen, wie sich aus dem Hinweis auf dem Bescheid vom 31. Mai 1985 ergebe. § 44 SGB X werde durch § 9 Abs 3 BKGG verdrängt.

Die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Dem Kläger stehe auch im noch streitigen Zeitraum ein Anspruch auf Kindergeld zu. Anwendbar sei allein § 44 Abs 1 SGB X iVm § 20 Abs 5 Satz 2 BKGG. Unter der Geltung des SGB X sei für einen Zweitbescheid neben §§ 45 ff SGB X kein Raum mehr. Der Anwendung des § 44 SGB X stehe nicht entgegen, daß die Beklagte diese Norm im Bescheid vom 10. Juli 1990 nicht erwähnt habe. Bei Erlaß des Bescheides vom 31. Mai 1985 habe die Beklagte zwar bei der Prognoseentscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG die Frage, ob der Kläger einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet besaß, verneint. Doch sei damals von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich nachträglich als nicht zutreffend erwiesen habe, so daß die Voraussetzungen der §§ 44 Abs 1 SGB X, 20 Abs 5 2. Halbsatz BKGG gegeben seien. Denn durch die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter, was keine konstitutive, sondern lediglich deklaratorische Wirkung habe, sei nachträglich und rückwirkend klargestellt worden, daß der Kläger seit der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des § 1 Abs 1 BKGG iVm § 30 SGB I gehabt habe. Der Anspruch des Klägers für den streitigen Zeitraum sei auch nicht wegen des Überschreitens der Ausschlußfrist des § 9 Abs 2 BKGG untergegangen. Aufgrund der vergleichbaren Interessenlage seien § 9 Abs 3 und 4 BKGG entsprechend dem dort zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken entsprechend auf Asylberechtigte anzuwenden. Diese analoge Anwendung sei ferner, um offensichtlich unbegründete Verwaltungsverfahren sowie überflüssige Widerspruchs- und Klageverfahren zu vermeiden, aus Praktikabilitätsgründen geboten. Daher sei Kindergeld rückwirkend vom Tag der Einreise an zu gewähren, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt worden ist, in dem die Feststellung des Asylrechts rechtswirksam geworden sei. § 44 Abs 4 SGB X finde keine Anwendung, weil diese Vorschrift durch die Sonderregelung des § 9 Abs 3 und 4 BKGG verdrängt werde. Dies gelte auch gegenüber der Verjährungsvorschrift des § 45 Abs 1 SGB I. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung wäre zudem auch wegen des Hinweises im Bescheid vom 31. Mai 1985 als ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben unzulässig. Der Hinweis der Beklagten habe gerade darauf abgezielt, den Kläger davon abzuhalten, Widerspruch gegen den Bescheid oder nach dessen Bestandskraft erneut einen Antrag auf Kindergeld zu stellen. Die erhobene Einrede der Verjährung stehe im Widerspruch zum früheren Verhalten der Beklagten und stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Mit der vom LSG zugelassen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 45 Abs 1 SGB I iVm § 44 Abs 4 SGB X sowie des § 9 BKGG. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Antrag von Juni 1990 gleichzeitig ein Antrag nach § 44 SGB X darstelle. Mit der sachlichen Ablehnung des Antrages durch die angefochtenen Bescheide habe sie zugleich entschieden, daß ihr Bescheid aus dem Jahre 1985 rechtmäßig gewesen sei. Es könne offenbleiben, ob unter der Anerkennung als Asylberechtigter die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 31. Mai 1985 nach § 20 Abs 5 BKGG iVm § 44 Abs 1 SGB X erfüllt seien.

Selbst wenn dies der Fall sein sollte, lasse die absolute Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X eine rückwirkende Zahlung über die 4-Jahres-Frist hinaus nicht zu. Zwar seien Fälle der Anerkennung von Asylberechtigten mit der Folge des rückwirkenden Entstehens von Kindergeldansprüchen mit dem in § 9 Abs 3 und 4 BKGG geregelten Fällen vergleichbar, in denen die Ausschlußfrist des § 9 Abs 2 BKGG nicht anzuwenden sei. Die Beklagte wende daher diese Vorschriften in Fällen wie dem Streiffall entsprechend an. § 9 Abs 3 und 4 BKGG würde aber auch bei analoger Anwendung die Verjährungsfrist des § 45 SGB I unberührt lassen. Diese Vorschrift sei nach der Rechtsprechung des BSG zusammen mit der ebenfalls 4-jährigen Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 SGB X Ausfluß des Grundsatzes, daß Sozialleistungen nicht über 4 Jahre hinaus rückwirkend zu gewähren seien. Dies gelte auch für die Gesichtspunkte eines Verstoßes gegen Treu und Glauben oder eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Im übrigen stelle auch die Einrede der Verjährung durch die Beklagte keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, weil sie den Kläger nicht durch aktives Tun von der Einleitung verjährungsunterbrechender Schritte abgehalten hätte. Auch stelle der Hinweis, daß das Kindergeld nach Zuerkennung des Asylrechts neu beantragt werden könne, keine falsche Beratung dar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. August 1982 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 17. Dezember 1991 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 10. Juli 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1990 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß die Entscheidungen des SG und des LSG zutreffend seien.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat hat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

Die Revision der Beklagten ist zurückzuweisen. Im Ergebnis zu Recht haben SG und LSG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 10. Juli 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1990 verurteilt, dem Kläger Kindergeld für seine drei Kinder auch für die Zeit vom 1. Mai 1980 bis zum 31. Dezember 1985 zu gewähren. Denn die Beklagte ist an ihre Zusicherung iS von § 34 SGB X im Bescheid vom 31. Mai 1985 gebunden.

Der Anspruch auf Kindergeld ist zunächst nicht bereits schon durch die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 16. Januar 1990 begründet. Entgegen der Ansicht des LSG hatte die Anerkennung der Asylberechtigung keine Rückwirkung für staatliche Leistungen, die – wie das Kindergeld – einen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz voraussetzen. Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG vom 15. Dezember 1992, SozR 3-5870 § 1 Nr 2) begründet die Anerkennung als Asylberechtigter keinen rückwirkenden Anspruch auf Kindergeld. Durch die Anerkennung als Asylberechtigter ist für ihn nicht ein bereits zuvor bestehender Kindergeldanspruch bestätigt worden. Deklaratorische Bedeutung und eine damit verbundene Rückwirkung hat die Anerkennungsentscheidung nur hinsichtlich der Asylberechtigung als solcher. Anerkannte Asylberechtigte können eine Nachzahlung von Sozialleistungen, die ihnen bei einer sofortigen Anerkennung zugestanden hätten, nur verlangen, soweit das in dem jeweils maßgebenden Leistungsgesetz vorgesehen ist (BSG aaO). Das ist beim BKGG nicht der Fall.

Wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (BSG aaO), ist – entgegen der Ansicht des LSG – § 9 Abs 3 und 4 BKGG nicht analog anwendbar.

Die Verpflichtung zur Zahlung des Kindergeldes im streitigen Zeitraum ergibt sich aus der im Bescheid vom 31. Mai 1985 enthaltenen Zusicherung. In diesem Bescheid hat die Beklagte dem Kläger entsprechend ihrer damaligen Rechtsauffassung (vgl Durchführungsanweisungen zu § 1 BKGG RdErl 375/74, 9. Erg. 1.84/10. Erg. 6.85 Nr 1.19) darauf hingewiesen, daß nach Zuerkennung des Asylrechts in Anlehnung an den in § 9 Abs 3 und 4 BKGG enthaltenen Rechtsgedanken Kindergeld ab der Einreise zu gewähren ist, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem die Feststellung des Asylrechts bindend bzw rechtskräftig geworden ist. Es wurde dem Kläger anheimgestellt, zur gegebenen Zeit rechtzeitig erneut einen Antrag auf Kindergeld zu stellen.

In den Hinweisen im Bescheid vom 31. Mai 1985 liegt nicht nur eine – unverbindliche – Auskunft iS von § 15 SGB I, sondern eine Zusicherung iS von § 34 SGB X. Auskunft und Zusicherung unterscheiden sich nach Inhalt und Wirkung voneinander. Während Zusicherung einen Verwaltungsakt mit Verpflichtungswillen darstellt (BSGE 56, 249 mwN; Schneider-Danwitz in Gesamtkommentar § 34 SGB X, Anm 9a mwN), gerichtet auf Erlaß oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes, handelt es sich bei der Auskunft um eine “Wissenserklärung” (Schneider-Danwitz, aaO Anm 11 mwN), die sich in der Mitteilung des Wissens erschöpft und sich vom Verwaltungsakt durch das Fehlen eines Regelungswillens unterscheidet. Es fehlt der Verpflichtungswille, weil die Auskunft nicht auf Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist. Eine Zusicherung iS des § 34 SGB X ist eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Sie hat die Aufgabe, dem Adressaten als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlaß des Verwaltungsaktes Gewißheit zu verschaffen (BSG SozR 2200 § 1237 Nr 10; BSGE 56, 249; 61, 123). Die Zusicherung ist demnach eine Selbstverpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 231v VI; Pickel, Das Verwaltungsverfahren, Anm 1 zu § 34). Die Auslegung der sog “Hinweise” des Bescheides vom 31. Mai 1985 ergibt, daß hier nicht mehr nur eine Auskunft erteilt, sondern vielmehr eine Zusicherung gegeben wurde. Die Auslegung, ob ein Verwaltungsakt erlassen werden sollte und mit welchem Inhalt, richtet sich nach den für Willenserklärungen maßgebenden Auslegungsgrundsätzen (Brackmann, aaO, S 231v III). Dabei ist § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) heranzuziehen (BSG SozR 2200 § 1409 Nr 2; Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz 5. Aufl, nach § 54 Anm RdNr 3a). Dabei ist das gesamte Verhalten des Erklärenden zu berücksichtigen; neben dem Erklärungswortlaut kommt es auch auf die Begleitumstände, insbesondere dem Zweck der Erklärung an. Das danach maßgebende Gesamtverhalten des Erklärenden ist vom Standpunkt dessen zu bewerten, für den die Erklärung bestimmt ist. Maßgebend ist somit nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn bei objektiver Würdigung der Empfänger verstehen konnte (BSG aaO; BSGE 48, 57; BSG VersorgB 1983, 131; BVerwGE 41, 305; 49, 244). Maßgebend ist also nicht, was die Verwaltung mit ihrer Erklärung gewollt hat, sondern wie der Empfänger sie verstehen durfte; andererseits kann der Empfänger sich nicht darauf berufen, er habe die Erklärung in einem bestimmten Sinne verstanden, wenn diese objektiv – unter Berücksichtigung aller Umstände – nicht so verstanden werden konnte. Danach konnte und mußte der Kläger die “Hinweise” der Beklagten im Bescheid vom 31. Mai 1985, besonders im Hinblick auf den persönlichen Bezug (“sollte Ihnen … ich stelle Ihnen deshalb anheim …”) als verbindliche Erklärung verstehen, daß das Kindergeld nach Anerkennung als Asylberechtigter ab seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland von der Beklagten gewährt werden wird, wenn er den Antrag rechtzeitig stellt. Der Kläger mußte aus diesen Hinweisen den Schluß ziehen, daß der in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides genannte mögliche Widerspruch sowie weitere Kindergeldanträge vor der Anerkennung als Asylberechtigter überflüssig seien. Die “Hinweise” hatten somit für den Kläger erhebliche Bedeutung und konnten seine Dispositionen maßgeblich beeinflussen. Dies entsprach weiterhin auch der Zielrichtung der Beklagten, den Kläger von der Einlegung eines Rechtsbehelfs und der Stellung weiterer aus der Sicht der Beklagten zweckloser Anträge abzuhalten. Die Zusage entsprach auch der Rechtsansicht der Beklagten, wie sich aus ihren Dienstanweisungen (aaO) zu § 1 BKGG ergibt. Damit konnte und mußte der Kläger nach den gesamten Umständen die “Hinweise” des Bescheides als verbindliche Zusage der Beklagten verstehen, daß nach einer Anerkennung als Asylberechtigter bei rechtzeitiger Antragstellung das Kindergeld ab der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland gezahlt werde.

Die Zusicherung erfüllt auch die Anforderungen der für die Wirksamkeit notwendigen Schriftform des § 34 Abs 1 SGB X iVm § 33 Abs 3 SGB X. Die Behörde hat die Zusicherung auf dem Bescheid vom 31. Mai 1985 mit abgedruckt. Ihre Behördenbezeichnung war aus der Kopfleiste des Bescheides erkennbar. Der Verwaltungsakt trägt auf der Vorderseite die Unterschrift des zuständigen Bediensteten der Beklagten. Zwar befinden sich die “Hinweise” auf der Rückseite des Bescheides, sie sind aber in die von der Unterschrift des Bediensteten getragenen Regelungen einbezogen, obwohl sie nach dem von der Unterschrift räumlich abgeschlossenen Text stehen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung des § 34 Abs 1 SGB X dient die Schriftform, dh die Unterschrift oder Namenswiedergabe, dem Nachweis, daß der Verwaltungsakt mit Wissen und Willen der in der Behörde verantwortlichen Amtsträger ergangen ist (Schroeder-Printzen, SGB X § 33 Anm 5.2; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 37 RdNr 29). Dieser Zweck ist hier gewahrt. Zudem wird auf der Vorderseite des Bescheides unmittelbar unter der Unterschrift auf die zu beachtenden “Hinweise” auf der Rückseite des Verwaltungsaktes Bezug genommen. Aus dem Zusammenhang, den gesamten Umständen in Verbindung mit dem Erklärungsinhalt des Bescheides ergibt sich, daß die “Hinweise” in die von der Unterschrift des Bediensteten der Beklagten getragene Regelung einbezogen werden sollten, zumal es sich insgesamt um einen formblattmäßigen Verwaltungsakt handelte. Der Kläger mußte auch im Hinblick auf den deutlichen persönlichen Bezug der “Hinweise” diese als Teil der von der Unterschrift auf dem Bescheid gedeckten Erklärung des Bediensteten der Beklagten verstehen. Maßgebend ist aber, wie der Kläger die Erklärung verstehen durfte (BSG VersorgB aaO). Er darf durch Unklarheiten bei der Willensäußerung der Verwaltung nicht benachteiligt werden (BVerwGE 41, 305).

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Zusicherung der Beklagten wegen eines Verstoßes gegen das materielle Recht rechtswidrig war. Denn nach Inkrafttreten des § 34 SGB X war – abweichend von der vor dem Erlaß des Verwaltungsverfahrensgesetzes herrschenden Meinung – grundsätzlich auch die Zusicherung eines rechtswidrigen Verhaltens wirksam. Bis zur rechtswirksamen Ausübung des in § 34 Abs 2 SGB X geregelten Rücknahmerechts entfaltet die rechtswidrige Zusicherung die volle Bindungswirkung (Hauck/Haines, SGB, § 34 SGB X Anm RdNr 20 mwN). Eine Rücknahme der Zusicherung ist seitens der Beklagten bisher nicht erfolgt, auch nicht im angefochtenen Bescheid vom 10. Juli 1990.

Die Bindungswirkung der Zusicherung bezüglich des Zeitraumes vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 ist auch nicht wegen einer Änderung der Rechtslage iS von § 34 Abs 3 SGB X entfallen. Nach dieser Vorschrift ist die Behörde an die gegebene Zusicherung nicht mehr gebunden, wenn sich nach der Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart ändert, daß die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen. § 34 Abs 3 SGB X entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Bindung an eine Verpflichtung ganz oder teilweise entfällt (Hauck/Haines aaO RdNr 24; Schneider-Danwitz aaO Anm 39).

Seit Erteilung des Bescheides vom 31. Mai 1985 wurde zwar § 1 BKGG durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes vom 30. Juni 1989 (BGBl I, S 1294) bezüglich der Anspruchsberechtigung von Ausländern durch Anfügung des Abs 3 ergänzt. Bezüglich des hier zu betrachtenden Zeitraums der Kindergeldgewährung vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 ist dadurch aber keine Änderung der Rechtslage erfolgt. Denn das Zwölfte Gesetz zur Änderung des BKGG trat erst am 8. Juli 1989 – ohne Rückwirkung – in Kraft. Gem § 34 Abs 3 BKGG war die Beklagte somit auch für den Zeitraum vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 an ihre Zusicherung gebunden.

Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung ist bezüglich des hier zu betrachtenden Zeitraums vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 unzulässig. Zwar hindert die Zusicherung eines Leistungsbescheides die Behörde nicht, sich gegenüber dem Leistungsanspruch auf Verjährung zu berufen (BSG SozR Nr 3 zu § 1583 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫; Schneider-Danwitz aaO Anm 9). Im vorliegenden Fall ist die Einrede der Verjährung jedoch rechtsmißbräuchlich, weil durch die Zusicherung auf die Erhebung der Einrede der Verjährung konkludent verzichtet wurde. Denn es war die Gewährung von Kindergeld ab der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zugesagt worden. Dafür spricht auch, daß bereits bei der Erteilung der Zusage im Bescheid vom 31. Mai 1985 zum Teil mehr als die 4-jährige Verjährungsfrist gem § 45 SGB I seit der Einreise des Klägers in die Bundesrepublik Deutschland verstrichen war.

Die Revision der Beklagten erwies sich somit als unbegründet. Aufgrund der Zusicherung im Bescheid vom 31. Mai 1985 war sie zur nachträglichen Gewährung des Kindergelds für die Zeit vom 1. Mai 1980 bis 31. Dezember 1985 verpflichtet.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

NJW 1995, 550

NVwZ 1994, 830

Breith. 1994, 960

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