Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Kurzarbeit; tarifvertragliche Ansagefrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ansagefrist des § 5 Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier-, Pappe- und Kunststoffe verarbeitenden Industrie vom 27. Mai 1991 über die Einführung von Kurzarbeit durch Abschluß einer Betriebsvereinbarung ist gegenüber den Arbeitnehmern einzuhalten. Ihnen soll dadurch Gelegenheit gegeben werden, rechtzeitig über ihre Freizeit zu disponieren sowie ihre finanziellen Verpflichtungen und berufsbedingten Aufwendungen auf die sich verändernde Einkommenssituation einzustellen.

2. Eine Betriebsvereinbarung, die eine tarifvertraglich festgelegte Ansagefrist mißachtet, ist insoweit unwirksam.

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 02.12.1992; Aktenzeichen 3 Sa 1305/92)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 11.06.1992; Aktenzeichen 3 Ca 413/92)

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Lohnzahlung für die Zeit seiner Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung, während deren es in dem Betrieb der Beklagten zu Arbeitsausfall infolge Kurzarbeit gekommen ist.

Die beklagte KG produziert und vertreibt Verpackungen aus Wellpappe. Sie beschäftigt ca. 200 Arbeitnehmer. Der Kläger ist bei ihr als Maschinenarbeiter tätig. Nach Ziff. 6 des Arbeitsvertrages gelten für das Arbeitsverhältnis diejenigen Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsordnungen, die in der Betriebsstätte, in der der Arbeitnehmer eingesetzt ist, angewandt werden. Dazu zählt u.a. der Manteltarifvertrag vom 27. Mai 1991 für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier-, Pappe- und Kunststoffeverarbeitenden Industrie (MTV).

Der Kläger ist seit 1987 Mitglied des siebenköpfigen Betriebsrats. Eigenen Angaben zufolge nahm er vom 3. November bis zum 9. November 1991 aufgrund eines Entsendungsbeschlusses des Betriebsrats vom 8. Mai 1991 an einer Schulungsveranstaltung mit dem Thema "Systematik des Arbeitsrechts für Betriebsräte" teil. Während dieser Zeit war er der Spätschicht B zugeteilt. Die Spätschichten am 7. November und am 8. November 1991 entfielen aufgrund einer bei dem zuständigen Arbeitsamt gemeldeten und genehmigten Kurzarbeit.

Die Kurzarbeit ist in § 5 MTV wie folgt geregelt:

1. Kurzarbeit liegt vor, wenn die in § 2 Ziffer 1

Satz 1 vereinbarte Arbeitszeit unterschritten

wird.

2. In Fällen von Arbeitsmangel kann mit einer An-

sagefrist von 7 Kalendertagen eine Verkürzung

der regelmäßigen Arbeitszeit für den ganzen

Betrieb oder für einzelne Betriebsabteilungen

eingeführt werden. Sie ist mit dem Betriebsrat

zu vereinbaren.

In Betrieben ohne Betriebsrat kann der Arbeit-

geber Kurzarbeit mit einer Ansagefrist von

7 Kalendertagen einführen.

3. Der Lohnanspruch verringert sich im Verhältnis

der Kurzarbeit zur regelmäßigen Arbeitszeit.

Die Beklagte hatte dem Betriebsrat bereits mit Schreiben vom 24. Oktober 1991 Kurzarbeit infolge Arbeitsmangel angekündigt. Nachdem der Betriebsrat mit Antwortschreiben vom 25. Oktober 1991 seine Zustimmung erteilt hatte, schlossen die Betriebsparteien unter dem 5. November 1991 eine Betriebsvereinbarung mit folgendem Wortlaut:

Bekanntmachung vom 05.11.1991:

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Mitarbeiter,

unser Auftragsbestand ist so stark abgesunken,

daß wir beim Arbeitsamt Kurzarbeit anmelden

mußten. Als Ursache erkennen wir veränderten

Verpackungsbedarf durch die jetzt wirksam wer-

dende Verordnung, aber auch geringere Nachfra-

ge im Kundenbereich neben weiter verstärktem

Wettbewerb.

Von dieser unumgänglichen Maßnahme ist der Ge-

samtbetrieb einschließlich Verwaltung betrof-

fen.

Die Festlegung des Arbeitsausfalls erfolgt ak-

tuell jeweils bei bestehender Planungsüber-

sicht.

Für den Produktionsbereich derzeitig

Kurzarbeitstage jeweils für die Spätschicht

B am 7. und 8.11. und A am 14. und 15. 11.

1991.

Für die Mitarbeiter/innen in Normalschicht

bzw. in der Verwaltung mit ebenfalls 2 Tagen

den betrieblichen Erfordernissen entsprechend.

Eine Garantie für Kundenkontakte und Erfüllung

der Aufgaben ist durch angepaßte Einteilung

sicherzustellen.

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß

durch die bestehende Situation

Resturlaub nicht auf 1992 übertragen werden

kann.

Mit Ausnahme der zum Jahreswechsel zweckgebun-

denen Urlaubstage - und evtl. bereits geneh-

migter Ansprüche - ist Urlaub zu nehmen.

Die getroffenen Entscheidungen werden der Al-

ternative von Kündigungen vorgezogen, da wir

auf Sicht eine Besserung erhoffen.

Die Betriebsvereinbarung wurde am gleichen Tag bekannt gemacht. Für die ausgefallenen Spätschichten erhielt der Kläger Kurzarbeitergeld. Mit seiner Klage fordert er den Unterschiedsbetrag zwischen seinem durchschnittlichen Bruttostundenlohn und dem Kurzarbeitergeld.

Er ist der Ansicht, die Beklagte sei für die Zeit seiner Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG zum vollen Lohnausgleich verpflichtet. Die Betriebsvereinbarung über die Durchführung der Kurzarbeit sei wegen Verstoßes gegen die tarifvertragliche Ansagefrist unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 170,-- DM

brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus erge-

benden Nettobetrag seit dem 5. Februar 1992 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Einführung der Kurzarbeit sei durch die Betriebsvereinbarung vom 5. November 1991 wirksam erfolgt. Die Ansagefrist nach § 5 Nr. 2 des MTV sei durch die Anzeige an den Betriebsrat vom 24. Oktober 1991 gewahrt. Sowohl die Teilnahme des Klägers an der Schulungsveranstaltung als auch deren Erforderlichkeit bestreite sie mit Nichtwissen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger unter Aufhebung des zweitinstanzlichen Urteils, die Beklagte zur Zahlung von 170,-- DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 5. Februar 1992 zu verurteilen, hilfsweise die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist begründet. Dem Kläger steht für die Zeit seiner Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG ein Anspruch auf den geltend gemachten Unterschiedsbetrag zwischen seinem durchschnittlichen Bruttostundenlohn und dem für den 7. und 8. November 1991 gezahlten Kurzarbeitergeld zu.

I. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß als Anspruchsgrundlage neben dem Arbeitsvertrag in Verb. mit § 611 BGB allein § 37 Abs.6 in Verb. mit Abs. 2 BetrVG in Betracht kommt, der für die Frage der Entgeltfortzahlung das allgemeine Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG konkretisiert. Nach dem sich aus dieser Vorschrift ergebenden Lohnausfallprinzip ist dem Betriebsratsmitglied grundsätzlich derjenige Lohn fortzuzahlen, den er ohne den Besuch der Schulungsveranstaltung während dieser Zeit verdient hätte. Denn nach § 37 Abs. 1 BetrVG ist das Betriebsratsamt ein Ehrenamt, die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben geschieht demnach unentgeltlich (statt vieler: BAG Urteil vom 15. Januar 1991, BAGE 67, 50 = AP Nr. 114 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, m.w.N.). § 37 Abs. 2 BetrVG stellt lediglich sicher, daß ein Betriebsratsmitglied durch die Wahrnehmung von Amtsobliegenheiten keinen Lohnausfall erleidet. Entfällt aber der Lohnanspruch der übrigen Arbeitnehmer wegen einer für den Betrieb der Arbeitgeberin wirksam angeordneten Kurzarbeit, führt die Anwendung des Lohnausfallprinzips auch bei dem eine Schulungsveranstaltung besuchenden Betriebsratsmitglied zu einer dem Arbeitsausfall entsprechenden Lohnkürzung (Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 17. Aufl., § 37 Rz 39 a; Wiese, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 37 Rz 56; Blanke in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 34; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 4. Aufl., § 37 Rz 43; vgl. BAG Urteil vom 23. April 1974 - 1 AZR 139/73 - AP Nr. 11 zu § 37 BetrVG 1972 bei Gewährung von Schlechtwettergeld).

II. Der Kläger war während des Besuchs einer Schulungsveranstaltung i.S.d. § 37 Abs. 6 BetrVG der Schicht B zugeteilt, die am 7. November 1991 und am 8. November 1991 aufgrund einer beim Arbeitsamt gemeldeten und genehmigten Kurzarbeit ausgefallen ist. Die an beiden Tagen durchgeführte Arbeitszeitverkürzung war rechtsunwirksam.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Arbeitgeber Kurzarbeit mit entsprechender Lohnminderung nur aufgrund kollektiver oder einzelvertraglicher Grundlage, nicht aber kraft seiner Direktionsbefugnis einführen. Anderenfalls bedarf es einer Änderungskündigung (BAG Urteile vom 14. Februar 1991 - 2 AZR 415/90 - AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit, m.w.N. und 27. Januar 1994 - 6 AZR 541/93 -, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

Eine tarifvertragliche Regelung, nach der die Beklagte zur einseitigen Anordnung von Kurzarbeit berechtigt gewesen wäre, besteht nicht. Der für ihren Betrieb geltende MTV vom 27. Mai 1991 enthält eine derartige Bestimmung nur für Betriebe, für die kein Betriebsrat gebildet ist (§ 5 Nr. 2 Satz 3 MTV). Grundlage der streitigen Arbeitszeitverkürzung ist allein die Betriebsvereinbarung vom 5. November 1991.

2. Eine förmliche Betriebsvereinbarung im Sinne des § 77 Abs. 4 BetrVG wirkt wie eine Rechtsnorm auf Arbeitsverhältnisse und bestimmt deren Inhalte. Ohne Rücksicht auf den Willen der betroffenen Arbeitnehmer kann durch sie grundsätzlich eine Änderung der Arbeitsbedingungen auch hinsichtlich der Arbeitszeit und der Lohnzahlungspflichten erfolgen (BAG Beschluß vom 18. August 1987, BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972).

a) Mit den Vorinstanzen ist davon auszugehen, daß die Betriebsvereinbarung vom 5. November 1991 den Formerfordernissen des § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG genügt und auch in der nach Abs. 2 Satz 3 dieser Vorschrift vorgegebenen Weise bekannt gemacht geworden ist.

b) Soweit die Betriebsvereinbarung vom 5. November 1991 die Einführung von Kurzarbeit für den 7. und den 8. November 1991 gestattete, verstößt sie gegen die Schranke des § 87 Abs. 1 BetrVG Eingangssatz.

Danach begrenzen tarifliche Regelungen in diesen Angelegenheiten den Handlungsspielraum für Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht nur zu, soweit keine tarifliche Regelung besteht. Unter den Voraussetzungen des Eingangssatzes zu § 87 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei einer vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Im vorliegenden Fall enthält der Tarifvertrag neben den Voraussetzungen zur Einführung von Kurzarbeit eine Ansagefrist von sieben Kalendertagen. Diese Vorgaben sind für den Arbeitgeber und den Betriebsrat bindend. Sie dürfen sich nicht durch Betriebsvereinbarung darüber hinwegsetzen.

Insoweit hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Ansagefrist des § 5 Nr. 2 Satz 1 MTV sei gewahrt. Sie gelte nur im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Es müsse zwischen dem Antrag auf Einführung von Kurzarbeit und dem Abschluß der Betriebsvereinbarung ein Zeitraum von sieben Kalendertagen liegen, nicht hingegen zwischen der Bekanntgabe der Betriebsvereinbarung und der tatsächlichen Arbeitszeitverkürzung. Diese Auslegung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Schon der nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu berücksichtigende tarifliche Gesamtzusammenhang (BAG Urteil vom 12. September 1984, BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) spricht dafür, daß die siebentägige Ansagefrist gegenüber den Arbeitnehmern zu wahren ist. § 5 Nr. 2 Satz 2 und 3 MTV regelt die Anordnungsbefugnis für Kurzarbeit danach, ob es sich um einen Betrieb mit oder um einen ohne Betriebsrat handelt. Für beide Fälle ist jeweils eine zeitlich identische Ansagefrist festgelegt. In der Tarifnorm selbst findet sich keine ausdrückliche Bestimmung darüber, welchem Personenkreis gegenüber die Frist einzuhalten ist. Bei Betrieben, in denen kein Betriebsrat besteht, richtet sich die Ansage zwangsläufig an die von der Einführung der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer. In den übrigen Betrieben, in denen die Einführung von Kurzarbeit nur durch den Abschluß einer Betriebsvereinbarung möglich ist, ersetzt die Betriebsvereinbarung die ansonsten einseitige Festlegung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber. Näheres über Umfang, Lage und Dauer der Kurzarbeit erfahren die Arbeitnehmer durch die Anordnung des Arbeitgebers bzw. durch die sie ersetzende Betriebsvereinbarung. Schon danach ist es naheliegend, in beiden Fällen die Ansagefrist einheitlich gegenüber den Arbeitnehmern zu wahren.

Dieses Ergebnis wird auch durch Sinn und Zweck der Frist bestätigt. Die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeitnehmer sind für die Dauer der Kurzarbeit von ihrer Arbeitspflicht bei entsprechender Lohnminderung befreit. Ihnen soll die Ansagefrist Gelegenheit geben, sich auf die geänderten Umstände einzustellen. Erst wenn den Arbeitnehmern der konkrete Umfang der Kurzarbeit im einzelnen bekannt ist, können sie rechtzeitig über ihre Freizeit disponieren und ihre finanziellen Verpflichtungen und berufsbedingten Aufwendungen auf die sich verändernde Einkommens- und Arbeitszeitsituation einstellen (BAG Beschluß vom 28. Oktober 1986 - 1 ABR 11/85 - AP Nr. 20 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit). Schließlich sollen sie auch die Rechtmäßigkeit der Kurzarbeit überprüfen und soweit erforderlich, rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Rechtsnachteilen treffen können. Diesen Zweck kann eine an den Betriebsrat gerichtete Ansagefrist nicht erfüllen. Die Vorinstanzen haben insoweit verkannt, daß in den Fällen des § 5 Nr. 2 MTV der Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat nur ein Angebot auf Abschluß einer Betriebsvereinbarung über die Einführung der Kurzarbeit abgeben kann. Das ist seiner Unverbindlichkeit wegen für den Arbeitnehmer noch ohne jedes Interesse. Mit dem Ersuchen des Arbeitgebers steht weder fest, ob es zur Kurzarbeit überhaupt kommt, noch wie die Kurzarbeit im einzelnen ausgestaltet ist. Dagegen bedarf der Betriebsrat des Schutzes einer Ansagefrist nicht. Ohne seine Zustimmung kann Kurzarbeit nicht eingeführt werden.

3. Damit ist die Betriebsvereinbarung unwirksam, soweit sie die Einführung von Kurzarbeit innerhalb der mit Bekanntgabe der Betriebsvereinbarung am 5. November 1991 beginnenden siebentägigen Ansagefrist gestattete. Die Teilunwirksamkeit führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung in ihrer Gesamtheit. Das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt entschieden, daß die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung aufgrund ihres Normencharakters nicht zwingend deren Gesamtunwirksamkeit zur Folge hat (statt vieler BAG Beschluß vom 28. April 1981, BAGE 35, 205 = AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Vorschlagswesen, m.w.N.). Das entspricht auch der überwiegenden Meinung in der Literatur, die dieses Ergebnis mit dem Rechtsgedanken des § 139 BGB begründet (Wiese, aaO, § 77 Rz 49; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 77 Rz 30 a; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 77 Rz 119). Entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, ob der wirksame Teil der Betriebsvereinbarung auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Der durch die Betriebsvereinbarung geschaffene Rechtszustand soll insoweit aufrechterhalten werden, als er auch ohne den unwirksamen Teil eine ordnende Funktion entfaltet (BAG Beschluß vom 23. Juni 1992 - 1 ABR 9/92 - AP Nr. 55 zu § 77 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Davon ist vorliegend auszugehen. Die unwirksame Regelung der Betriebsvereinbarung vom 5. November 1991 betrifft nur die für die Spätschicht B am 7. und 8. November 1991 angeordnete Kurzarbeit. Die übrigen Regelungen zur Kurzarbeit außerhalb der Ansagefrist sind aus sich heraus handhabbar und praktikabel.

4. Schließlich sind auch die Voraussetzungen des Annahmeverzugs erfüllt. Auch wenn sich der Kläger nicht auf einer Schulungsveranstaltung befunden hätte, wäre das Angebot einer Arbeitsleistung entsprechend §§ 294, 295 BGB entbehrlich gewesen. Die Beklagte ist ihrer Mitwirkungshandlung auf Einrichtung eines funktionsgerechten Arbeitsplatzes und Zuweisung von Arbeit für die Arbeitnehmer der Spätschicht am 7. und 8. November 1991 nicht nachgekommen.

II. Das Landesarbeitsgericht hat die zur Begründung eines Anspruchs nach § 37 Abs. 6 in Verb. mit Abs. 2 BetrVG erforderlichen Tatsachen nicht im einzelnen festgestellt. Dennoch ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache nicht verwehrt (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Von Verfahrensbeginn an war zwischen den Parteien nur die Rechtsfrage streitig, ob aufgrund einer durch Betriebsvereinbarung geregelten Kurzarbeit der Lohnanspruch des Klägers für den 7. und 8. November 1991 entfallen ist. Dem Vortrag des klagenden Betriebsratsmitglieds, in der Zeit vom 3. November bis zum 9. November 1991 aufgrund eines Entsendungsbeschlusses vom 8. Mai 1991 an einer Schulungsveranstaltung mit dem Thema "Systematik des Arbeitsrechts für Betriebsräte" teilgenommen zu haben, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat sich auf das Bestreiten mit Nichtwissen beschränkt, obwohl der Kläger durch fotokopierte Urkunden die Teilnahme an dieser Veranstaltung und deren Inhalt im einzelnen belegt hat. Einwendungen dagegen hat die Beklagte nicht erhoben.

Die Teilnahme des Klägers an der Schulungsveranstaltung war auch erforderlich. Wie das Bundesarbeitsgericht entschieden hat, sind Grundkenntnisse im Arbeitsrecht für jedes Betriebsratsmitglied unerläßlich (BAG Beschluß vom 16. Oktober 1986, BAGE 53, 186 = AP Nr. 58 zu § 37 BetrVG 1972). Es ist nicht ersichtlich, daß eine entsprechende Schulung für den Kläger aufgrund vorhandener Vorkenntnisse oder Erfahrungswissens verzichtbar war. Insoweit fehlt es an Anhaltspunkten, die den Schluß auf einen ausreichenden Kenntnisstand und aktuelles Wissen allein aufgrund mehrjähriger Betriebsratsarbeit zulassen würden. Demzufolge stand dem Kläger der geltend gemachte Differenzlohnanspruch zu. Seiner Klage war stattzugeben.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Weller Steckhan Schmidt

Johannsen Kordus

 

Fundstellen

Haufe-Index 441269

DB 1995, 734 (LT1-2)

AiB 2011, 771

BetrVG, (6) (LT1-2)

EzB BetrVG § 37, Nr 164 (LT1-2)

ARST 1995, 136-138 (LT1-2)

NZA 1995, 641

NZA 1995, 641-643 (LT1-2)

AP § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit (LT1-2), Nr 66

AR-Blattei, ES 1040 Nr 11 (LT1-2)

EzA § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit, Nr 2 (LT1-2)

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