Rz. 24

Schwerbehinderten Beschäftigten steht nach § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX (bis 31.12.2017: § 81 Abs. 5 Satz 3 SGB IX) ein spezieller Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung zu, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist.

 

Rz. 25

Der Anspruch nach § 164 Abs. 5 SGB IX kann im Gegensatz zu dem Teilzeitanspruch nach § 8 TzBfG von Beginn des Arbeitsverhältnis an und in Kleinbetrieben mit bis zu 15 Beschäftigten geltend gemacht werden. Die Vorschrift ermöglicht es dem Arbeitnehmer im Gegensatz zu dem Teilzeitanspruch nach § 8 TzBfG auch, eine nur vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit zu erreichen (BAG, Urteil v. 14.10.2003, 9 AZR 100/03[1]). Für die Inanspruchnahme ist weder eine Form noch eine Frist vorgeschrieben. Verschlechtert sich kurzfristig die gesundheitliche Situation, kann ein Anspruch kurzfristig und mit sofortiger Wirkung geltend gemacht werden.[2]

 

Rz. 26

Voraussetzung ist, und hier ist die Vorschrift enger als § 8 TzBfG, dass die Verringerung wegen der Art und Schwere der Behinderung erforderlich ist.[3] Der schwerbehinderte Beschäftigte hat die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Art oder Schwere der Behinderung für die gewünschte Verringerung der Arbeitszeit ursächlich ist. Zur Darlegung der Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit genügt es zunächst, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, gemäß der eine Verkürzung der Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen indiziert ist.

Sofern die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung aus durch die Behinderung verursachten Gründen nicht in vollem zeitlichem Umfang erbracht werden kann, muss der Arbeitgeber dem Begehren entsprechen.[4]

 

Rz. 27

Der Anspruch ist nach § 164 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX ausgeschlossen, wenn die Erfüllung unzumutbar ist oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Die Einwendungen des Arbeitgebers sind folglich enger als diejenigen nach § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG, wonach der Arbeitgeber dem Teilzeitbegehren sämtliche betrieblichen Gründe entgegenhalten kann. Staatliche oder berufsgenossenschaftliche Arbeitsschutzvorschriften werden bei der alleinigen Verringerung der Arbeitszeit keine Rolle spielen. Änderungen in der Arbeitsorganisation als Folge der Arbeitszeitverkürzung sind im Normalfall nicht unzumutbar. Eine Unzumutbarkeit kann beispielsweise vorliegen, wenn der Arbeitsplatz nicht teilbar ist oder sich aufgrund einer besonderen Qualifikation des schwerbehinderten Beschäftigten keine geeignete Ersatzkraft im Unternehmen oder auf dem Arbeitsmarkt findet.[5]

 

Rz. 28

Auf die Unzumutbarkeit oder Unverhältnismäßigkeit von Aufwendungen kann sich der Arbeitgeber nur berufen, wenn er zuvor mit der Bundesagentur für Arbeit, Rehabilitationsträger und Integrationsamt eine mögliche Unterstützung abgeklärt hat.[6] Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Arbeitgeber.

 

Rz. 29

Der Antrag auf Verringerung kann verbunden sein mit einem Antrag auf die Zuweisung einer anderweitigen Beschäftigung oder einer Veränderung der Arbeitsorganisation nach § 164 Abs. 4 SGB IX.

 
Praxis-Beispiel

Eine schwerbehinderte Mitarbeiterin war als Pförtnerin mit 24 Wochenstunden im Schichtbetrieb (3 Schichten mit je 8 Stunden) tätig. Sie beantragt eine Reduzierung auf 18 Wochenstunden, da sie nicht in der Lage sei, täglich mehr als 6 Stunden zu arbeiten. Dies wird abgelehnt, da die Schichtlänge 8 Stunden betrage. Der Klage wird stattgegeben, weil § 164 Abs. 4 SGB IX auch zu einer entsprechenden Veränderung der Arbeitsorganisation verpflichte. Dazu gehöre auch eine entsprechende Schichteinteilung.[7]

 

Rz. 30

Das Verlangen des schwerbehinderten Menschen nach § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX bewirkt unmittelbar eine Verringerung der geschuldeten Arbeitszeit, ohne dass es einer Zustimmung des Arbeitgebers zur Änderung der vertraglichen Pflichten bedarf (BAG, Urteil v. 14.10.2003, 9 AZR 100/03[8]). Teilweise wird mit nachvollziehbaren Gründen vertreten, dass der schwerbehinderte Beschäftige die begehrte Vertragsänderung im Wege der Leistungsklage auf Zustimmung des Arbeitgebers nach § 894 ZPO durchsetzen muss.[9]

Ansonsten könnte die Teilzeitbeschäftigung ohne vertragliche Grundlage durchgesetzt werden. Dagegen spricht jedoch, dass nach der gesetzlichen Regelung der schwerbehinderte Beschäftigte, ohne an Formen und Fristen gebunden zu sein, verlangen kann, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden.[10]

Abweichend von § 8 TzBfG verlangt die Regelung gerade keine Zustimmung des Arbeitgebers zur Reduzierung der Arbeitszeit. Die Praxis wird sich ohnehin an der Rechtsprechung des BAG orientieren müssen.

 

Rz. 31

Der Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung nach § 164 Abs. 5 SGB IX besteht selbstständig neben dem Teilzeitverlangen nach Maßgabe von § 8 TzBfG. Schwerbehinderte Menschen i. S. d. § 2 Abs. 2 SGB IX können sich daher alternativ auf die Spezialregelung nach § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX oder den allgemeinen Teilzeitanspruch nach § 8 TzBfG z...

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