Die Künstliche Intelligenz (KI) verändert Prozesse, Tools und Erwartungen und wird in vielen Unternehmen bereits eingeführt. Doch trotz großer Investitionen bleibt der tatsächliche Wandel oft hinter den Erwartungen zurück. Das Beratungsunternehmen McKinsey nennt diesen Widerspruch das "AI Adoption Paradox". Der Grund liegt nicht in der Technologie, sondern in fehlenden organisatorischen Voraussetzungen, die es Menschen ermöglichen, ihr Potenzial im Zusammenspiel mit KI zu entfalten.
Superagency braucht mehr als Schulung
Den Zustand, in dem Menschen mithilfe von KI ihre Kreativität, Produktivität und ihren positiven Einfluss erheblich steigern können, bezeichnet Reid Hoffman, Linkedin-Gründer und Tech-Investor, als Superagency. Gemeint ist nicht die Fähigkeit, ein Tool zu bedienen, sondern das Zusammenspiel von Mensch und Technologie im Arbeitskontext. Dieser Zustand entsteht nicht durch die Einführung eines Tools oder ein Basis-Training. Er setzt voraus, dass Mitarbeitende über Wissen, Zugang und Vertrauen verfügen, um KI sinnvoll in ihre tägliche Arbeit zu integrieren.
Im Report "Superagency in the Workplace" benennt fast die Hälfte der Befragten Schulungen als entscheidenden Erfolgsfaktor für den Einsatz generativer KI. Besonders in den USA wird fehlende Unterstützung kritisiert. In Europa schneidet die wahrgenommene Unterstützung etwas besser ab. Doch unabhängig vom Standort fehlt ein systematischer Rahmen, der echte Wirkung ermöglicht.
Führung als Hebel oder Bremse für KI
Die Analyse bringt ein vertrautes Muster ans Licht: Nicht Mitarbeitende, sondern Führungskräfte stehen der Skalierung von KI am häufigsten im Weg. Viele unterschätzen den Reifegrad ihrer Teams, sind zögerlich bei Investitionen in Schulung oder scheuen tiefgreifende Veränderungen. Dabei braucht Superagency mehr als neue Tools - Unternehmen müssen sich strukturell verändern. Erforderlich sind klare Roadmaps, neue Prozesse, gezielte Talententwicklung und eine Kultur, die Lernen, Vertrauen und das Ausprobieren neuer Ideen zulässt.
KI-Wirkung entsteht im Zusammenspiel
In den meisten Unternehmen sind die technischen Voraussetzungen vorhanden, Lernplattformen und Weiterbildungsangebote existieren bereits. Was oft fehlt, ist die organisatorische Infrastruktur und eine klare Vorstellung davon, wie Lernen, Technologie und Kultur zusammenwirken. Der Begriff des lernenden Unternehmens ist zwar aus dem vergangenen Jahrhundert, damit aber aktueller denn je. Superagency entsteht dort, wo Führung, Mitarbeiterbefähigung und eine menschenzentrierte Kultur ineinandergreifen.
Wer das ernst nimmt, betrachtet KI-Trainings nicht als Einzelmaßnahme, sondern verankert sie in einem umfassenden Wandel. Mitarbeitende können ihre Arbeit neu denken, wenn sie die Erlaubnis, das Wissen und die Freiheit erhalten, Dinge anders zu machen. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, diesen Raum zu schaffen und selbst zu reflektieren was es bedeutet, mit KI zu führen.
Kultur ist Produktivkraft
Technologie allein reicht nicht aus, um Veränderungen zu bewirken. Entscheidend ist das Arbeitsumfeld, insbesondere wenn KI Teil davon ist. In einer Kultur, die Fehler bestraft, kann keine Innovation entstehen. Wenn Mitarbeitende nicht in die Entwicklung neuer Anwendungen eingebunden werden, sinkt das Vertrauen. McKinsey empfiehlt daher einen doppelten Ansatz: Einerseits braucht es strategische Initiativen wie gezielte Kompetenzentwicklung und Change-Programme. Andererseits sind Formate gefragt, die Mitgestaltung ermöglichen. Hackathons, Peer-Learning oder Feedbackrunden zur Toolnutzung sind Beispiele für solche bottom-up-orientierten Ansätze. Kultur ist kein Zusatz, sondern eine Voraussetzung für Wirkung.
Und jetzt? Einfach anfangen
Wer sich tiefer mit dem Thema beschäftigen möchte, findet in der interaktiven Learning Journey "AI in Action" von McKinsey einen niedrigschwelligen Einstieg. Die Inhalte sind frei verfügbar, gut erklärt und auch im Sommerregen eine lohnende Lektüre.
Noch lieber diskutiere ich persönlich. Gelegenheit dazu bietet sich auf der Zukunft Personal Europe im September in Köln. Auf den beiden Bühnen zu Learning & Development wird KI ganz sicher eine zentrale Rolle spielen. Ich freue mich, wenn wir dort ins Gespräch kommen.
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.