Es ist wieder Messezeit und so war ich in den letzten Wochen gleich auf zwei Messen: Der ZP Nord in Hamburg, die sich als Pilgerstätte für HR und Personalentwicklung im Norden erwies und jede Menge Angebote rund um Learning Experience, Skills Intelligence und HR-Transformation bereithielt. Den Schlüsselmoment dort lieferte eine Teilnehmerin des Workshops des Think Tank Learning & Development, den ich zusammen mit Sven Semet und Margitta Eichelbaum gestalten durfte. Die Personalentwicklerin stellte leicht resigniert fest: Dann finden die Herren aus der C-Suite irgendein Tool toll, das sie gesehen haben und wollen es haben. Ganz egal, ob es passt oder nicht.
Etwas weiter südlich folgte eine Woche später die weltgrößte Industriemesse Hannover Messe, wo mehrheitlich Männer in dunklen Anzügen oder Sakko unterwegs waren und die Trend-Themen Effizienzgewinne, KI in der Fertigung, Plattformstrategien und Industrial Security lauteten.
Leerstelle Weiterbildung
Ich hatte mich dorthin aufgemacht, um mir anzusehen, wie Scheer IMC (besser bekannt als IMC AG) aus Saarbrücken sich im Umfeld von IT-Consulting und Prozessmanagement und -integration präsentiert, die ebenfalls von der Scheer-Gruppe angeboten werden.
Die IMC in Halle 15, eine KI-Trainings-Akademie, die ich nach langem Suchen zufällig in Halle 2 fand oder der große Erdball mit der Aufschrift "Education for a world in motion" auf dem Festo-Stand in Halle 9 waren allerdings die Ausnahme. Die Frage, wie Mitarbeitende mit der Transformation Schritt halten können, spielte auf der Messe keine Rolle. Selbst in Gesprächen mit Fachbesuchern fiel auf: Lernen wird nicht als strategischer Teil der Transformation mitgedacht.
Das überrascht – oder müsste es zumindest. Denn wer über die digitale Transformation der Produktion spricht, kann über Qualifizierung nicht schweigen. Neue Plattformen und Systeme erfordern neue Kompetenzen. Neue Rollen entstehen, alte fallen weg. Doch das Thema bleibt unterhalb des Radars, nicht nur auf Messen, sondern auch in vielen Unternehmen. Daran ändert auch nichts, wenn wir im Rahmen der Personalentwicklung ständig über "skill-basierte Weiterbildung" sprechen.
Lernen und Produktion häufig ohne Schnittstelle
Ein Grund dafür liegt möglicherweise in der organisatorischen Trennung: Personalentwicklung und Fachabteilungen agieren in vielen Unternehmen nebeneinander statt miteinander.
- Die Personalentwicklung ist zuständig für formale Programme: Führungstrainings, Soft Skills, Pflichtunterweisungen.
- Die Fachabteilungen kümmern sich um das operative Know-how – häufig informell, situativ, reaktiv.
Zwischen beiden fehlt häufig eine strukturierte Schnittstelle. Die einen sprechen über Skills, die anderen über Durchsatz. Die einen planen Maßnahmen im Jahreszyklus, die anderen reagieren im Tagesgeschäft. Das Ergebnis: Lernen wird nicht systemisch gedacht – weder als Teil der Wertschöpfung noch als kontinuierlicher Prozess.
Was möglich wäre: Prozessgesteuertes E-Learning
Dabei gibt es längst Beispiele, wie es anders gehen könnte. Prozessgesteuertes oder produktionsintegriertes Lernen wäre ein Ansatz, der Weiterbildung genau dort verortet, wo sie gebraucht wird: im Arbeitsfluss, an der Maschine, im System.
Ein Beispiel: Wenn ein Produktionssystem Unregelmäßigkeiten erkennt, könnte es automatisch einen Lernimpuls anstoßen – etwa ein kurzes Tutorial, eine Erklärung zur richtigen Bedienung oder ein Hinweis auf häufige Fehlerquellen. Denkbar sind auch KI-gestützte Systeme, die aus Nutzungsdaten erkennen, wo Qualifikationslücken bestehen und passgenau Vorschläge unterbreiten.
Ansätze wie diese wurden bereits im Rahmen des INVITE-Förderprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung von 2021 bis 2024 erprobt und bewertet. Da wurde zum Beispiel untersucht, wie datenbasierte Entscheidungsunterstützung für den Technologieeinsatz mit lernförderlichen Elementen verknüpft werden kann. Die Idee dahinter: Lernen als Teil der Anwendung, nicht als vorgelagerte Schulung oder nachgelagerte Maßnahme.
Weiterbildung braucht Sichtbarkeit – und strategische Verankerung
Wenn wir Qualifizierung, also auch digitales Lernen, zukunftsfähig aufstellen wollen, müssen wir diese Brüche zwischen den Welten auflösen:
- Die PE muss näher an die Prozesse heranrücken – inhaltlich wie technologisch.
- Die Unternehmensführung muss Weiterbildung als strategisches Thema auf die Agenda setzen – nicht nur in Hochglanzstrategien, sondern auch in Budgets, Meetings und eben: auf Messen.
Auf einer Industriemesse sollte das Thema Weiterbildung nicht unsichtbar sein. Das können wir uns nicht leisten. Vielmehr ist es dort eigentlich genau richtig – in einem Umfeld, das wirklich strategischen Einfluss hat.
Wo wir schon beim Thema Messe sind: Sehen wir uns auf der Learntec? Ich freue mich auf viele gute Gespräche und neue Ideen.
Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.