Kolumne E-Learning

Deutsche Beschäftigte lernen – andere lernen schneller


Deutsche Beschäftigte lernen – andere lernen schneller

Die industrielle Transformation beschleunigt sich. Fast jede Branche spricht über KI, Automatisierung und neue Produktionsformen. Doch während der technologische Anspruch steigt, hinkt die Lernrealität der Beschäftigten, insbesondere im gewerblichen Bereich, oft hinterher. Deutschland ist aktiv – aber nicht aktiv genug, schreibt Kolumnistin Gudrun Porath. Und: Es verliert im internationalen Vergleich an Boden.

Vor kurzem landete eine Pressemitteilung der Online-Lernplattform Coursera mit dem Titel "Coursera-Skills-Update Q4/25" in meinem Postfach. Die gute Nachricht: Demnach stiegen die deutschen Einschreibungen in fertigungsbezogene Kurse zwischen Januar und Oktober 2025 um 27 Prozent. Die schlechte Nachricht: Global liegt das Wachstum in diesem Bereich bei 40 Prozent. Der Rückstand ist mittlerweile so groß, dass Deutschland im internationalen Ranking der Lernplattform von Platz sechs auf Platz acht fällt und dabei von Kolumbien und Saudi-Arabien überholt wird. Und das in einem Bereich, der für die Zukunft der Industrie von entscheidender Bedeutung ist: maschinelles Lernen in der Produktion, Robotik und Software für eingebettete Systeme.

Trotz steigender Lernbereitschaft wächst der Abstand

Auch bei GenAI-Kompetenzen zeigt sich eine Schieflage. Zwar wächst die Zahl der deutschen Beschäftigten, die entsprechende Kurse belegen, im dritten Quartal um 45 Prozent. Weltweit liegt das Plus jedoch bei 74 Prozent. Der Abstand vergrößert sich also – trotz steigender Lernbereitschaft. Diese Zahlen allein wären noch kein Problem, wenn es sich um ein vorübergehendes Phänomen handeln würde. Doch der Coursera-Index zeigt seit mehreren Quartalen dieselbe Tendenz: Deutschland bewegt sich, aber andere bewegen sich schneller.

Warum ist das relevant? Weil Skills ein Standortfaktor sind – nicht erst seit heute, sondern mindestens seit gestern. Sie sichern die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitenden und die Fähigkeit einer leistungsfähigen Produktion auf Seiten der Unternehmen. Eine Industrie, die weniger in Kompetenzen investiert als ihre Wettbewerber, verliert an Wettbewerbsfähigkeit – auch gegenüber Ländern, die wir vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben.

Kontinuierliches Lernen als Wirtschaftsinstrument betrachten

Bei den Coursera-Einschreibungen in Fertigungskurse sind Indiens Beschäftigte weiterhin führend. Auch Vietnam, Pakistan und Mexiko verzeichnen starke Zuwächse. Das ist kein Zufall. Diese Länder setzen systematisch auf Kompetenzen als Treiber von Industrialisierung und Digitalisierung sowie auf Lernen als Wirtschaftsinstrument.

Ja, wir haben eine lange Tradition der beruflichen Ausbildung. Und ja, wir haben es in der Corona-Krise auch geschafft, Menschen sehr schnell dazu zu befähigen, ihrer Arbeit nachzugehen und mit digitalen Plattformen umzugehen. Aber wir haben immer noch ein schwach ausgeprägtes Verständnis von kontinuierlichem digitalen Lernen. Unsere starke Ausgangsbasis wird nicht automatisch zur Stärke in Zeiten, in denen Kompetenzen alle sechs Monate aktualisiert werden müssen.

Kurse zu GenAI oder KI dürfen weder in der Produktion noch in den Büros als "Zusatzqualifikation" betrachtet werden, sondern als Grundausstattung eines modernen Industriebetriebs. Und Weiterbildung darf nicht nur dann stattfinden, wenn Zeit übrig ist.

Die Gute Nachricht: Die Infrastruktur ist vorhanden

Die Daten von Coursera lassen sich positiv interpretieren: Die Lernbereitschaft ist vorhanden. Aber wir brauchen keinen Start in Intervallen. Wir brauchen einen Massenstart. Lernen muss als strategische Notwendigkeit und nicht als optionaler Bonus verstanden werden.

Die Infrastruktur ist vorhanden. Die Inhalte sind vorhanden – nicht nur auf diversen Online-Lernplattformen, sondern auch in vielen Unternehmen. Künstliche Intelligenz leistet als Lernbegleiter privat längst vielen Menschen nützliche Dienste. Auch Präsenzseminare sind gefragt, wie ich in vielen Gesprächen höre. Die Frage ist nur: Reicht das Tempo, geben wir genug Gas beim Lernen? Wir haben es in der Hand.

Wer mehr zum Thema wissen möchte, dem empfehle ich die kommende Ausgabe unserer Zeitschrift "Neues Lernen" (Dezember/Januar). Darin kommen unter anderem die Autorinnen und Autoren einer aktuellen Studie zum Lernen in der Produktion im Rheinischen Revier zu Wort und wir erfahren, was beim Motorenbauer Deutz AG in Köln in diesem Bereich passiert.


Über die Kolumnistin: Gudrun Porath ist freie Journalistin. Sie beobachtet unter anderem für das Haufe Personal-Portal und die Zeitschrift "personalmagazin - neues lernen" die Trends auf dem E-Learning-Markt.

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