Working Out Loud: Drei Thesen über die Zukunft von WOL

An "Working Out Loud" (WOL) kommt aktuell niemand vorbei. Das Format schickt sich an, das nächste richtig große Ding zu werden – zumindest in HR-Kreisen. Doch die Heilserwartungen sind häufig überzogen. Drei kritische Thesen zu einem Managementtrend aus Sicht der Organisationssoziologie.

Die Methode "Working Out Loud" (WOL) ist einfach: In Zirkeln von vier bis fünf Personen werden über zwölf Wochen in einstündigen Treffen nach einer festgelegten Dramaturgie individuelle Ziele vorangebracht. Es ist eine Mischung aus Peer-to-Peer-Beratung, Selbstreflexion und Anleitung zum Netzwerken. WOL soll die Fähigkeit zur Vernetzung fördern, die digitale Transformation voranbringen, Silodenken aufbrechen, Empowerment ermöglichen und lernende Organisationen kreieren.

Zum Erfolg eines Management-Trends trägt eine eingängige Beschreibung von Schmerzpunkten des Organisierens bei. Das Harzburger Modell als erster deutscher Trend reagierte auf den vermeintlichen Missstand, dass zielorientiertes Denken nur an der Spitze von Organisationen zu finden sei. Holacracy adressiert die Spannung zwischen starrer Formalstruktur und tatsächlichen Anforderungen im täglichen Handeln. Die Entstehung von Scrum wiederum war eine Reaktion auf das Bedürfnis nach schnellen Reaktionen in Entwicklungsprozessen. WOL identifiziert nun fehlende Vernetzung innerhalb und außerhalb der Organisation.

Vernetzung ist schwer anzuweisen und noch weniger steuerbar. Formalstrukturen geben in Organisationen die Informationsflüsse vor und definieren Kollaborationsnotwendigkeiten. Aber jeder weiß: Jenseits davon braucht es auch informale Vernetzung, die formale Pfade ergänzt. Dazu gehört Kollegialität genauso wie die Ausbildung informaler Gruppen. An diesem Punkt setzt WOL an – und kann genau hier auch einiges leisten. Zugleich aber ist dies auch der Grund für die Vermutung, dass die Effekte begrenzter sein werden, als der gegenwärtige Diskurs es nahelegt, weil in der Euphorie die Bedeutung des Zusammenspiels von formalen und informalen Strukturen kaum mitgedacht wird. Drei Thesen dazu:

These 1: WOL ermöglicht es den Akteuren, informal anders zu arbeiten – lässt die formalen Organisationsstrukturen aber unverändert.

Das von John Stepper entwickelte Programm wird als Grassroots-Bewegung gehandelt, schließlich sollen weder die Verwendung noch die Ziele top-down vorgegeben, sondern von den Circle-Mitgliedern selbst gewählt werden. „Lautes Arbeiten“ entsteht bei WOL durch gezielte Netzwerkarbeit, die digital stattfinden kann, aber nicht muss. Die WOL-Handreichungen schlagen vor, bei der Wahl der Ziele mit folgenden Fragen zu arbeiten: Ist es dir wichtig? Kannst du von den Erfahrungen anderer profitieren? Kannst du es als Lernziel gestalten? Kannst du in zwölf Wochen Fortschritte erzielen?

Die Ziele der Circle-Mitglieder sind damit nicht zwingend mit denen der Abteilung oder der Gesamtorganisation synchronisiert und können es auch nicht sein. Daran ist zunächst gar nichts falsch – trägt dies doch dazu bei, dass die Akteure den für WOL notwendigen Mehraufwand betreiben. Mit Blick auf die Gesamtorganisation wäre es aber naiv, sich allein von der Etablierung einiger WOL-Kreise direkte Effekte für die Weiterentwicklung der Organisation zu erhoffen. WOL ist eine wirksame Methode, informale Arbeitsweisen zu schaffen. Das kann das Erleben der beteiligten Akteure verändern und Schwierigkeiten, die in den Strukturen der Organisation begründet sind, ausgleichen oder umgehen. Damit werden Abläufe geschmeidiger und die Erreichung von Zielen wahrscheinlicher – aber all dies geschieht im Rahmen der weiter bestehenden Formalstrukturen, die durch einen Erfolg von WOL eher stabilisiert als verändert werden. Das ist ein blinder Fleck des aktuellen WOL-Diskurses.

These 2: WOL fördert cross-funktionale Zusammenarbeit – aber es ist kein Gegenentwurf zur Arbeitsteilung.

WOL stärkt Kooperation und Zusammenarbeit, gerade über Abteilungsgrenzen hinweg. Wer nun aber den Schluss zieht, WOL sei die Chance, endlich all die aus der Arbeitsteilung resultierenden Schwierigkeiten zu überwinden, der schüttet das Kind mit dem Bade aus. Natürlich, die Anpassung und Weiterentwicklung ihrer Strukturen waren schon immer und sind weiterhin ebenso notwendige wie lästige Herausforderungen für Organisationen. Was sich dabei immer wieder ändert, ist die konkrete Ausgestaltung der Strukturen – nicht aber die Notwendigkeit zur Arbeitsteilung, denn in keiner größeren Organisation kann jeder alles können und müssen. Deshalb sind die gesetzten Grenzen nicht Ausdruck eines Management-Versagens, sondern ein Effekt der notwendigen Arbeitsteilung.

Die Stärke von WOL liegt nun eben nicht in der Überwindung der Arbeitsteilung, sondern im Umgang mit einer ihrer Hauptfolgen: dem Silodenken. Denn die arbeitsteiligen Aufgaben bestimmen die Auffassungen und Meinungen von Organisationseinheiten. Nur das eigene Handeln erscheint sinnvoll, das der anderen, das anderen Rationalitäten folgt, problematisch, kurzsichtig oder falsch. Das macht es dann schwer, wieder zusammenzufügen, was ursprünglich geteilt wurde.

Hier kann WOL einiges leisten: Ein WOL-Circle bietet die Chance, sich in die Denkgebäude der anderen Circle-Mitglieder einzudenken, ihre Interessen und Ziele nachzuvollziehen, den Sinn in ihren Argumenten sehen und für eigene Argumentationen in Rechnung stellen zu können. Damit stiftet WOL Verständigung schon im Vorfeld eskalierender und bremsender Auseinandersetzungen – all dies aber im Rahmen von arbeitsteiligen Strukturen, mit denen besser umzugehen auf diese Weise leichter und einfacher gelingen kann.

These 3: Die Hierarchie muss WOL absichern – aber sie darf WOL nicht als Feigenblatt für schlechtes Management benutzen.

Vorsicht ist geboten, wenn WOL als Organisationsentwickler wirksamer Changeprozesse fungieren soll. Erwarten Führungskräfte dies, machen sie es sich zu leicht. Wichtige Fragen werden dann nicht mehr gestellt: Welche Voraussetzungen braucht es, um die Organisation voranzubringen? Welche formalen Strukturen müssen wir dafür schaffen?

Arbeitet man mit WOL innerhalb von kooperations-unfreundlichen Strukturen, wird ein WOL-Circle schnell zum Ort, an dem die Teilnehmenden gemeinsam kluge Wege entwerfen, um den Stolpersteinen der bestehenden Strukturen geschickt auszuweichen. In der kleinen, zwölfwöchigen Parallelwelt ist dann zu erleben, dass es eben doch anders geht. Das bringt Vorgesetzte in schwierige Situationen: Was tun, wenn Mitarbeitende aus dem WOL-Circle kommen und beginnen wollen, dauerhaft anders mit und in der Organisation zu arbeiten? Letztlich ist das aber das alltägliche und zugleich produktive Dilemma, in dem Vorgesetzte ständig stehen: Impulse aufnehmen und formale Strukturen anpassen.

Diese Notwendigkeiten besser zu erkennen und die Hebel an der richtigen Stelle anzusetzen, dabei  kann WOL helfen. Aber den Führungskräften die Arbeit auch an den Formalstrukturen abnehmen, das kann WOL nicht.

Wie andere Management-Trends reagiert WOL auf Nebenfolgen formaler Organisationen. Keine Methode kann aber alle Dysfunktionalitäten ausgleichen. Der Vorteil eines Management-Trends ist die diskursive Vorbereitung von Veränderungen. Oft genug wird aber unterschätzt, welche Detailarbeit sich hinter den Veränderungen verbirgt. Deshalb wird, wer organisationsklug führen will, sich um eine Balance zwischen kohäsionsstiftender Rhetorik und intensiver Strukturarbeit bemühen. Und dazu gehört, sich den Mühen der Strukturarbeit auszusetzen. Für HR-Abteilungen leitet sich daraus der Anspruch ab, Führungskräfte bei der Arbeit an guten Strukturen zu unterstützen. Und gern darf darüber dann auch laut gesprochen werden.


Hinweis: Dieser Artikel ist im Personalmagazin 10/2018 erschienen.


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