Ukraine-Russland-Krieg: Mitarbeiter zurückholen

Viele Unternehmen haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich in der Ukraine aufhalten und dort für ihren Arbeitgeber tätig sind. Jetzt, wo die Ukraine Kriegsgebiet ist und die Sicherheit der betroffenen Mitarbeiter nicht mehr gewährleistet ist, gilt es, die Beschäftigten zurückzurufen und sie sicher nach Deutschland zu bringen. Was müssen Arbeitgeber wissen?

Seit Anfang des Jahres häuften sich Anfragen seitens Unternehmen bei der BDAE Consult, inwieweit es noch ratsam sei, gegenwärtig Mitarbeitende in der Ukraine und/oder Russland einzusetzen. Wenngleich zu jenem Zeitpunkt die wenigsten ernsthaft an den Ausbruch eines Kriegs zwischen Russland und der Ukraine geglaubt hatten, kamen die betreffenden Unternehmen nach einigen Überlegungen zum Schluss, von Mitarbeitereinsätzen in der Ukraine bis auf Weiteres abzusehen. Auch geplante Mitarbeitereinsätze in Russland wurden vorerst auf Eis gelegt.

Bereits seit 2014 gilt die Ukraine als Krisengebiet und deshalb haben Unternehmen, die Personaleinsätze in diesem Land planten, eine gesteigerte Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern, die sie vor Ort einsetzen. Laut § 618 BGB sind Arbeitgeber dazu verpflichtet "Dienstleistungen, die unter ihrer Anordnung oder ihrer Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leib und Leben geschützt ist…" Damit einher geht auch eine Informationspflicht. Das bedeutet: Bei Einsätzen in kritischen Regionen muss der Arbeitgeber seine entsandten Arbeitnehmenden im Vorfeld bestmöglich aufklären und auf Gefahren hinweisen. Diese Informationspflicht gilt sowohl im Vorfeld der Entsendung als auch fortlaufend und regelmäßig während des Auslandsaufenthalts. Im Fall der Ukraine bekam diese Verpflichtung besondere Bedeutung, als die Gefahr in Zusammenhang mit der Russland-Krise zunahm.

Unternehmen haben eine Rückholungspflicht

Die Informationen müssen dabei vollständig sein, so dass Mitarbeitende nicht selbst recherchieren müssen, sie müssen bereits vor der Abreise zur Verfügung gestellt werden, angemessen und aktuell sein und die Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes wiedergeben. Spätestens am 11./12. Februar - als sowohl die Bundesregierung als auch die US-amerikanische Regierung ihre Bürgerinnen und Bürger dazu aufrief, die Ukraine zu verlassen - hätten auch Unternehmen ihre Expats aus dem Land holen müssen. Eine entsprechende Pflicht, Mitarbeitende ins Heimatland zurückzuholen, ergibt sich vor allem in Zusammenhang mit Tätigwerden einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters im Auftrag des Arbeitgebers in einem Krisengebiet und einer damit verbundenen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Eine solche Verpflichtung ergibt sich dabei bereits aus den gesetzlichen Vorgaben. In der Praxis wird den Mitarbeitenden dies auch regelmäßig ausdrücklich in Entsendevereinbarungen zugesichert, um hier bereits von Anfang an den Sicherheitsaspekt hervorzuheben. 

Unternehmen, die Personaleinsätze in Krisenregionen haben, sollten außerdem grundsätzlich ein Notfallkonzept im Vorfeld erarbeitet haben, das skizziert, wie und unter welchen Umständen Expats schnell zurückgeholt werden können. Um dieses Konzept und entsprechenden Notfallplänen im Ernstfall auch umsetzen zu können, sind dann im Zweifelsfall die entsprechenden Spezialisten einzubeziehen, die hierbei behilflich sein können, insbesondere sofern der Arbeitgeber diese allein nicht abbilden könne. Sie sind jedoch nicht verpflichtet, beispielsweise eine entsprechende Assistance-Versicherung abzuschließen.

Evakuierungen aus der Ukraine derzeit per Flugzeug nicht möglich

Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine und den Sanktionen gegenüber Russland hatten auch in Russland tätige deutsche Unternehmen die Verpflichtung, Expats zurückzuholen. Doch was passiert, wenn sich gegenwärtig noch Expats in der Ukraine oder Russland aufhalten, weil Unternehmen den richtigen Zeitpunkt verpasst haben? Dass Arbeitgeber verpflichtet sind, diese zurückzuholen steht außer Frage. Die Möglichkeiten sind aktuell äußerst begrenzt, da der Luftraum über der Ukraine und über Russland gesperrt ist. Selbst das Auswärtige Amt verweist darauf, dass Evakuierungen aus den betroffenen Regionen per Flugzeug momentan nicht möglich sind. Dasselbe gilt für spezialisierte Assistance-Dienstleister, die ebenfalls keine Evakuierungen aus dem Landesinneren vornehmen können. Eine Evakuierung auf dem Landwege kann derzeit mehr als 48 Stunden in Anspruch nehmen. Auch wenn gegenwärtig keine Rückholung aus dem Kriegsgebiet stattfinden kann, so sind Firmen zumindest dazu verpflichtet, eine Rückholung ab den Grenzen von der Ukraine (zum Beispiel Polen, Rumänien usw.) zu organisieren. Unternehmen, deren Expats sich aktuell noch in Russland aufhalten, empfiehlt die BDAE Consult über die Drehkreuze Istanbul und Dubai zurück nach Deutschland zu fliegen. Noch fliegen türkische und emiratische Airlines aus Russland heraus. Sobald diese Flüge ebenfalls gestrichen werden, schwinden auch die letzten Möglichkeiten, die Expats nach Deutschland zurückzuholen. 

Passives Kriegsrisiko bei Auslandskrankenversicherungen beachten

Inwieweit Expats Regressansprüche gegenüber ihrem Arbeitgeber erheben können, weil eine Rückholung vor Kriegsausbruch nicht veranlasst worden ist, kann pauschal nicht beantwortet werden. Vielmehr ist dies abhängig vom Einzelfall und den vom Arbeitgeber ergriffenen oder eben nicht ergriffenen Maßnahmen. Anders sieht es im Versicherungsfall aus. Auch hier erreichen die Beraterinnen und Berater der BDAE Consult seit Tagen Anfragen seitens der Firmen. Tatsächlich schließen einige Anbieter von Auslandskrankenversicherungen das sogenannte passive Kriegsrisiko aus. Das bedeutet, dass Versicherer bei Erkrankungen oder Verletzungen, die aufgrund von Kriegsereignissen entstanden sind, nicht mehr leisten. Seit vielen Jahren weist die BDAE Gruppe darauf hin, dass "passives Kriegsrisiko" bei Auslandskrankenversicherungen für Expats stets im Versicherungsschutz enthalten sein sollte. 

Üblich ist es hingegen, das aktive Kriegsrisiko vom Versicherungsschutz auszuschließen. Hierbei gilt grundsätzlich, dass bei einem aktiven Kriegsrisiko keine Leistungspflicht besteht, bei passivem Kriegsrisiko jedoch schon. Wer also in der Ukraine oder In Russland aktiv zur Waffe greift oder sich offiziellen Anordnungen zum Schutz der eigenen Sicherheit widersetzt, begibt sich in ein aktives Kriegsrisiko. Wer jedoch ohne eigene Kampfhandlungen zu Schaden kommt, genießt weiterhin Versicherungsschutz. Ob Expats trotz der Gefährdungslage vor Ort ausreisen oder nicht, hat dabei grundsätzlich keinen Einfluss auf die Leistungspflicht im Versicherungsfall – mit Ausnahme des aktiven Kriegsrisikos.

Ein wichtiger Bestandteil vieler Auslandskrankenversicherungen sind dabei auch die medizinischen Assistance-Leistungen, die unter anderem sicherstellen, dass Personen im Krankheitsfall oder nach einem Unfall nach Hause oder in ein Krankenhaus transportiert werden, das eine angemessene medizinische Versorgung gewährleistet. Im Fall eines in der Ukraine erkrankten Expats erscheint diese Leistung momentan wichtiger denn je, kann jedoch faktisch aufgrund des Flugverbots und Kriegszustandes nicht erbracht werden. Anders sieht es (noch) in Russland aus. Hier sind nach Kenntnis der BDAE Gruppe medizinische Transporte auf dem Luftwege weiter möglich – auch per Ambulanzjets.

Herausforderung lokaler Arbeitsvertrag in Russland

Als problematisch erweisen sich überdies die Sanktionsmaßnahmen gegenüber Russland für versicherte Expats vor Ort. So können aufgrund von Russlands Ausschluss aus dem SWIFT-Verfahren derzeit keine Geldleistungen oder Kostenerstattungen in das Land fließen. Umgekehrt können beispielsweise niedergelassene deutsche Tochtergesellschaften keine Versicherungsbeiträge an Versicherer in Deutschland und der EU sowie USA zahlen. Ähnlich problematisch verhält es sich beim Thema Gehaltszahlungen von Expats, die nicht klassisch in Fortführung ihres deutschen Arbeitsvertrages entsandt, sondern im Rahmen einer Versetzung mit einem lokalen russischen Vertrag in Russland eingesetzt sind. Durch den Wertverfall des russischen Rubels sinkt auch die Kaufkraft der betroffenen Expats, deren Gehälter meistens an die bisherigen deutschen Gehälter bemessen werden. Es ist nicht unüblich, dass für deutsche Managerinnen oder Manager in Russland eine lokale Anstellung vereinbart worden ist. Meist geschieht dies in Kombination mit einer Ruhensvereinbarung für das Beschäftigungsverhältnis bei der deutschen entsendenden Gesellschaft. Hier stehen Unternehmen vor der Herausforderung, dass sie mit der Rückholung auch den lokalen russischen Arbeitsvertrag kündigen müssen – theoretisch nach russischem Arbeitsrecht – und vor der Frage stehen, welche Tätigkeit sie den Rückkehrern aus Russland anbieten.

Geopolitische Risiken bei Mitarbeitereinsätzen im Ausland immer mitdenken

Und noch eine besondere Konstellation haben die Beraterinnen und Berater beobachtet: So gibt es deutsche Firmen, darunter auch Start-Ups, die ukrainische Mitarbeitende beschäftigen, die von dort aus dem Homeoffice heraus arbeiten. Auch für diese Personen haben Arbeitgeber eine Verpflichtung, für deren Sicherheit zu sorgen. Gelingt es dem betroffenen ukrainischen Personal nach Deutschland zu fliehen, so haben diese nach den Plänen der europäischen Kommission die Möglichkeit, über ein vereinfachtes, unbürokratisches Verfahren Asyl zu bekommen und vorübergehenden Schutz bis zu drei Jahre zu erhalten. Mit dem erworbenen Asylstatus könnten diese Personen in Deutschland die bisherige Erwerbstätigkeit fortsetzen. 

Der aktuelle Ukraine-Krieg zeigt vor allem eines: Unternehmen, die Mitarbeitende im Ausland einsetzen- egal wo – sollten geopolitische Risiken grundsätzlich und bei jedem Auslandseinsatz mitdenken und sich bei ersten Warnzeichen mit ihren Notfallplänen auseinandersetzen und lieber früher als später mit der Rückholung beginnen.