Talente - so fleißig wie Bienen oder so nervös wie Erdmännchen?

Im Talent Management werden gerne Analogien zur Tierwelt gezogen. Welche dabei zutreffend scheinen und warum Talente am Ende doch so manchen Vergleich Lügen strafen, hat unser Kolumnist Martin Claßen diese Woche für Sie einmal hinterfragt.

Beliebt ist etwa der Spruch vom Bienenfleiß, den ein Talent ebenfalls auszeichne. Ohne Fleiß kein Honig, weiß die Biene. Ohne Fleiß kein Preis, sagt sich das Talent und rackert emsig für Karriere und Salär.

Falsch, sagte bereits vor langer Zeit der Insektenforscher Martin Lindauer. Besonders träge war die von ihm vier Wochen intensiv beobachtete Biene mit der Nummer 107. Die hat nämlich in den 20 Tagen ihres Innendienstes im Bienenstock von 139 Beobachtungsstunden nur 50 Stunden gearbeitet und 89 Stunden müßig verbracht. Das sind fast zwei Drittel "Dolcefarniente", wie eine Kollegin südlich der Alpen dazu sagen würde. In dieser Zeit des süßen Nichtstuns saß Biene 107 sogar 39,5 Stunden ganz still. Weitere 49,5 Stunden lungerte sie ungezwungen auf den Waben, wobei sie mal eine Zelle flüchtig inspizierte, mal mit einer Nachbarin kurz Kontakt aufnahm.

Transfer von Forschungsergebnissen

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, die Biene 107 mit dem Namen eines faulen Kollegen ersetzen, das Wort Bienenstock mit Hauptverwaltung tauschen und statt Wabe und Zelle an Bürozimmer und Meetingraum denken, wissen sie, warum der Transfer solcher Forschung auf den beruflichen Alltag leicht fällt.

Insektenforscher fördern immer wieder faszinierende Dinge aus dem Tierreich zu Tage. Besonders die Vibrokryptologen bestätigen den Erfolg von Strategien, die jeder Machtmensch einer Organisation längst beherzigt. Da gibt es Raubinsekten, die sich nur in Zeitlupe bewegen, um ja keine Mikroerschütterungen zu erzeugen. Dabei ertasten sie Vibrationen ihrer Beutetiere, an die sie sich anschleichen und dann bissfest zupacken. Wenn Sie nun, liebe Leserinnen und Leser, ... Sie wissen schon.

Fragwürdige tierische Erkenntnisse

Hingegen glaube ich nicht an die Übertragbarkeit von Ergebnissen des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Deren Forscher haben Erdmännchen beobachtet, eine Spezies, die uns als Säugetiere eigentlich näher sein sollte als primitive Insekten. Dabei fanden sie heraus, dass Gruppen mit harten Interessenkonflikten zu besseren Entscheidungen kommen. Händel, Streit und Zank seien also für das Erdmännchen kollektiv positiv zu bewerten.

Na ja, wer diese putzigen Tiere jemals in einem Zoo gesehen hat, zweifelt am Transfer aufs Talent Management. Huschen diese kleinen Nager doch hektisch durch ihre Röhren und kuscheln sich möglichst oft an bereitgestellte Hitzequellen.

Hingegen sind wahre Talente im Menschenreich weder nervös noch Warmduscher. Sie brauchen auch keinen Clinch, um sich mit ihrer Sicht der Dinge durchzusetzen. Sie sind einfach nur dem Rest ihrer Sippe haushoch überlegen. Genau deswegen wurden sie zum Talent.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talentmanagement gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.