Selbstführung für Führungskräfte

Be who you want to be! Doch wie gelingt das? Mit ausreichend Selbstführung natürlich. Doch was genau ist das eigentlich, "Selbstführung"? Und geht das wirklich, sich selbst führen? Kolumnist Randolf Jessl geht diesen Fragen auf den Grund.

Wer sich nicht selbst führen kann, kann auch andere nicht führen! Diese gerne beiläufig geäußerte Auffassung trifft ins Schwarze. Aber ist die Aussage korrekt? Gibt es das: Selbstführung? Und worin besteht sie?

Im Sinne der Wissenschaft gibt es Selbstführung eher nicht. Braucht es zum Führen doch immer auch andere Menschen, die folgen. In der Psychologie sprechen sie daher lieber von Selbstregulation. Oder "Selbstbeeinflussung, um effektiver zu werden".

Dekonstruktion für Führungskräfte: "Ich ist ein anderer"

Dennoch ergibt die Vorstellung, sich selbst zu führen, Sinn. Zumindest für alle, die zu ein bisschen gesunder Persönlichkeitsspaltung fähig sind. Die von ihrem inneren Schweinehund wissen. Die nicht alles glauben, was sie denken. Die wissen, dass sie oft gegen besseres Wissen oder ihre eigentlichen Absichten handeln. Stichwort: Emotionen, Vorurteile, Schwächen, Triebe.

Kurzum: Selbstführung ergibt für alle Menschen Sinn, die über sich und ihr Tun reflektieren können und wollen. Und das ist das A & O für gute Führung. Aber was braucht es dazu? Aus meiner Sicht zweierlei. Tief in sich hineinkriechen und ganz weit aus sich heraustreten. Auch wenn das jetzt esoterisch klingt.

Ein unverzichtbarer Kompass: Werte, Ideale und Prinzipien

Was finden Menschen, die sich selbst führen wollen, tief in sich? Ihre Werte, ihre Ideale, ihre Prinzipien, ihre Stärken und Schwächen. Also Dinge, die ihnen wichtig sind und von denen sie sich leiten lassen. Nur aus diesen schöpfen sie Kraft. Nur diese geben ihnen Halt. Werte, Ideale und Prinzipien ermöglichen ihnen auch zu handeln in Phasen, wo Dinge unklar sind, etwas gewagt werden muss, kein Drehbuch existiert. Und darum geht es ja beim echten Führen (alles andere sollte man besser organisieren oder verwalten nennen).

Das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen bewahrt sie wiederum davor, sich zu verschleißen, aufs falsche Pferd zu setzen, sich zu verzetteln. Doch wie stoßen sie zu diesen vor? Im Selbstgespräch oder im Coaching mit Vertrauenspersonen. Folgende Fragen helfen dabei:

  • Was ist mir wichtig – als Mensch, aber auch in einer Führungsrolle?
  • Wofür will ich stehen, was sollen andere von mir denken und sagen?
  • Was lehne ich ab, was heiße ich gut?
  • Welche Grundsätze und Regeln sollen mein Tun bestimmen?
  • Wo bin ich gut, wo nicht so gut?
  • Was bereitet mir Freude, was schlägt sich mir aufs Gemüt?
  • Wo liegen meine Grenzen - mit Blick darauf, was ich leisten kann, was ich beherrsche, was ich vertreten kann?

Der Realitätscheck: Folge ich meinem Nordstern?

Und was tun Menschen, die ganz weit aus sich heraustreten? Sie beobachten ihr Tun aus der Außenperspektive - möglichst kritisch und gemessen an ihren Werten, Idealen, Prinzipien sowie Stärken und Schwächen. Sie stellen sich dann Fragen wie zum Beispiel:

  • Bin ich meinen Prinzipien in dieser Situation treu geblieben?
  • Habe ich hier meine Grenzen überschritten?
  • Hat mir das eben gut getan oder weh getan?
  • Was hat mich eigentlich dazu gebracht, so zu handeln?
  • War mein Tun im Einklang mit meinen Werten oder nicht?
  • War es das wert?

Geschieht beides, das in sich Hineinkriechen wie das aus sich Heraustreten, dann können wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass diese Menschen nicht nur sich, sondern auch andere gut und effektiv führen. Geschieht beides nicht, sollten wir diesen Menschen keine Führungsrollen anvertrauen und ihnen besser nicht folgen.

Merkmale selbstreflektierter Führungspersönlichkeiten

Doch woran merken wir als Außenstehende, ob andere sich selbst führen? Meine Beobachtung in langen Jahren Führung und Zusammenarbeit sowie als Berater, Coach und Trainer: an ihrem Verhalten und Auftreten. An Qualitäten wie Ausgeglichenheit (die Person kennt und beachtet ihre Grenzen), Besonnenheit (sie wägt ab und reflektiert), Konsistenz (die Person ist ihren Idealen, Werten und Prinzipien treu), Empathie (sie kann sich hineinfühlen – in sich und andere) sowie eine Prise Demut (die Person hinterfragt sich selbst, kennt ihre Grenzen).

Erst dann vermittelt diese Person mir und anderen das gute Gefühl, dass sie weiß, was sie tut, und tut, was sie sagt. Man spürt, dass sie nicht nur über die Aufgabe nachdenkt, die es zu bewältigen gilt und über den Weg, wie das gelingt. Sondern dass sie ebenso ihre Rolle darin mitbedenkt und diese bestmöglich erfüllen will. Und genau das ist der Lackmustest, ob sie alle, die bereit sind zu folgen, gut wird führen können.

Hinterfragen erlaubt: Was Geführte sich herausnehmen sollten

Und was, wenn ihr Verhalten hierzu nicht eindeutig ist? Dann rate ich dazu, durchaus als Kollegin, ja selbst als "Untergebener" nachzuhören und zu hinterfragen. Unaufdringlich, wertschätzend und klar:

  • Sind Sie sicher, dass Sie sich (und uns) das zumuten wollen?
  • Wie passt das zu Ihrer Auffassung, dass wir in solchen Fällen keine Zugeständnisse machen?
  • Ich kenne Sie ganz anders: Was hat Sie dazu bewogen, hier so zu handeln?

Das ist nicht anmaßend. Vielmehr hilft es Menschen, die führen, zu reflektieren, wie sie wirken, was sie sagen und was sie gemessen daran tun. Und es kann die Führungsperson wie die Gruppe, die folgen soll, vor Schaden bewahren.


Randolf Jessl ist Inhaber der  Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.

Schlagworte zum Thema:  New Work, Leadership, Mitarbeiterführung