MBA: Interview zu Entrepreneurship-Programmen

Entrepreneurship scheitert meist nicht an guten Ideen, sondern an den Widerständen gegen Ver­änderung, meint David Schonthal, Mitautor des Buchs "The Human Element". Diese Erkenntnis möchte er als Professor für Entre­pre­neur­ship-Programme an der Kellogg School of Management stärker zum Tragen bringen.

Personalmagazin: Herr Schonthal, ein eigenes Unternehmen gründen oder Karriere im Innovationsmanagement machen – wie attraktiv ist das für MBA-Studierende?

David Schonthal: Für Vollzeitstudierende war das schon immer sehr attraktiv. Sie erhoffen sich vom MBA-Studium das Netzwerk und die Fähigkeiten, sich irgendwann selbstständig machen zu können. Ihr eigener Chef sein und zwar zu selbstgewählten Bedingungen, das ist ein Versprechen von Autonomie und Freiheit. Bei Kellogg sind Kurse für Entrepreneurship nicht Teil des Kernlehrplans, aber 70 Prozent der Studierenden entscheiden sich aktiv dafür. Einen Schub erleben wir vor allem beim Executive MBA. Den wählten in der Vergangenheit meist Leute, die berufsbegleitend studiert haben, die die nächste Karrierestufe gehen wollten und denen das Unternehmen ihren MBA gezahlt hat. Nun finanzieren zwei Drittel ihr Studium selbst. Diese Studierenden möchten immer häufiger unternehmerisch gestalten.  

Personalmagazin: Wie viele der Studierenden, die Entrepreneurship-Kurse belegen, haben später tatsächlich in der einen oder anderen Form beruflich mit Unternehmertum zu tun?

Schonthal: Nach Untersuchungen der Kellogg-Fakultät liegt das Durchschnittsalter erfolgreicher Entrepreneure bei der Gründung des eignen Unternehmens bei 45 Jahren. Also gründen sie im Schnitt oft mehr als fünfzehn Jahre nach Abschluss eines Vollzeitstudiums, das die meisten mit Ende 20 oder Anfang 30 abschließen. Aber nicht alle, die Unternehmer werden wollen, sollten auch Unternehmer sein.

Entrepreneurship: Was gute Unternehmer ausmacht

Personalmagazin: Warum? Kann man Unternehmertum also gar nicht lernen?

Schonthal: Nun, ja und nein. Wir können Menschen beibringen, wie sie am besten vorgehen, welche Tools sie brauchen oder wie sie trotz minimaler Ressourcen ein Startup aufbauen können. Aber wir können niemandem Resilienz, Mut oder Entschlossenheit lehren. Nicht jeder kann Unternehmertum. Die große Mehrheit kann es nicht, was zum Teil an der Veranlagung liegt. Es ist nichts Schlimmes, wenn es einem an Beharrlichkeit fehlt. Wenn man das weiß, ist es ein Vorteil: Dann kann man einen Berufsweg einschlagen, bei dem diese Eigenschaft weniger wichtig ist als bei einer Unternehmensgründung. Denn da wird man oft ein "Nein" hören oder "Du liegst falsch".

Nicht jeder kann Unternehmertum. Die große Mehrheit kann es nicht, was zum Teil an der Veranlagung liegt." - David Schonthal, Kellogg School of Management


Personalmagazin: Elon Musk hat vor einiger Zeit behauptet, dass zu viele MBAs die Fähigkeit von Unternehmen untergraben, kreativ zu denken und Kundenbedürfnisse zu erfüllen. Was ist aus Ihrer Sicht an dem Image dran, dass MBAs eher Erfüllungsgehilfen im Management als innovative Geister sind?

Schonthal: Nichts, aber ich verstehe das darin enthaltene Vorurteil: die Annahme, dass die meisten Business Schools ihren Studierenden beibringen, erst zu analysieren und dann zu handeln. Und dass Kundenforschung typischerweise von Marketingabteilungen und Agenturen mittels Umfragen und Fokusgruppen durchgeführt wird. Früher wurde gelehrt, dass die Aufgabe eines "Managers" darin besteht, zu managen – und nicht, Entdeckungen in der Praxis selbst zu machen. Das galt für die meisten Business Schools, ist aber heute nicht mehr so.

Personalmagazin: Wie läuft es denn stattdessen heute?

Schonthal: Wir bei Kellogg möchten allen Studierenden beibringen, wie Gründer zu denken. Das beginnt damit, dass sie in aller Tiefe die Probleme der Menschen erforschen, die sie zu lösen versuchen. Wie Anthropologen, die selbst ins Feld gehen. Das geistige Eigentum eines Unternehmens besteht darin, etwas über Menschen herauszufinden, was andere noch nicht wissen. Dann muss man schnell mit Lösungen und Geschäftsmodellen experimentieren und iterieren, bis man etwas entdeckt, das wünschenswert, lebensfähig und machbar ist. Diese Fähigkeit ist auf alle Arten von Unternehmen übertragbar, nicht nur auf Startups.

Das geistige Eigentum eines Unternehmens besteht darin, etwas über Menschen herauszufinden, was andere noch nicht wissen." - David Schonthal, Kellogg School of Management


Personalmagazin: Inwiefern hat die Pandemie den Innovationsdruck auf Business Schools verstärkt?

Schonthal: Über Videos und Podcasts kann man heute so ziemlich jede Theorie lernen. Für Business Schools ist es deshalb noch wichtiger geworden, eine einzigartige Erfahrung in ihren Klassenzimmern vor Ort und vor allem online zu bieten. Im Zuge der Pandemie habe ich persönlich einen Teil meiner Vorlesungen im Voraus aufgezeichnet und asynchron zur Verfügung gestellt. Ich verwende auch Videos von Drittanbietern, zum Beispiel Steve Blanks Udacity als "Lehrbuch" für meinen Kurs zur Neugründung. Steve Blank ist der Begründer der Lean-Startup-Bewegung und Pionier der modernen unternehmerischen Praxis. Warum sollten die Studierenden zu Kellogg kommen, damit ich ihnen das Gleiche erzähle, was er ihnen online und kostenlos erzählt? Studierende entscheiden sich für die Business School, um Wissen und Erfahrungen zu sammeln, die sie nirgendwo anders bekommen können.

Personalmagazin: Wie bereiten Sie die Studierenden in den Kursen darauf vor, dass Unternehmertum kein Spaziergang ist?

Schonthal: Die Kurse vermitteln nicht nur unternehmerische Fähigkeiten, sondern auch die emotionale Reise des Unternehmertums. Im Entrepreneur-Einführungskurs zeige ich den Studierenden ein Diagramm: Am Anfang sehen sie ein glückliches Gesicht bei der Aussicht, ihr eigener Chef zu sein und viel Geld zu verdienen. Dann geht die Kurve schnell nach unten, während sich die Reise von der Phase des "naiven Optimismus" zur Phase des "informierten Pessimismus" entwickelt – etwa, wenn sie merken, dass Märkte hart umkämpft sind. Wenn sie dann neue Methoden und Werkzeuge an die Hand bekommen, um Probleme neu zu formulieren und mit Gegenwind umzugehen, steigt die Kurve wieder an und erreicht die Phase des "informierten Optimismus". Dies ist der emotionale Bogen des zehnwöchigen Kurses. Die Studierenden können in Echtzeit spüren, wie es ist, ein Unternehmen zu gründen – weil sie es tun. Im besten Fall stellen sie fest, dass sie von Natur aus mehr Beharrlichkeit besitzen, als sie dachten. Das ist großartig, aber nichts, was wir hervorbringen, wenn es nicht schon da sind.

Innovationsmanagament: Gute Ideen erzeugen immer Reibung

Personalmagazin: Sie erklären im Buch "The Human Element", dass man im Innovationsmanagement oft den Reiz einer Idee zu erhöhen versucht, statt sich mit Widerständen auseinanderzusetzen, die sie auslöst. Wie machen Sie das den Studierenden klar?

Schonthal: Viele angehende Entrepreneure gehen davon aus, dass eine gute Idee alle Widerstände überwindet. Wenn sie zwischen Idee und Umsetzung in eine Sackgasse geraten und nicht alle von einer Innovation begeistert sind, dann denken sie: "Irgendetwas an der Idee muss falsch sein. Ich erkläre sie nicht richtig oder ich setze sie nicht angemessen in Szene." Sie unterschätzen, wie stark die Anziehungskraft des Status quo ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Mit unserer Friction-Theorie versuchen wir ein Umdenken anzuregen: Es kann sinnvoll sein, zunächst zu überlegen, welche Reibungen eine Idee auslöst und warum.

Personalmagazin: Klingt logisch. Aber in der Praxis ist das gar nicht so einfach, diese Art des Perspektivwechsels …

Schonthal: Ja, Menschen neigen dazu, die Dinge durch die Brille ihrer eigenen Erfahrung zu betrachten. Wenn wir auf der Autobahn einen rücksichtslosen Fahrer sehen, der zu schnell fährt und andere riskant überholt, denken wir, da sitzt eine unfähige oder alkoholisierte Person am Steuer. Aber wer weiß, vielleicht ist jemand auf dem Weg ins Krankenhaus oder es steckt ein anderer Notfall dahinter. Wenn es um Innovation geht, führt diese Unfähigkeit, von der Innen- zur Außenperspektive zu wechseln, zu der falschen Annahme, dass wir allein die Kontrolle darüber haben, ob etwas erfolgreich ist oder nicht. Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Idee und zu wenig auf das Publikum.

Wenn es um Innovation geht, führt diese Unfähigkeit, von der Innen- zur Außenperspektive zu wechseln, zu der falschen Annahme, dass wir allein die Kontrolle darüber haben, ob etwas erfolgreich ist oder nicht. Wir konzentrieren uns zu sehr auf die Idee und zu wenig auf das Publikum." - David Schonthal, Kellogg School of Management


Personalmagazin: Wie kann man Hindernisse auf dem Weg zum Entrepreneurship am besten überwinden?

Schonthal: Eine reibungslose unternehmerische Reise ist eine Art Oxymoron. Unternehmer stoßen immer auf Menschen und Organisationen, die sich nicht vom Status quo wegbewegen oder sich nicht die Mühe machen wollen, ihre Ideen zu prüfen. Aber es ist wie in den Marvel-Superheldenfilmen: Die X-Men sind ganz normale Menschen, die bemerkenswerte Superkräfte entwickeln, weil sie an ihren Herausforderungen wachsen. Schwierige Aufgaben spornen sie an und lassen sie erkennen, dass sie Fähigkeiten haben, die sie vorher nicht zu schätzen wussten. Ein bisschen Stress ist für Unternehmertum also ganz gut.

Internationale Startups: Wenn die Kultur der Innovation im Weg steht

Personalmagazin: Es gibt aber auch strukturelle Hindernisse für Gründertum, vielleicht nicht in den USA, aber anderswo schon …

Schonthal: Das stimmt, die USA sind ziemlich einzigartig, was die Förderung von Unternehmertum angeht. Kulturell bedingt haben wir eine gewisse Toleranz für Misserfolge. In vielen Ländern der Welt, zum Beispiel in Teilen Asiens und des Nahen Ostens, wird unternehmerisches Risiko oder Scheitern überhaupt nicht geschätzt. Je nach Kultur schrecken die Menschen vor Innovationen zurück, weil Veränderungen mit Aufwand, Emotionen oder Abwehrhaltungen verbunden sind. An dieser Stelle wird die Reibungstheorie aus unserem Buch interessant: Sie kann dazu beitragen, bestimmte Hindernisse zu reduzieren.

Je nach Kultur schrecken die Menschen vor Innovationen zurück, weil Veränderungen mit Aufwand, Emotionen oder Abwehrhaltungen verbunden sind." - David Schonthal, Kellogg School of Management


Personalmagazin: Zum Beispiel?

Schonthal: In den Vereinigten Arabischen Emiraten galten Startups in den letzten Jahren als neue Energiequelle für das Land – die Zeit der großen Ölexporte in den 1990ern ist vorbei. Um Wachstum zu generieren, wollte die Regierung eine Bewegung für Unternehmertum katalysieren. Doch die Jungunternehmer – vor allem die an den Universitäten – stießen auf viele bürokratische und kulturelle Hürden. Von der Idee bis zum Launch eines Produkts verging mindestens ein Jahr. Hinzu kam: In Dubai gilt Scheitern traditionell als Stigma, nicht nur für die Unternehmer selbst, sondern vor allem für deren Familien. Ein Job in der Verwaltung oder der Regierung ist viel höher angesehen. Die Regierung in Dubai hat deshalb ein Innovationshub aufgebaut und dafür die Dubai Future Foundation (DFF) gegründet.

Personalmagazin: Wie ist diese Einrichtung mit den Vorbehalten dem Gründertum gegenüber umgegangen?

Schonthal: Es entstanden neue Fördertöpfe, Vernetzungsmöglichkeiten und eine Art kreative Freihandelszone mit lockeren Regelungen für die Zulassung von Businesseinheiten. Außerdem erklärte der Premierminister der VAE, seine Hoheit Sheikh Mohammad bin Rashid Al Maktoum, in einem Strategiepapier Entrepreneurship zur nationalen Aufgabe. Die Regierung von Dubai verschickte ein von dem Herrscher persönlich unterzeichnetes Dankesschreiben an die Eltern derjenigen, die das DFF-Unternehmerprogramm absolviert hatten. Dies hat viel dazu beigetragen, Unternehmertum im Land neu zu gestalten.

Die Business School als Ort des Ausprobierens

Personalmagazin: Inwiefern beherzigen Sie als Direktor für Entrepreneurship von Kellogg ihre Friction-Theorie?

Schonthal: In hohem Maße! Wir sehen es nicht als unsere Aufgabe, Hindernisse zu beseitigen, die einer unternehmerischen Tätigkeit im Wege stehen. Nicht alle Hindernisse, denn ein wenig Reibung hilft Unternehmern wie gesagt, ihren Mut und ihre Ausdauer zu entdecken. Aber bei strukturellen Hürden können wir auf jeden Fall helfen. Jede und jeder Studierende hat einen anderen unternehmerischen Weg. Wir sind bestrebt, eine Kellogg-Reise zu entwerfen, die genau auf die Bedürfnisse eines bestimmten Gründers oder einer Gründerin zugeschnitten ist – in funktionaler, akademischer, sozialer und emotionaler Hinsicht.

Personalmagazin:  Aber die Entrepreneur-Kurse sind freiwillig und gehören nicht zum Kernlehrplan. Welche Bedeutung haben sie für Kellogg da überhaupt?

Schonthal: Wenn man jemanden in eine bestimmte Richtung drängt, erhöht das eher den Widerstand. Unternehmertum ist keine Karriere, sondern eine Berufung. Diese Berufung kann sich während des Studiums bei uns abzeichnen oder 15 Jahre später. Unser Ziel ist es, Studierende fachlich und geistig vorzubereiten, ein eigenes Unternehmen zu gründen oder zu kaufen. Unternehmertum ist "opt in". Wenn 70 Prozent der Studierenden, die einen Entrepreneurship-Kurs besuchen, feststellen, dass das Unternehmertum nichts für sie ist, ist das großartig! Die Business School ist genau die richtige Umgebung, um verschiedene Zukunftsperspektiven "auszuprobieren".

Wenn 70 Prozent der Studierenden, die einen Entrepreneurship-Kurs besuchen, feststellen, dass das Unternehmertum nichts für sie ist, ist das großartig! Die Business School ist genau die richtige Umgebung, um verschiedene Zukunftsperspektiven 'auszuprobieren'. - David Schonthal, Kellogg School of Management


Personalmagazin: Ihnen schwebt eine Art Karrierecoaching vor. Wie soll das konkret aussehen?

Dass Studierende auf das falsche Ziel ausgerichtet waren, bemerkten sie früher oft erst nach 70 Prozent ihrer Ausbildung. Für uns ist es deshalb wichtig zu verstehen, warum jemand eine unternehmerische Laufbahn anstrebt. Mit einer Kombination aus Assessment Tools und Executive Coaching können wir besser sicherstellen, dass sie frühzeitig den für sie besten Weg einschlagen – ob im Entrepreneurship oder einer klassischen Unternehmenskarriere. Zwei Jahre vergehen schnell. Alles, was wir zu bieten haben, sollen Studierende in der Zeit optimal nutzen können.


Dieses Interview ist im Sonderheft "Personalmagazin plus: MBA-Programme 2022/2023" erschienen. Darin finden Sie weitere Trends, aktuelle Einblicke in die MBA-Welt sowie ein Verzeichnis von MBA-Anbietern. Das Sonderheft können Sie hier kostenlos als PDF herunterladen.


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