Kolumne Wirtschaftspsychologie: Mythos Führungspersönlichkeit

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen – gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner monatlichen Kolumne über die Fakten auf und gibt Praxistipps. Heute: Warum der Erfolg von Führungskräften nicht nur von ihrer Persönlichkeit abhängt.

Was macht eine gute Führungskraft aus? Diese Frage ist seit Jahrzehnten eine Schlüsselfrage für Dutzende von Forschern und Tausende von Personalern, Trainern, Coachs und Führungskräften. Nicht wenige Menschen werden schnell und überzeugt mit einem einzigen Wort antworten: "Persönlichkeit".

Warum hat sich Helmut Kohl so viele Jahre als Kanzler gehalten und fast alle Konkurrenten auf der Strecke gelassen? Wie konnte Ferdinand Piëch Audi aus den Tiefen einer langsam vor sich hin sterbenden Automarke mit Opa-Image zu einem Premium-Hersteller auferstehen lassen? Warum hat Steve Jobs eine kleine unbedeutende Computerklitsche zu einem der erfolgreichsten Unternehmen der jüngeren Geschichte aufbauen können? Die Antwort ist immer dieselbe: "Persönlichkeit".

Keine Belege für These von überstrahlender Führungspersönlichkeit

Wie fragil eine solche Interpretation ist, fällt vor allem dann auf, wenn wir die Menschen, die offenkundig in einer bestimmten Branche zu einer bestimmten Zeit großen Erfolg hatten, in einen ganz anderen Kontext setzen. Können Sie sich Helmut Kohl als Geschäftsführer einer jungen, kreativen Werbeagentur vorstellen? Solle man Ferdinand Piëch tatsächlich die Leitung eines heilpädagogischen Kinderhorts übertragen? Wie erfolgreich wäre Steve Jobs wohl als Referatsleiter in einer Bundesbehörde gewesen? Trotz gleichbleibender Persönlichkeit dürften die Ergebnisse ihrer Arbeit deutlich anders aussehen.

Die Forschung hat sich in vielen Studien mit der Persönlichkeit von Führungskräften und deren Wirkung beschäftigt. Metastudien zeigen, dass nichts für die These von der alles überstrahlenden Führungspersönlichkeit spricht:

  • Der Zusammenhang zwischen grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen, den sogenannten "Big 5" (Emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit), und der Effektivität einer Führungskraft bewegt sich zwischen 2,6 und 5,8 Prozent.
  • Die Leistung der Mitarbeiter korreliert mit dem Führungsstil ihres Vorgesetzten zu 6,8 Prozent (transformationale Führung), 7,8 Prozent (mitarbeiterorientierte Führung) und neun Prozent (aufgabenorientierte Führung).
  • Der Führungsstil selbst hängt wiederum nur bedingt von der Persönlichkeit der Führungskräfte ab. Den höchsten Wert erreicht die transformationale Führung mit 9,6 Prozent (transaktionale Führung: 2,9 Prozent).

Erfolg hängt vom Führungsstil ab

Der Erfolg einer Führungskraft hängt offenbar stärker von ihrem Führungsstil – also dem konkreten Verhalten im Umgang mit den eigenen Mitarbeitern – als von grundlegenden Persönlichkeitsmerkmalen ab. Die Befunde liefern einen Abgesang auf das Konstrukt der Führungspersönlichkeit. Zwar spielt die Persönlichkeit für den Erfolg eine gewisse Rolle. Dies verwundert jedoch nicht, denn Persönlichkeit spielt zwangsläufig immer und überall dort, wo Menschen agieren, "eine gewisse Rolle".

Die Kenntnis der Persönlichkeit hilft jedoch leider kaum weiter, wenn es darum geht, Führungserfolg verstehen oder gar prognostizieren zu wollen.

Dass wir dennoch im Alltag die Dinge oft ganz anders erleben, mag vor allem drei Prozessen geschuldet sein:

  • Im Alltag haben wir keine Möglichkeit, die Eigenschaften einer Führungskraft systematisch auf ihre Bedeutung hin zu untersuchen. Wir sehen vielmehr einen Menschen, der gut oder eben nicht so erfolgreich führt und suchen die Ursachen hierfür allein in diesem Menschen. Dabei ignorieren wir andere wichtige Einflussfaktoren wie zum Beispiel die Mitarbeiter oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. In der Psychologie ist dieses Phänomen seit Jahrzehnten bekannt ("Fundamentaler Attributionsfehler").
  • Die betroffene Führungskraft selbst ist sehr viel flexibler in ihrer Interpretation der Ursachen. Solange alles gut läuft, schmeichelt sie ihrem Ego, indem sie die Gründe für den Erfolg in ihrer eigenen Persönlichkeit lokalisiert. Solle es einmal nicht so gut laufen, schwenkt sie um und findet nun zahlreiche Gründe in ihrer Umgebung. Mit dieser selbstwertdienlichen Sicht stehen Führungskräfte übrigens nicht allein. Der "self-serving bias" ist ein vielfach belegtes Phänomen, das letztlich jedem von uns dabei hilft zu glauben, dass wir zu den Guten gehören und nur die Anderen das Problem darstellen.
  • Im Alltag verwenden viele Menschen den Begriff der Persönlichkeit nicht beschreibend, sondern bewertend. Jemand hat demnach nicht etwa eine Persönlichkeit, er ist eine Persönlichkeit. Um Persönlichkeit zu haben, muss man sich aber aus der Masse hervorheben – und das ist für Führungskräfte allemal leichter als für Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Wer so denkt, muss fast zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Führungskräfte vor allem ihre Persönlichkeit auszeichnet.

Schade eigentlich, das Leben könnte so einfach sein. Gäbe es die "Führungspersönlichkeit", müsste man sich nicht mehr viel Arbeit mit ihrer Auswahl und Entwicklung machen. Es würde völlig ausreichen, einfach jemanden zu nehmen, der schon einmal irgendwo irgendwie Erfolg gehabt hat und alles würde ganz von allein laufen. Wie gut, dass in Ihrem Unternehmen niemand so simpel denkt.

Wie gut, dass in Ihrem Unternehmen den Kandidaten besonders kritisch auf den Zahn gefühlt wird, wenn es um die Besetzung der wichtigsten Positionen geht.


Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen & Personalentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Personalarbeit