Kolumne Talent Management: Vernichtendes Urteil zur Karrieremesse

Auf Karrieremessen wollen Unternehmen eine erste Bindung zu potenziellen Bewerbern aufbauen. Diese Bindung, von neudeutschen Englischexperten auch "Bonding" genannt, kam auf der gleichnamigen Karrieremesse, die Kolumnist Martin Claßen besuchte, eindeutig nicht auf.

Der Kolumnist ist diesmal vor Ort. Donnerstag in einer deutschen Universitätsstadt, Spätsommersonnenwetter. Auf dem Campus der Hochschule ist ein großes Messezelt aufgebaut. Veranstaltungsort einer Karrieremesse, wie es sie im Zeitalter des "War for Talents" seit Jahren im Dutzend gibt.

"Bonding" nennt sich diese Kontaktbörse zwischen Studenten und Unternehmen. Solche Karrieremessen gelten als wichtiges Instrument im Recruiting zum Abgreifen von Studenten bei ihrem ersten Schritt ins Berufsleben. Besonders für weniger bekannte Unternehmen, denn hier können sie persönlich auf sich aufmerksam machen.

Kein Interessent muss auf der Messe warten

Am Tag danach titelte die örtliche Zeitung "Gesucht: Beratungsbedarf". Denn die Resonanz war mäßig. An einem Stand prangte in großen Lettern "first come, first serve". Klang ironisch, denn auch dieser Aussteller konnte nicht einmal ein Anstürmchen verzeichnen. Obwohl überhaupt nur eine Handvoll Firmen die Messe gebucht hatten. Von den lokalen Platzhirschen war lediglich einer anwesend. Andere Firmen standen zwar im Prospekt, hatten aber kurzfristig abgesagt. Eine davon war wenige Tage zuvor mit ihrem Stellenabbauprogramm in den Medien, keine gute Voraussetzung für die Messe.

Das als Lockmittel gedachte Rahmenprogramm kann als übersichtlich bezeichnet werden: ein Vortrag zur erfolgreichen Selbstpräsentation und einer zur geschickten Gehaltsverhandlung. Da man sich für beide Workshops frühzeitig anmelden musste und studentisches Badewetter herrschte, konnten die Referenten auf Detailfragen ihrer wenigen Teilnehmer ausführlich antworten. Die größte Nachfrage hatte Stand Nummer Neun mit dem Titel "Lass dich bei dem kostenfreien Bewerbungsfotoshooting vom Profi ins rechte Licht rücken". Manche Studenten taten dies mit einem breiten Grinsen plus Eis, das von einem Aussteller kostenlos verteilt wurde.

Fazit: Das "Bonding" war wenig ergiebig

Die meisten Rekrutierer warteten. Da dies eintönig ist, nutzten einige ihr Smartphone für wichtige Messages oder surften in den Weiten des sonstigen Weltentrubels. Niemand mochte sie dabei stören. Andere Aussteller nutzten die Citylage des Campus zum Shopping. Ob ihr Stand nur unbesucht oder unbesucht und unbesetzt war, machte keinen Unterschied. Trotz der Sonne draußen waberte ein grauer Schleier durch das Messezelt.

Wenn ich Entscheider wäre, würde ich für 2015 das Bonding-Konzept meines Unternehmens überdenken und diese sowie ähnliche Karrieremessen nicht mehr buchen. Andererseits sind solche Veranstaltungen eine nette Abwechslung. Was dort tatsächlich passiert, bekommt in der Firmenzentrale ohnehin keiner mit. Und die To-do-Liste ist um eine Aufgabe ärmer.

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.