Kolumne Talent Management: HR beim Tüv prüfen lassen

Ein Gütesiegel als guter Arbeitgeber kann ein Vorteil sein im Kampf um Talente. Aber kann ein Tüv, der sonst Autos checkt, ein Unternehmen auf seine Arbeitgeberkompetenzen testen? Kolumnist Martin Claßen hat das Siegel, das der Tüv Rheinland nun vergibt, unter die Lupe genommen.

Das wäre richtig praktisch. Einmal im Jahr neben den Maschinen und Fahrzeugen gleich auch die Personalabteilung vom Tüv durchchecken zu lassen. Um dessen Siegel als "Ausgezeichneter Arbeitgeber" zu bekommen. Dieser Traum kann nun wahr werden. Seit kurzem reiht sich der Tüv Rheinland in die mittlerweile dreistellige Schar von Arbeitgeberzertifizierern, -rankings und -awards ein.

Sie alle offerieren ihr Urteil als Basis im Employer Branding von Unternehmen, mit unterschiedlichster Methodik und Seriosität. Deshalb Vorsicht: Hinter jeder Beurteilung steckt irgendein Geschäftsmodell. Bei manchen Awards wie etwa denen des Bundesverbands der Personalmanager (BPM) finanziert sich die glamouröse Ehrung – im Stil der Oskar-Verleihung – aus Teilnahmegebühren von Kandidaten auf der "Short List".

Vier Kriterien für den geprüften Arbeitgeber

Kann sich ein technischer Überwachungsverein überhaupt in die softe Welt des People-Managements einfühlen? Ich hatte erhebliche Zweifel und schaute mir das seit einigen Wochen vermarktete Produkt gründlich von verschiedenen Seiten an. Dabei war ich nicht frei von einer Tüv-Phobie, geprägt aus den Erfahrungen mit meinem ersten Auto Anfang der achtziger Jahre, einem klapprigen Peugeot 104. Aber – ohne aus dieser Kolumne gleich einen Advertorial zu machen: Meine anfänglichen Bedenken sind perdu. Das Ding ist gut, besonders für technisch geprägte Mittelständler.

Denn es erfüllt vier Kriterien, die ich bei der Auswahl eines Arbeitgeberzertifizierers anlegen würde.

  • Erstens, ein fachlich substantieller Standard als Messlatte und damit ein theoretisch und empirisch fundiertes Modell guter Personalarbeit.
  • Zweitens, unbestechliche Gutachter vor Ort für ein möglichst objektives Audit fern der möglicher Weise geschönten Selbstdarstellung.
  • Drittens, das nicht nur daher gesagte Risiko als Unternehmen auch durchfallen und dann erst wieder bei nachgewiesenen Verbesserungen einen zweiten Anlauf wagen zu können (wie damals beim ersten Auto).
  • Viertens, die eindeutige Trennung von Zertifizierung und anschließender Beratung zur Beseitigung von Defiziten - ähnlich der Wirtschaftsprüfung sind Synergien dieser zwei verwandten Geschäftsmodelle für Dienstleister nämlich recht verführerisch.

"Me-Too-Gefahr": Zu viele Gütesiegel mindern den Vorteil

Diesbezüglich kann man als Personalabteilung getrost beim Tüv zur Zertifizierung vorfahren. Klar, auch manch andere Arbeitgeberzertifizierer bieten eine vergleichbare Auditierung. Was die Flut an Gütesiegeln und Orden dann tatsächlich hinsichtlich Quantität und Qualität an Bewerbern aus dem Arbeitsmarkt einbringt, wird erst die Zukunft weisen.

Wenn alle Unternehmen mit der Tüv-Plakette und ähnlichen Testaten unterwegs sind, schmilzt der individuelle Vorteil wie zusätzliche Pferdestärken auf verstopften Autobahnen. Aber immerhin steigt die durchschnittliche Qualität von Arbeitgebern. Das ist doch schon was!

Martin Claßen hat 2010 das Beratungsunternehmen People Consulting gegründet. Talent Management gehört zu einem seiner fünf Fokusbereiche in der HR-Beratung.