Kolumne Leadership

Warum Befehlsempfänger auch dem Militär nicht helfen


Kolumne Leadership: Was Verlässlichkeit beim Folgen ausmacht

Führen und Folgen sind die Grundlage gelingender Zusammenarbeit. Doch ihre Voraussetzungen unterliegen dem Wandel. Unser Kolumnist Randolf Jessl beleuchtet diesmal die Frage: Was macht Verlässlichkeit beim Folgen aus?

Zwei verkürzte Sichtweisen prägen die Auseinandersetzung mit Führung. Zum einen der Fokus auf die Person, die führt. Diese einseitige Betrachtung vernachlässigt die Rolle derer, die folgen, und dominiert einschlägige Theorie und Praxis seit Jahrzehnten. Zum anderen haben wir uns in den vergangenen Jahren im Zuge von Debatten über Disruption, Innovation und Agilität viel mit Kontexten beschäftigt, in denen es um Kreativität, ums Ausprobieren und ums Entdecken neuer Möglichkeiten geht.

Dabei gibt es genügend Felder von Führung und Zusammenarbeit, in denen es nicht um das möglichst unbeschwerte Suchen und Testen geht, sondern vielmehr darum, in hoher Präzision und Verlässlichkeit zu agieren: auf Seiten derjenigen, die führen, wie auch auf Seiten derjenigen, die folgen. Ein solches Feld ist zum Beispiel das Militär. Nirgendwo sonst lassen sich "hochverlässliche Organisationen" (Hight Reliability Organizations) so gut studieren wie dort. Das haben nun die drei australischen Psychologen Sally Knox, Kirsten Way und Alex Haslam getan ( Knox, S., Way, K. A., & Haslam, S. A., 2025. Whatever your job is, we are all about doing that thing super well: High-reliability followership as a key component of operational success in elite air force teams. British Journal of Social Psychology).

Studienobjekt: Hochverlässlichkeit beim Militär

In ihrer Studie interviewten Knox, Way und Haslam 24 aktive sowie ehemalige Mitglieder der Air Combat Group der Royal Australian Air Force. Darunter waren Piloten und Waffensystemoffiziere sowie Combat Controller, die am Boden agieren. Die Interviews konzentrierten sich auf konkrete Einsatz- oder Trainingssituationen, die die Teilnehmenden als bedeutsam für ihre Teamdynamik und ihr Verständnis von Führung und Zusammenarbeit erlebten. Ziel war es zu verstehen, wie sich hochverlässliches Verhalten in der Praxis zeigt – sowohl bei Führenden als auch bei Folgenden. Außerdem interessierte die Forschenden, welche Rolle geteilte Identität und kollektives Bewusstsein dabei spielen. Denn die sogenannte "shared social identitiy" hat sich in letzter Zeit als eine der wichtigsten Voraussetzungen für wirksame Führung und gelingende Zusammenarbeit herausgestellt.

Die Studie zeigt: In "Hight Reliability Organizations" müssen Führungskräfte auf viererlei Weise diese gemeinsame soziale Identität herausbilden helfen. Sie müssen

  1. Identitätsprototypen sein: Sie verkörpern die Werte, Verhaltensweisen und Ziele der Gruppe in ihrem eigenen Verhalten und werden als authentische Vertreter des "Wir" wahrgenommen.
  2. Identitätschampions sein: Sie stellen das Gruppeninteresse über eigene Ambitionen oder Karriereziele und zeigen damit echte Loyalität gegenüber der gemeinsamen Mission.
  3. Identitätsunternehmer sein: Sie gestalten aktiv die gemeinsame Identität, indem sie klare Ziele und Normen etablieren und die Gruppenkultur formen.
  4. Identitätsimpresarios sein: Sie schaffen Strukturen, Rituale und Gewohnheiten, die die gemeinsam geteilten Werte und Verhaltensweisen im Alltag erlebbar und lebendig machen.

Wer also glaubt, es gehe beim Führen in solchen Organisationen in erster Linie ums Anweisen, Nachhalten und Kontrollieren, wird hier eines Besseren belehrt.

Was hochverlässliches Folgen ausmacht

Und wie zeigt sich "High Reliable Followership" (HRF) bei denjenigen, die folgen? Knox und Kollegen identifizierten anhand ihrer Interviews fünf zentrale Verhaltensweisen, die im Alltag hochverlässlicher Teams beobachtbar sind:

  1. Ambiguität tolerieren: Die Follower akzeptieren, dass Unsicherheit und Komplexität unvermeidbar sind. Statt zu vereinfachen suchen sie aktiv nach Wegen, um mit Mehrdeutigkeit umzugehen und Risiken kontrollierbar zu halten.
  2. Fehler aufspüren: Die Follower sind sensibilisiert für Schwächen, Fehler und Anomalien – selbst kleinste Unregelmäßigkeiten werden ernst genommen, analysiert und als Lerngelegenheiten genutzt.
  3. Rückschläge verkraften: Wenn Probleme auftreten, lassen sich die Follower nicht entmutigen, sondern passen sich flexibel an, korrigieren Fehler schnell und behalten das übergeordnete Ziel im Blick.
  4. Expertise proaktiv anbieten: In entscheidenden Situationen bringen die Follower ihre Fähigkeiten und Ideen ein, unabhängig von Hierarchiestufen. Expertise wird wichtiger bewertet als Rang.
  5. Teamerfolg anstreben: Jeder versteht seinen eigenen Beitrag als kritischen Teil des Gesamterfolgs und handelt stets mit Blick auf das Wohl und den Erfolg der gesamten Mission.

Wer folgt, ist also alles andere als ein Befehlsempfänger und ausführendes Organ. Sie oder er denkt mit, bringt sich ein, handelt eigenständig und übernimmt Verantwortung für sich und die Gruppe.

Was Unternehmen daraus lernen können

Was können also Organisationen jenseits des Militärs daraus lernen? Ich würde es so zusammenfassen: Hochverlässlichkeit ist keine Hol- oder Bringschuld der einen oder anderen Seite. Sie entsteht im Zusammenspiel aus Führenden und Folgenden auf der Basis einer geteilten Gruppenidentität. Ganz nach dem Motto: "Es geht in allem, was wir tun, darum, dass wir es bestmöglich tun. Und es geht immer und überall um unser Zusammenwirken und unseren gemeinsamen Erfolg."


Randolf Jessl ist Inhaber der  Kommunikations- und Leadershipberatung Auctority. Er berät, trainiert und coacht Menschen und Organisationen an der Schnittstelle von Führung, Kommunikation und Veränderungsanliegen. Zusammen mit Prof. Dr. Thomas Wilhelm hat er bei Haufe das Buch " Shared Leadership" veröffentlicht.


Schlagworte zum Thema:  Leadership , Teamarbeit , Mitarbeiterführung
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