Kolumne: Big Data in der Personalauswahl

So mancher Mythos geistert durch die Personalabteilungen - gerade wenn es um psychologisches Wissen geht. Professor Uwe P. Kanning klärt in seiner Kolumne über die Fakten auf. Heute: Was Webdaten und Algorithmen wirklich zur Personalauswahl beitragen können.

In einer Zeit, in der sich junge Menschen mehrere Stunden pro Tag in den Untiefen des Internets verlieren und per "World Wide Web" in Echtzeit über wichtige Aktivitäten ihrer Freunde informiert werden (Steht Alexander noch an der roten Ampel oder ist diese schon auf grün umgesprungen? Entscheidet sich Julia in der Mensa für den Erdbeerjoghurt oder greift sie zum Milchreis?), war es nur eine Frage der Zeit, bis sich nicht nur die NSA für den Datenmüll interessiert, den jeder von uns im Internet hinterlässt. Ist es nicht naheliegend, dass unsere Netz-Aktivitäten wahnsinnig viel über unsere Persönlichkeit verraten? Und wenn dies so ist, kann man diese Informationen nicht auch für das Personalwesen nutzbar machen -beispielsweise in der Personalauswahl?

Personalauswahl mit und ohne digitale Hilfsmittel

Von der ungeprüften Hypothese bis zum marktreifen Produkt ist es in der Personalbranche bekanntlich nur ein kurzer Schritt, und so gibt es schon erste Dienstleister, die ihren Kunden wundersame Softwarelösungen anbieten. Nehmen wir einmal an, Sie schreiben eine Traineestelle in Ihrem Unternehmen aus und haben 50 Bewerber. Nun stellt sich die Frage, wie Sie die Vorauswahl gestalten.

Der Personaler von gestern vertraut in dieser Situation allein seinem Spürsinn und nimmt sogleich die Witterung auf. Wie ein erfahrener Astrologe begibt er sich auf die Suche nach untrüglichen Hinweisen auf verborgene Wahrheiten. Lücken im Lebenslauf, Tippfehler im Anschreiben, eine unpersönliche Anrede. All dies fördert für ihn ein Persönlichkeitsprofil der Kandidaten zu Tage -  ganz so, als wüsste der Astrologe, dass der Bewerber im Sternzeichen des Schafes geboren wurde, just in dem Moment, als der große Bär im drittem Haus der Einfalt stand. 

Personauswahl per Algorithmus?

Für den Personaler von morgen zählt hingegen nur noch der Algorithmus. Er übermittelt die Namen seiner Bewerber an den Dienstleister, der sich flugs darauf in den sozialen Netzwerken auf die Suche begibt. Die hier gewonnenen Daten – welche dies im Einzelnen sind, bleibt natürlich geheim – speist er in seinen Rechner ein, der anschließend mittels Algorithmen – die noch viel, viel geheimer sind – ein Persönlichkeitsprofil erstellt.

Hoffnung auf Big Data verblasst vor Studienergebnissen

Soweit so gut, könnte man denken, wäre da nicht das eine oder andere Problem:

  • Studien, die sich mit der Frage beschäftigen, wie gut sich aus Internetdaten grundlegende Persönlichkeitsmerkmale ("Big Five") vorhersagen lassen, kommen meist zu ernüchternden Ergebnissen. Die Werte schwanken zwischen null und maximal 18 Prozent (für das Merkmal "Offenheit"). Bei der Gewissenhaftigkeit liegen sie zwischen null und zwölf Prozent.
  • Diese Information ist für den Arbeitgeber allerdings nur dann von Bedeutung, wenn das entsprechende Merkmal auch tatsächlich in einem nennenswerten Zusammenhang zur beruflichen Leistung auf dem vakanten Arbeitsplatz steht. Dies ist in der Regel nicht bekannt.
  • Orientieren wir uns an Metastudien, so besitzt vor allem die Gewissenhaftigkeit eine signifikante Bedeutung für verschiedene Berufe. Der Durchschnittswert liegt bei knapp sechs Prozent und ist damit sicherlich sehr viel geringer, als die meisten vermutet hätten.
  • Würde man nun versuchen, über Internetdaten die Gewissenhaftigkeit eines Bewerbers zu messen und wäre die verwendete Software tatsächlich in der Lage, das Maximum herauszuholen, würden man zu weniger als einem Prozent die berufliche Leistung prognostizieren können (12 % von 6 % = 0,72 %). Die Software wäre im besten Falle also nur unwesentlich aussagekräftiger als ein Münzwurf (null Prozent).
  • Die Anbieter werden ihre Algorithmen nicht offenlegen oder gar von unabhängiger Seite überprüfen lassen. Bei einem konkreten Angebot weiß also niemand, wie gut die Software tatsächlich ist und ob es sich nicht nur um einen großen Bluff handelt.


Wer solch eine Software einsetzt, kauft die sprichwörtliche Katze im Sack, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass sich überhaupt irgend etwas in dem Sack befindet, gegen Null tendiert. Würde man statt der Softwarelösung einen ganz simplen und wahrscheinlich deutlich preisgünstigeren Persönlichkeitsfragebogen einsetzen, so läge die Prognosegüte bei durchschnittlich sechs Prozent, und das ganz ohne zwielichtiges Rumschnüffeln im Privatleben der Bewerber.

Wer nun denkt, dann solle man doch gleich selbst aus dem Bauch heraus die Facebook-Informationen der Bewerber deuten, ist auf dem Holzweg. Eine Studie aus dem Jahr 2013 zeigt, dass die Einschätzung solcher Daten durch Personaler keine validen Ergebnisse ergab.

Statistische Kennwerte weiterhin unterschätzt

Hm, ist das nun das Ende von Algorithmen in der Personalauswahl? Nein, bestimmt nicht. Zum einen wissen wir nicht, was die Zukunft noch bringen wird, zum anderen zeigt die Praxis, dass die Mehrheit der Unternehmen ohnehin nicht nach Evidenz fragt. Für Leute, die daran glauben, dass sich in der Blickrichtung eines Bewerbers dessen Persönlichkeit spiegelt, muss Big Data ungefähr so beeindruckend sein wie für ein Naturvolk die Landung eines Hubschraubers. Für Leute, die Testverfahren einkaufen ohne jemals nach statistischen Kennwerten zu fragen, ändert sich ohnehin rein gar nichts. 


Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.


Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" rein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend,  warum Manager scheitern oder  warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Big Data, Personalarbeit