Kolumne: Work-Life-Balance neu denken

Work-Life-Balance streben viele an. Was damit aber eigentlich gemeint ist, bleibt oft im Verborgenen. Unser Kolumnist fragt sich, ob die Sache vielleicht doch komplexer ist, als uns manche populäre Literatur erzählen möchte.

Leiden auch Sie unter Ihrer Arbeit? Stiehlt Ihnen der Arbeitgeber permanent Ihre Lebenszeit oder ist vielleicht sogar eine stete Quelle von Ärgernis und Pein? Dann sollten Sie sich vielleicht stärker für das Thema Work-Life-Balance interessieren.

Work und Life als unversöhnliche Gegenspieler

Grenzen Sie sich klar ab. Gehen Sie, wenn Ihre vertraglich vereinbarte Arbeitszeit beendet ist, auf die Sekunde genau nach Hause. Denken Sie in Ihrer Freizeit nicht an Ihre Arbeit und vor allem, ärgern Sie sich nicht über Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten müssen. Noch besser wäre es allerdings, wenn Sie gar nicht mehr arbeiten würden. Vielleicht können Sie noch eine finanziell vorteilhafte Beziehung eingehen, die es Ihnen erlaubt, sich beruflich zur Ruhe zu setzen. Oder Sie versuchen es einmal mit Glücksspiel. Möglicherweise reduzieren Sie aber auch nur Ihre Ansprüche und leben fortan von Almosen und gelegentlichem Leergutsammeln.

Sind das keine guten Ideen? Ihre Arbeit gibt Ihnen die Möglichkeit, sich auszuleben. Sie schöpfen Kraft und Selbstwert aus der Arbeit? Ja, Sie finden vielleicht sogar einen Lebenssinn darin, morgens ins Büro zu gehen? Im schlimmsten Falle lieben Sie sogar ihre Arbeit und denken schon heute mit Schrecken an die Verrentung? Dann stimmt mit Ihnen etwas nicht. Entweder sind Sie ein unverbesserlicher Oldie – tragen heute noch Anzug bzw. Kostüm und siezen fremde Menschen – oder aber Sie bedürfen dringend einer Behandlung durch einen Mental-Coach.

So etwas Ähnliches suggeriert zumindest die populäre Literatur zum Konzept der Work-Life-Balance. Work und Life erscheinen dabei als unversöhnliche Gegenspieler des menschlichen Seins. Wer arbeitet, lebt nicht richtig, und wer gerade richtig lebt, der darf in dieser Zeit nicht arbeiten. Aber ist dies auch so?

Work-Life-Balance in der Forschung

Befragungen von Berufstätigen und ihren Angehörigen zeigen immer wieder, dass sehr viele Menschen Work-Life-Balance anstreben. Was darunter zu verstehen ist, bleibt jedoch weitestgehend im Verborgenen. Hier verhält es sich ungefähr so, wie bei der Frage "Wollen Sie glücklich sein?" oder "Wollen Sie in einer gerechten Welt leben?"

Die Forschung zeichnet sich ein deutlich differenzierteres Bild. An die Seite der klassischen Gegenüberstellung von Work und Life haben sich im Laufe der Zeit weitere Begriffe gesellt, die das Konzept des Lebens näher definieren: Familie, Freizeit, Hobby, gesellschaftliches Engagement oder allgemeiner Rollen. Begriffe wie "Work-Role-Balance oder "Life-Domain-Balance" heben die Vielfalt der Aufgaben hervor, die Menschen jenseits ihrer beruflichen Arbeit ausfüllen können und umschiffen damit das Problem der vermeintlichen Widersprüchlichkeit zwischen Arbeit und Leben. Mehr noch, die vormals einseitige Sicht, wonach Arbeit auf der einen Seite und andere Rollen auf der anderen Seite in einem naturgegebenen Konflikt zueinanderstehen, ist einer ausgewogeneren Perspektive gewichen. Einzelne Rollen können sich sogar wechselseitig befruchten. Dort, wo früher die Arbeit als Zeitdieb gebrandmarkt wurde, wird heute akzeptiert, dass es auch ganz schön sein kann, wenn die Partnerin oder der Partner mal ein paar Stunden allein und weit weg beschäftigt ist.

Acht Facetten der Balance

Allein der Begriff der Balance bereitet auch der Forschung noch arge Schwierigkeiten. Balance klingt gut und positiv, aber ab wann ist sie gegeben? Gilt die Anzahl der Stunden pro Woche oder gar die gesamte Lebenszeit? Sicherlich nicht, denn dann würden selbst Spitzenmanager viel zu wenig arbeiten. Geht es um ein subjektives Gefühl der Ausgewogenheit? Schon eher. Die Balance ließe sich dann nicht von außen definieren, sondern würde eher einer Bewertung der Lebensrealität vor dem Hintergrund der individuellen Bedürfnisse entsprechen.

Eine Studie, die vor wenigen Jahren veröffentlicht wurde, fördert nicht weniger als acht Facetten der Balance verschiedener Lebensbereiche zu Tage. Balance wäre demnach gegeben, wenn

  1. die Betroffenen individuell mit der Aufteilung der verschiedenen Lebensbereiche in ihrem Leben zufrieden sind,
      
  2. gleichzeitig verschiedene Lebensbereiche effektiv bedient werden können,
      
  3. eine Passung zwischen den Gegebenheiten und den Bedürfnissen besteht,
      
  4. wenn ein Lebensbereich nicht im Konflikt zu einem anderen steht,
      
  5. ein Lebensbereich andere Lebensbereiche befruchtet,
      
  6. wenn sich Menschen in mehreren Lebensbereichen engagieren können,
      
  7. wenn die Lebensbereiche ihnen gleichwertig erscheinen und/oder
      
  8. wenn verschiedene Rollen wertvoll für ihr Leben sind.

Na ja, so genau wollen wir es dann doch wohl nicht wissen. Schimpfen wir also lieber weiter über die böse Arbeit, die uns die Zeit zum Leben raubt.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

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Schlagworte zum Thema:  Work Life Balance, Personalarbeit