Kolumne: Ähnlichkeitseffekte in der Personalauswahl

So manchen Mythos in der HR-Welt konnte Professor Uwe P. Kanning schon in seiner Kolumne aufklären. Mit psychologischen Fakten begegnet er den Anhängern des Bauchgefühls. Heute erklärt er, inwiefern es ein Problem ist, wenn Entscheider Bewerber, die ihnen ähnlich sind, für die besseren Kandidaten halten.

Fragen wir alte Hasen und Häsinnen nach ihrem Geheimrezept erfolgreicher Personalauswahl, so werden nicht wenige von ihnen wohl vor allem an drei Dinge denken: Intuition, Intuition und Intuition. Zwar mag die Profi-Ratgeberliteratur so manch nützlichen Psychotrick bereithalten – "Trauen Sie keinem Bewerber, der ständig nach links schaut, der lügt wie gedruckt!"; "Stellen Sie bevorzugt Bewerber ein, die viele Facebook-Freunde haben, denn die sind teamfähig!"; "Machen Sie einen großen Bogen um angehende Führungskräfte mit schlaffem Händedruck, die haben den Laden nicht im Griff!" – doch nichts ist so überzeugend wie die eigene Intuition. Zwar weiß eigentlich niemand so recht, wie er zu seinem Urteil kommt, aber das ist letztlich auch unerheblich, wenn es sich gut anfühlt. Je besser es sich anfühlt, desto besser ist die Entscheidung. Das ist nicht nur die Weisheit von geborenen Menschenkennern, sondern auch von erfahrenen Trinkern und notorischen Rasern auf der Autobahn.

Die Forschung zeichnet seit vielen Jahrzehnten ein völlig anderes Bild, aber das liegt bestimmt nur daran, dass die Forscher ihre Studien mit Leuten ohne Berufserfahrung durchführen, oder?

Entscheider halten Bewerber, die ihnen ähnlich sind, für die besseren Kandidaten

Eine aktuelle Studie untersucht die Urteilsbildung von Entscheidungsträgern im unstrukturierten Interview. Die Teilnehmer der Studie sehen zunächst ein Video, in dem ein Bewerber in einem klassischen Vorstellungsgespräch Rede und Antwort stehen muss. Anschließend nehmen sie eine Bewertung des Bewerbers vor: Wie ist es um die sozialen Kompetenzen des Kandidaten bestellt? Wir schätzt man die Leistungsorientierung ein? Erscheint die Person alles in allem für die ausgeschriebene Position geeignet? Würde man sie letztlich auch einstellen? Anschließend werden die Teilnehmer der Studie darum gebeten, einzuschätzen, wie ähnlich ihnen der Bewerber ist. Die Ähnlichkeitseinschätzung bezieht sich dabei nicht etwa auf das Aussehen, Geschlecht oder Alter, sondern auf die gefühlte Ähnlichkeit. Tickt der Bewerber so ähnlich wie ich? Hat er einen ähnlichen Hintergrund und ähnliche Wertvorstellungen?

Im Ergebnis lässt sich ausrechnen, wie bedeutsam die subjektiv erlebte Ähnlichkeit für die Bewertung der Bewerber ist. Hier die wichtigsten Effekte:

  • Die Einschätzung der Sozialkompetenzen hängt zu 26 Prozent davon ab, wie ähnlich der Bewerber dem Entscheidungsträger ist.
  • Bei der Leistungsorientierung sind es noch 14 Prozent.
  • Die wahrgenommene Eignung für die ausgeschriebene Stelle geht sogar zu 40 Prozent auf das Konto der Ähnlichkeit.
  • Die endgültige Entscheidung für oder gegen den Bewerber lässt sich zu 24 Prozent allein durch die Ähnlichkeit erklären.
  • Grundsätzlich gilt dabei: Je ähnlicher desto besser erscheint der Bewerber.

Das wahrscheinlich wichtigste Ergebnis dieser Studie ist jedoch, dass es keinen Unterschied macht, ob die Studienteilnehmer über Berufserfahrung auf dem Gebiet der Personalauswahl verfügen oder völlige Laien sind. Auch die alten Hasen und Häsinnen halten Bewerber, die ihnen ähnlich sind, für die besseren Kandidaten.

Auswahlentscheidung wird zum Lotteriespiel

Doch warum ist dies überhaupt ein Problem? Der Ähnlichkeits-Attraktivitäts-Effekt wäre in der Tat kein großes Problem, wenn der Interviewer selbst die bestmögliche Besetzung für die vakante Stelle wäre. Doch wie oft ist dies tatsächlich der Fall? Denken Sie nur einmal an Ihre eigenen Vorgesetzten ...

Aus Sicht der Bewerber wird die Auswahlentscheidung zu einer Art Lotteriespiel. Habe ich "Glück" und mir sitzt jemand gegenüber, der sich irgendwie in meiner Person wiederfindet, geht es butterweich durch das Interview. Habe ich Pech und ich bin ganz anders als der Interviewer, kann ich gleich schon die nächste Bewerbung schreiben.

Der Ähnlichkeits-Attraktivitäts-Effekt basiert unbewusst auf dem Selbstkonzept der Entscheidungsträger. Die meisten Menschen haben mehr oder weniger stark positiv verzerrte Vorstellungen von der eigenen Person. Insbesondere wenn man es in der Hierarchie weit nach oben gebracht hat, dürfte die Gefahr der Selbstüberschätzung besonders groß sein. Wenn unter diesen Rahmenbedingen ein Bewerber ähnlich erscheint, ist es nur folgerichtig, dass er auch als besonders geeignet gilt. Welcher Interviewer gesteht sich schon gern selbst ein, dass solche Typen wie er selbst erfolglos Warenhauskonzerne sanieren, Flughäfen bauen oder den Jürgen Schneiders dieser Welt Kredit geben?

Intuitive Personalauswahl ist kuscheliger Selbstbetrug. Die Auswahl nach dem Prinzip "Schmidt sucht Schmidtchen" fühlt sich verführerisch gut an – aber leider nur für den Interviewer.


Der Kolumnist  Prof. Dr. phil. habil. Uwe P. Kanning ist seit 2009 Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Seine Schwerpunkte in Forschung und Praxis: Personaldiagnostik, Evaluation, Soziale Kompetenzen und Personalentwicklung.

Schauen Sie auch einmal in den  Youtube-Kanal "15 Minuten Wirtschaftspsychologie" hinein. Dort erläutert Uwe P. Kanning zum Beispiel zusammenfassend, wie Sie gute von schlechten Testverfahren unterscheiden warum Manager scheitern warum die Aussagekraft von graphologischen Gutachten ein Mythos ist oder was Sprachanalysen über die Persönlichkeit aussagen können.

Schlagworte zum Thema:  Personalauswahl, Personalarbeit