Gleichstellungsbericht: geschlechtergerechte Digitalisierung

"Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten" – unter diesem Titel hat die Bundesregierung im Juni 2021 den Dritten Gleichstellungsbericht beschlossen. Er untersucht, wie die Digitalisierung die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern beeinflusst und gibt Empfehlungen für die künftige Politikgestaltung.

Frauen in Deutschland sollten künftig stärker von den Chancen profitieren können, die sich aus der Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft ergeben. Das ist eine zentrale Forderung aus dem Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, der Anfang Juni 2021 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Der Bericht – zusammengesetzt aus dem Gutachten einer Expertenkommission und der Stellungnahme der Bundesregierung dazu – beobachtet die Digitalbranche selbst, aber auch die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes. Das Gutachten mit dem Titel "Digitalisierung geschlechtergerecht gestalten" umfasst 101 Handlungsempfehlungen, die sich an die Politik in Bund, Ländern und Kommunen sowie die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft richten ( zum kompletten Dritten Gleichstellungsbericht gelangen Sie hier).

Zugang zu MINT-Fächern und Arbeitsumfeld in der Digitalbranche

Damit der digitale Wandel von Frauen und Männern gleichermaßen gestaltet werden kann, müssten Förderprogramme bereits in der frühkindlichen Bildung ansetzen. So könnten Mädchen einen besseren Zugang zu den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) bekommen. Dabei seien auch die Erziehungsberechtigten in der Pflicht: Der Bericht verweist auf eine Studie in diesem Feld, dass es sich maßgeblich positiv auswirkt, wenn das Interesse junger Frauen an Technik und an entsprechenden Berufen von deren Eltern unterstützt wird.

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Die Weichenstellungen in der Kindheit und Jugend zeigen sich später auch in der Statistik: Bisher sind Frauen dem Bericht zufolge mit 16 Prozent in der Digitalbranche unterrepräsentiert. Die Autorinnen und Autoren des Berichtes fordern, das männlich geprägte Arbeitsumfeld in der Digitalbranche müsse sich verändern. Nur so könnten "mehr Frauen in diesen Bereich hineinkommen, dort dauerhaft bleiben und es in Top-Positionen schaffen". Aysel Yollu-Tok (HWR Berlin), Vorsitzende der Sachverständigenkommission, sagte, es sei seit über 30 Jahren Forschung bekannt, dass der Anteil von Frauen in den MINT-Fächern gering sei. "Aber was passiert, wenn die jungen Frauen tatsächlich das Studium beenden und in der digitalen Branche anfangen zu arbeiten? Sie gehen wieder. Und das ist natürlich eine große Tragödie."

Digitalisierung: Diskriminierungsrisiken durch Algorithmen

Der Bericht beschäftigt sich auch ausführlich mit der Frage, ob und wie Frauen durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz (KI) und des maschinellen Lernens benachteiligt werden. Wenn es um die Vergabe von Krediten geht oder um die Personalauswahl, sind KI-Systeme, Algorithmen und ihre Daten die Grundlage für maßgebliche Entscheidungen. Sie sind allerdings nie vollkommen neutral. Denn ein Algorithmus ist nur so gut wie die Daten, mit denen er trainiert wird. Der Algorithmus dürfe keine Stereotype oder diskriminierende Strukturen abbilden - und beispielsweise Elternzeit als Unterbrechung im Lebenslauf als Nachteil bei der Jobsuche werten, so der Bericht. Die Entscheidungsverfahren solcher Systeme müssten transparent sein und sensibel behandelt werden.

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Bundesfrauenministerin Christine Lambrecht betonte, das Homeoffice sei eine Chance für die Gleichstellung - wenn der Rahmen stimme: "Mobiles und flexibles Arbeiten bringen zwar mehr Flexibilität, aber auch die Gefahr einer Doppelbelastung, besonders für Mütter." Erst wenn Männer den gleichen Anteil an familiärer Sorgearbeit übernähmen, stünden Frauen im Erwerbsleben die gleichen Verwirklichungschancen offen. Es gehe dabei aber nicht um Vorschriften aus der Politik für das Familienleben. "Das muss in der Familie selbst entschieden werden", so Lambrecht. Es sei aber Aufgabe der Politik, die für eine freie Entscheidung notwendigen Rahmenbedingungen herzustellen.

Überblick: Empfehlungen aus dem Dritten Gleichstellungsbericht

Die zentralen Befunde des Dritten Gleichstellungsberichts im Überblick:

  • Der digitale Wandel sollte von Frauen und Männern gleichermaßen gestaltet werden. So können die Erfahrungswelten von Frauen und Männern in die digitalen Innovationen einfließen. Bisher sind Frauen mit 16 Prozent in der Digitalbranche unterrepräsentiert. Damit mehr Frauen mathematisch-naturwissenschaftliche- oder IT-Berufe ergreifen, sollten MINT-Förderprogramme bereits in der frühkindlichen Bildung ansetzen. Auch das männlich geprägte Arbeitsumfeld in der Digitalbranche muss sich verändern, damit mehr Frauen in diesen Bereich hineinkommen, dort dauerhaft bleiben und es in Top-Positionen schaffen.
  • Wenn mehr Frauen in der Digitalbranche gründen, bestimmen sie mit, welche Innovationen sich dort durchsetzen. Hinter 70 Prozent aller Gründungen in der Digitalbranche stehen reine Männerteams. Die Unterrepräsentation von Frauen hängt mit strukturellen Barrieren wie mangelnder Vereinbarkeit und fehlender sozialer Sicherung zusammen, aber auch mit Geschlechterstereotypen wie einem Bild des männlich geprägten digitalen Unternehmertums. Damit mehr Frauen gründen, brauchen sie Unterstützung, einen besseren Zugang zu Kapital und vor allem mehr Sichtbarkeit durch Kampagnen.
  • Algorithmen sind nicht neutral. Nur wenn wir wissen, wie sie funktionieren, können wir der Diskriminierung von Frauen und Männern entgegenwirken. Computergestützte, lernende KI-Systeme werden zunehmend in der Kreditvergabe eingesetzt und stellen bei der Personalauswahl die Weichen für berufliche Werdegänge. Entscheidend sind hierbei die Trainingsdaten, sie dürfen keine Stereotype oder diskriminierenden Strukturen abbilden. Ihre Entscheidungsverfahren müssen transparent und nachvollziehbar sein.
  • Der Gleichstellungsbericht setzt sich auch mit wirtschaftlichen Aktivitäten auseinander, die erst durch die Digitalisierung möglich geworden sind, wie beispielsweise die Plattformarbeit. Hier empfiehlt die Kommission, die soziale Absicherung von Plattformarbeitenden zu regeln und sie besser vor Diskriminierung zu schützen. Damit die Plattformtätigkeit, insbesondere für Frauen, nicht in eine berufliche Sackgasse führt, sollten erworbene Kompetenzen für den regulären Arbeitsmarkt sichtbarer und übertragbar gemacht werden.
  • Homeoffice ist eine Chance für die Gleichstellung – wenn der Rahmen stimmt. Mobiles und flexibles Arbeiten bringen zwar mehr Flexibilität, aber auch die Gefahr einer Doppelbelastung, besonders für Mütter. Erst wenn Männer den gleichen Anteil an familiärer Sorgearbeit übernehmen, stehen Frauen im Erwerbsleben die gleichen Verwirklichungschancen offen. Frauen und Männer weiten jedoch ihre unbezahlte Sorgearbeit aus, allerdings Frauen stärker als Männer. Um die Chancen des Homeoffice für die Gleichstellung zu nutzen, sollte es neben einem Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten auch um die Verteilung unbezahlter Sorgearbeit in der digitalen Arbeitswelt gehen.
  • Unsere Gesellschaft braucht mehr Medienkompetenz. Nur dann können sich alle diskriminierungsfrei im digitalen Raum bewegen. Die Sachverständigen empfehlen Vorbilder und alternative, geschützte Räume, wo sich (junge) Menschen frei und unabhängig engagieren können.
  • Geschlechtsbezogene digitale Gewalt nimmt viele Formen an und schränkt die Teilhabe und Verwirklichungschancen von Frauen, aber auch von Männern ein. Durch die Bedeutung digitaler Technologien hat geschlechtsbezogene digitale Gewalt Folgen in fast allen Lebensbereichen: der Ausübung von Politik oder Ehrenamt, dem Arbeitsleben oder dem Kontakt mit Freundinnen und Freunden. Die Beratungsinfrastruktur sollte weiter ausgebaut und digitale Kompetenzen des Personals von Fachberatungsstellen und Gewaltschutzeinrichtungen verbessert werden. Auch bei Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Justiz sollten Kompetenzen ausgebaut werden.
  • Eine geschlechtergerechte Digitalisierung braucht Strukturen. Die Erkenntnisse des Dritten Gleichstellungsberichts sollten in die Weiterentwicklung der Gleichstellungspolitik einfließen. Sie sollten von der Bundesstiftung Gleichstellung aufgegriffen und in der nächsten Gleichstellungsstrategie der Bundesregierung umgesetzt werden.

Mehr zum Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung finden Sie auch auf einer Microsite des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter www.bmfsfj.de.


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