Führungsstile: Wer Erfolg will, muss fies sein können

Sie sind selbstherrlich, lügen, missbrauchen Vertrauen – erfolgreiche Manager und Politiker wie Donald Trump sind oft das krasse Gegenteil von dem, was Managementtrainer predigen. Für den Leadership-Experten und Stanford-Professor Jeffrey Pfeffer sind die gängigen Führungslehren viel zu weltfremd.

Wirtschaft + Weiterbildung: Donald Trump lügt und ist trotzdem erfolgreich. Ist er ein guter Anführer?

Prof. Dr. Jeffrey Pfeffer: Das kommt darauf an, wie Sie gute Führung definieren. Aus Trumps Perspektive ist er ein fantastischer Leader. Er ist Präsidentschaftskandidat der Republikaner geworden, obwohl ihm jegliche Erfahrung fehlt. Ob das auch gut für die USA und andere ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber das ist genau das Problem: Wenn wir von guter Führung sprechen, verwenden wir keine eindeutigen Kriterien, was wir darunter verstehen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Es fehlt eine klare Zielsetzung?

Pfeffer: Wer ein gutes Auto bauen will, muss sich vorher entscheiden, ob ein Auto gut ist, weil es wenig Benzin verbraucht oder schnell fährt. Dasselbe gilt für gute Führung. Bedeutet das, möglichst geschickt bei den Abgastests zu betrügen, um den Profit zu erhöhen? Oder heißt es, etwas für die Umwelt zu tun? Aber wir achten nicht auf die Ziele und glauben, dass jedes positive Ergebnis mit irgendeinem anderen positiven Ergebnis zusammenhängt. Das tut es eben nicht. Der Erfolg eines Unternehmens ist nicht unbedingt damit verbunden, dass seine Mitarbeiter sich wohlfühlen und gesund sind. Und der Profit hängt nicht unbedingt mit dem Einkommen der Manager zusammen. Wir müssen uns daher fragen, wie man Erfolg misst. Welche empirischen Daten gibt es dafür?

Wirtschaft + Weiterbildung: Warum fragt sich das keiner?

Pfeffer: Wir konzentrieren uns auf das, was wünschenswert wäre, aber nicht auf das, was Realität ist. Daher gibt es eine riesige Kluft zwischen Theorie und Praxis. Dafür sorgt vor allem die Leadership- Branche mit ihren Seminaren, Büchern, Beratern und natürlich auch den Business Schools und den Personalabteilungen. Sie wollen uns weismachen, dass gute und erfolgreiche Manager bescheiden, aufrichtig und authentisch sein müssen. Doch was sie erzählen, sind Mythen und ich vergleiche die Protagonisten daher auch gern mit Laienpredigern.

Wirtschaft + Weiterbildung: Aber das kann doch nicht falsch sein, wenn ein Manager aufrichtig sein soll.

Pfeffer: Natürlich sind das alles wundervollen Qualitäten und es gibt auch keinen Zweifel daran, dass Unternehmen und ihre Mitarbeiter besser dran wären, wenn sich ihre Führungskräfte so verhalten würden, aber das tun sie eben nicht. Sie tun sogar meist das Gegenteil davon und da muss man nachhaken, warum das so ist. Ein Grund sind lange bekannte, empirisch belegte psychologische Mechanismen. Wer erfolgreich sein will, darf eben nicht bescheiden sein, sondern muss möglichst viel Eigenwerbung machen. Und Lügen sind nicht nur allgegenwärtig, sondern auch sehr effektiv. Laut einer Studie waren 74 Prozent der befragten Unternehmen der Meinung, dass es richtig sei, die Mitarbeiter über ihre wahren Aufstiegschancen zu belügen, weil sie sonst weniger engagiert arbeiteten.

"Die meisten Personalmanager sind wohl zu ängstlich. Sie wollen sich nicht mit anderen und vor allem nicht mit den Topmanagern anlegen. Und all das verhindert wesentliche Veränderungen."

Prof. Dr. Jeffrey Pfeffer

Wirtschaft + Weiterbildung: Und warum führt uns die Leadership- Branche so in die Irre?

Pfeffer: Menschen lieben eine faire Welt und einfache Lösungen. Sie wollen inspiriert und unterhalten werden. Sie wollen sich gut fühlen und Hoffnung schöpfen. Das reale Leben ist schließlich hart genug. Aber Inspiration ist kein effektiver Weg für Veränderungen. Das wissen wir aus der Forschung. Sie erhöht allenfalls kurzfristig die Motivation, etwas anders zu machen. Aber sie verhindert es meist, dass die Situation verändert wird, in der wir agieren, und die bestimmt nun mal unser Verhalten. Also verpufft alles ganz schnell wieder. Was man braucht, sind überprüfbare Daten. Und es gibt nun mal keinen Beleg dafür, dass etwas besser wird, wenn man die schlechten Nachrichten ignoriert.

Wirtschaft + Weiterbildung: Was empfehlen Sie?

Pfeffer: Wir müssten endlich die Wahrheit akzeptieren und auf die Fakten schauen, so wie man es in der Medizin macht. Dort analysiert man akribisch die Daten: Wie viele Erkrankte werden gesund, was sind die Hindernisse und was sind die echten Erfolge. Nur dann kann man die Dinge auch verbessern. Deswegen hat die Medizin auch enorme Fortschritte gemacht. Im Bereich Führung sind wir dagegen seit 70 Jahren genauso schlecht. Diskussionen über Leadership erscheinen mir manchmal so, als ob sie unter Lachgas oder anderen Betäubungsmitteln geführt werden. Die Leadership- Branche macht die Menschen vielleicht glücklich. Aber sie bleiben ahnungslos, wie Unternehmen und Machtsysteme wirklich funktionieren. Wenn wir die Arbeitswelt wirklich ändern wollen, müssen wir sie so verstehen, wie sie ist, und nicht wie wir wünschen, dass sie ist.

Wirtschaft + Weiterbildung: Welche Rolle spielen denn die Personalmanager? Könnten sie nicht etwas daran ändern?

Pfeffer: Einige vielleicht, aber die meisten Personalmanager sind wohl zu ängstlich. Sie wollen sich nicht mit anderen und vor allem nicht mit den Topmanagern anlegen. Vielen geht es doch vor allem darum, nett sein zu können. Sie wollen Personalentwicklung machen und nicht Machtpolitik betreiben. Sie wollen lieber das tun, was ihnen aufgetragen wird. Und all das verhindert wesentliche Veränderungen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Derzeit ist viel von "New Work" und der neuen Macht der Mitarbeiter die Rede. Ein Hoffnungsschimmer?

Pfeffer: Ich sehe nicht, dass sich bisher irgendetwas geändert hat oder ändern wird. Macht funktioniert immer noch genauso. Menschen sind Menschen und menschliche Psychologie funktioniert genauso wie immer und zwar über alle Kulturen hinweg, weil wir nun mal so veranlagt sind, uns in einer bestimmten Weise zu verhalten. Dazu gibt es unzählige empirisch belegte Beispiele. Nehmen Sie zum Beispiel das Konzept der moralischen Lizensierung.

"Vertrauen ist wichtig, aber im Arbeitsleben auch sehr gefährlich."

Prof. Dr. Jeffrey Pfeffer

Wirtschaft + Weiterbildung: Was steckt dahinter?

Pfeffer: Wenn Menschen sich einmal ethisch oder moralisch verhalten haben, fühlen sie sich danach freier, sich unmoralisch und unethisch zu verhalten. Das ist so was wie ein Ablasshandel, der vielfach empirisch belegt ist. Es ist also kein Zufall, dass gerade die größten Heuchler und die schlimmsten Führungskräfte manchmal eine große Reputation als besonders gute Führungskraft haben und viel über gute Führung schreiben oder sogar dazu lehren. Das bietet ihnen quasi den Schutz, in Wirklichkeit völlig anders agieren zu können.

Wirtschaft + Weiterbildung: Also sollte man ihnen lieber nicht glauben?

Pfeffer: Reden ist oft ein Ersatz für die Realität. Und es scheint tatsächlich einen negativen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten einer Führungskraft in der Leadership-Branche und ihrem tatsächlichen Führungsverhalten zu geben. Denn zu der moralischen Lizensierung kommt noch ein anderer psychologischer Prozess. Menschen produzieren Bücher und halten Vorträge, um von ihrem wahren Verhalten abzulenken. Je schlechter ihr wirkliches Führungsverhalten ist, desto größer ist ihr Bedürfnis, sich bei solchen Aktivitäten zu engagieren. Das ist eben genauso wie bei Unternehmen, die damit werben, wie umweltfreundlich sie sind, in Wirklichkeit aber zu den größten Umweltsündern gehören.

Fünf Eigenschaften: Warum nette, ehrliche Führungskräfte laut Jeffrey Pfeffer ziemlich sicher scheitern:

  • Bescheidenheit: Nur wer auffällt, wird auch wahrgenommen und befördert. Narzissten werden daher öfter Führungskräfte, weil Selbstvertrauen als Kompetenz bewertet wird.
  • Authentizität: Führungskräfte müssen einfach nur wie Führungskräfte handeln, egal, wie sie sich fühlen. Ihre Rolle wirkt sich dann irgendwann auf ihre Persönlichkeit aus.
  • Aufrichtigkeit: Lügen gehören zum Führungsalltag und werden nicht sanktioniert. Manche Lügen werden sogar wahr, wenn man sie lange genug erzählt (das ist das "Phänomen Donald Trump").
  • Vertrauen: Wenn Vertrauen wirklich wichtig für Unternehmen wäre, würde es nicht so oft – ungestraft – gebrochen werden. Außerdem: Wer sich an seine Versprechen hält, schränkt seine Handlungsmöglichkeiten ein.
  • Augenhöhe: Führungskräfte haben wenig gemeinsam mit ihren Mitarbeitern. Menschen unterstützen häufiger Menschen, die ihnen ähnlich sind und fühlen sich von ihnen angezogen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Was könnte denn die Leadership-Branche anders machen?

Pfeffer: Man muss den Menschen erklären, wie Menschen ticken und wie menschliches Verhalten funktioniert. Und man muss sie anleiten, viel genauer hinzuschauen. Jeder, der eine Firma kaufen will und nicht völlig dumm ist, schaut sich das Unternehmen doch genau an. Seltsamerweise ist das bei Managern nicht der Fall. Je heroischer und weniger plausibel ihre Geschichten sind, umso eher werden sie geglaubt, ohne sie in irgendeiner Weise zu überprüfen. Machen Sie doch den Test. Suchen Sie sich irgendeinen Manager, von dem Sie viele wunderbare Geschichten gehört haben. Nehmen Sie sich eine halbe Stunde Zeit und recherchieren einmal, ob das alles stimmen kann. Schauen Sie nach, was Sie in den Arbeitgeber-Bewertungsportalen finden, was andere Manager über ihn oder sie gesagt haben. Nutzen Sie möglichst viele Quellen und überprüfen Sie die Informationen soweit wie möglich – so wie es ein Personalmanager bei einem künftigen Mitarbeiter machen würde.

Wirtschaft + Weiterbildung: Wir müssen also alle viel misstrauischer sein?

Pfeffer: Auf jeden Fall. Menschen glauben gern, dass sie besser als die anderen sind und nicht betrogen werden. Und sie wollen geschätzt werden. Sie sind der irrigen Überzeugung, wenn sie sich engagieren und hart arbeiten, wird das Unternehmen das auch belohnen. Aber das passiert eben meist nicht. Jedes Unternehmen versucht, so viel wie möglich aus seinen Mitarbeitern herauszuholen.

Wirtschaft + Weiterbildung: Also nur noch Dienst nach Vorschrift?

Pfeffer: Nein, man muss sich schon für ein Unternehmen verpflichten, aber man muss gleichzeitig die Augen offen halten, mehr auf sich selbst achten und letztlich das machen, was die Führungsspitze macht. Die kümmert sich auch in erster Linie um ihr Wohl und die Erhaltung ihrer Machtposition.

"Manchmal muss eine Führungskraft auch schlechte Sachen tun, um das Unternehmen auf Kurs zu halten."

Prof. Dr. Jeffrey Pfeffer

Wirtschaft + Weiterbildung: Aber in letzter Zeit wird doch verstärkt betont, wie wichtig heute Vertrauen für den Erfolg eines Unternehmens ist …

Pfeffer: Vertrauen ist wichtig, aber im Arbeitsleben auch sehr gefährlich. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Studenten, der ein erfolgreiches Technologie- Unternehmen gegründet hat und dabei von Investoren aus dem Silicon Valley unterstützt wurde. Dann wurde er plötzlich aus seiner eigenen Firma gefeuert. Forciert wurde das ausgerechnet von der Frau, die ihn als Mentorin beim Aufbau der Firma unterstützt hatte. Sie hatte einfach gelernt, wie sie gute Beziehungen zu ihrem Vorteil ausnützt und war damit finanziell sehr erfolgreich. Ihr Verhalten war nicht gegen den Gründer persönlich gerichtet, es war einfach ihre bewährte Arbeitsweise. Und hier liegt doch die eigentliche Dramatik. Viele sehr talentierte und kompetente Mitarbeiter ruinieren ihre Karriere oder verlieren sogar ihren Job, weil sie nicht wissen, wie diese Mechanismen funktionieren. Wenn ich zum Mars fliegen will, muss ich Physik verstehen. Wenn ich Führung verstehen will, muss ich wissen, wie menschliches Verhalten funktioniert.

Wirtschaft + Weiterbildung: Also muss ich fies sein, um erfolgreich zu sein?

Pfeffer: Natürlich. Und manchmal muss eine Führungskraft auch schlechte Sachen tun, um das Unternehmen auf Kurs zu halten. Ein CEO sagte mir einmal, wenn ich gemocht werden will, dann schaffe ich mir einen Hund an. Der wedelt immer mit dem Schwanz. Leadership heißt nicht unbedingt, geliebt zu werden.

Wirtschaft + Weiterbildung: Wenn Manager scheitern, werden sie oftmals auch noch dafür belohnt mit einer hohen Abfindung oder einem neuen Job. Wie erklären Sie das?

Pfeffer: Das ist leider richtig. Versagen wird fast nie sanktioniert. Im Gegenteil. Das liegt eben oft auch daran, dass die Verantwortlichen nicht zugeben wollen, dass sie bei der Auswahl eines Managers einen Fehler gemacht haben.

 

Jeffrey Pfeffer ist Professor für Organizational Behavior an der Graduate School of Business der Stanford University, wo er seit dem Jahr 1979 lehrt. In seinem Buch "Leadership BS" (BS steht für "Bullshit"), das im September 2015 im US-Verlag Harper Business erschien, erklärt Pfeffer, warum nette, ehrliche Führungskräfte ziemlich sicher scheitern.

Das Interview führte Bärbel Schwertfeger. Die Autorin ist freie Journalistin in München und betreibt das MBA-Portal.

Dieser Text ist ein Auszug aus Ausgabe 11-12/2016 der "Wirtschaft + Weiterbildung". In dem Heft lesen Sie auch, wie Jeffrey Pfeffer den Führungsstil von Donald Trump erklärt.

Schlagworte zum Thema:  Mitarbeiterführung, Leadership, Management, Coaching