Führungskräfte beschönigen und verdrängen Krisen

Nicht einmal jeder zweite CEO hat eine Strategie für den Umgang mit globalen Krisen - das zeigt eine neue Studie. Sollten weitere Krisen eintreten, will die Mehrheit der Führungskräfte ihren Beschäftigten sogar vorspiegeln, dass alles in Ordnung sei. Auch Angebote zur Förderung der mentalen Gesundheit nehmen sie aus Angst vor der eigenen Reputation selten an.

CEOs in Deutschland versagen im Krisenmanagement – das offenbart der jährlich erscheinende "Workforce Attitudes Toward Mental Health Report" von Headspace, einer Plattform für mentale Gesundheit. Für die Studie wurden hunderte CEOs weltweit zur mentalen Gesundheit am Arbeitsplatz befragt, über 100 davon in Deutschland. Das Ergebnis: Nicht einmal die Hälfte (42 Prozent) der befragten CEOs aus Deutschland kann eine Strategie für den Umgang mit globalen Ereignissen wie Naturkatastrophen oder weiteren Kriegen vorweisen. Damit liegt Deutschland hinter den USA und dem UK, wo immerhin 57 Prozent beziehungsweise 44 Prozent der CEOs angeben, auf mögliche Szenarien vorbereitet zu sein, die sich negativ auf Wirtschaft und Psyche auswirken.

Krisenmodus als Normalzustand

Nach Interpretation der Studienautoren lege das Ergebnis die Vermutung nahe, dass viele der CEOS angesichts des ständigen Wandels nicht mehr dazu kommen, geeignete Strategien zu entwerfen, und lieber auf Sicht fahren. So klagen 81 Prozent der befragten CEOs in Deutschland darüber, dass der Krisenmodus zum Normalzustand geworden ist. Die Studie zeigt auch, dass es deutsche CEOs eher bevorzugen, ihren Mitarbeitenden das Gefühl zu geben, dass alles in Ordnung sei, wenn es kriselt. 52 Prozent empfinden es als ihre Pflicht, motivierende und positive Botschaften zu kommunizieren. Nur 28 Prozent geben an, dass sie lieber Klartext reden - auch wenn es für die Arbeitnehmenden belastend ist, zu wissen, dass ihr Arbeitsplatz möglicherweise gefährdet ist.

Sorgen der Führungskräfte: politische sowie wirtschaftliche Unsicherheit und Klimawandel

Gefragt nach globalen Trends, die sich im Kontext ihrer Arbeit negativ auf die eigene mentale Gesundheit auswirken, nennen 50 Prozent der CEOs politische Unsicherheit. Als weitere Antworten folgen wirtschaftliche Unsicherheit (49 Prozent), die Klimakrise (46 Prozent) und Implikationen durch Covid ( 45 Prozent).

Die Ängste der Arbeitnehmenden sehen dagegen anders aus, wie eine zweite, parallel durchgeführte Studie von Headspace zeigt. Am häufigsten plagt Beschäftigte demnach die Sorge um Ungerechtigkeiten gegenüber marginalisierten Gruppen (36 Prozent). Politische Unsicherheit und Covid (beide 34 Prozent) teilen sich den zweiten Platz in der Liste der Ereignisse, die Mitarbeitende beunruhigen, gefolgt von wirtschaftlicher Unsicherheit (32 Prozent). Insgesamt zeigt sich das Stresslevel hinsichtlich globaler Krisen bei den CEOs deutlich höher als bei den Mitarbeitenden.

Führungskräfte vernachlässigen die eigene mentale Gesundheit

Obwohl viel stärker belastet, nehmen Führungskräfte Angebote zur Förderung der mentalen Gesundheit seltener in Anspruch als ihre Mitarbeitenden. Nur 64 Prozent der befragten CEOs weltweit geben an, regelmäßig sogenannte Mental Health Benefits zu nutzen. Im Vergleich zum Vorjahr (60 Prozent) ist dieser Wert fast unverändert. Die Fürsorge für die Beschäftigten hingegen hat sich gegenüber dem Vorjahr extrem gesteigert: Aktuell geben 73 Prozent der Arbeitnehmenden an, von Mental Health Benefits zu profitieren, gegenüber 37 Prozent in der Vorjahresstudie.

Es ist die Angst vor Stigmatisierung, die CEOs bei der Inanspruchnahme von Hilfen zur mentalen Stärkung bremst. Gerade unter deutschen CEOs, so die Studienergebnisse, scheint diese besonders ausgeprägt. Als Gründe, warum sie nicht von den Mental Health Benefits des eigenen Unternehmens profitieren möchten, geben 43 Prozent der Befragten aus Deutschland an, dass sie sich vor allem um ihre Reputation sorgen (43 Prozent). Im Ländervergleich mit den USA, dem UK und Australien ist die Scham, sich Unterstützung zu suchen, damit am höchsten. 29 Prozent der deutschen CEOs haben außerdem nicht das Gefühl, dass die angebotenen Programme für sie persönlich passen. Fast jeder Dritte gibt an, sich an anderer Stelle Unterstützung zu suchen. Nur 14 Prozent der Befragten sagen aus, gar keine Form der emotionalen Unterstützung zu benötigen.

Psychische Gesundheit: CEOs kennen Bedürfnisse der Mitarbeitenden

Die Offenheit, über mentale Gesundheit zu sprechen, nimmt bei CEOs jedoch zu - auch wenn es noch Nachholbedarf bei der eigenen Nutzung von Mental Health Benefits gibt. Waren es im Vorjahr 79 Prozent der CEOs, die über die Bedeutung von psychischem Wohlbefinden geredet haben, sind es laut der Studie 2023 bereits 87 Prozent. Deutsche CEOs führen das Ranking hier sogar an: 95 Prozent von ihnen sagen, dass sie mentale Gesundheit auf die Agenda setzen, gefolgt von Australien (87 Prozent), dem UK (85 Prozent) und den USA (82 Prozent).

Gefragt nach den dringendsten Bedürfnissen von Mitarbeitenden zur Unterstützung der emotionalen oder psychischen Gesundheit, erkennen deutsche CEOs den großen Bedarf an Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (CEOs 54 Prozent vs. Mitarbeitende 39 Prozent). Auch bei der Wichtigkeit von therapeutischen Angeboten für Mitarbeitende stimmt die Einschätzung der CEOS (37 Prozent) mit jener der Mitarbeitenden (37 Prozent) überein.


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