Frauen in Führung: Ausgeglichen statt ausgebrannt

Deutschland gehen die Führungskräfte aus und ausgerechnet die Frauen winken dankend ab? Das hat seinen Grund. Denn getäfeltes Büro, Dienstwagen und Titel haben längst ihren Reiz verloren. Frauen streben heute nach Motiven und Rahmenbedingungen jenseits üblicher Insignien der Macht, um Erfüllung in diesem Job zu finden.

Beruflicher Aufstieg um jeden Preis? Erst kürzlich gab es wieder den lebenden Beweis dafür, dass Frauen sich aus ihren Führungspositionen verabschieden, wenn sie andere Prioritäten im Leben setzen wollen. Der Rücktritt der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern ist ein gutes Beispiel dafür, um zu zeigen: Auch wenn Frauen heute beruflich scheinbar alles erreichen können, heißt das noch lange nicht, dass sie diese Rolle auch dauerhaft ausüben möchten.

Wollen Frauen nicht führen?

Aber warum führen viele Rücktritte aus hochrangigen Ämtern in der Konsequenz immer gleich zum Generalverdacht: Frauen wollen nicht führen? Zumindest die ehemalige Premierministerin hat sich in dieser Hinsicht nichts vorzuwerfen: Immerhin hatte sie ihr Amt insgesamt sechs Jahre inne und führte ihr Land durch die Corona-Pandemie, Naturkatastrophen und Terroranschläge. Ihre Abschiedsrede mit den Worten "Ich habe nicht mehr genug im Tank", ist daher völlig nachvollziehbar, aufrichtig und ehrlich, vor allem sich selbst gegenüber. Von mangelnder Führungsmotivation kann also in diesem Fall keine Rede sein.

Weibliche Führungsmotive sind heute individueller und vielfältiger

Dennoch befeuern die Abgänge von Top-Managerinnen immer wieder das Narrativ der "Führungs-Unlust" bei Frauen. Zwar hat sicherlich auch die Coronazeit ihren Teil dazu beitragen, dass viele Menschen intensiv darüber nachgedacht haben, wo sie sich künftig karrieretechnisch sehen. Aber daraus vorschnell zu schlussfolgern, dass Frauen nicht führen wollen, wäre fahrlässig und falsch.

Denn wenn man genauer hinschaut, und das Ganze differenzierter betrachtet, stellt man schnell das Gegenteil fest. Viele Frauen haben sehr wohl Lust auf verantwortungsvolle Positionen und wollen gerne Führung übernehmen. Die zentrale These lautet also: Frauen wollen führen, aber anders.

Um weiblichen Talenten heute eine Führungsposition schmackhaft machen zu können, muss man allerdings das WIE verstehen. Denn ähnlich wie bei den Karrierevorstellungen der Millennials verlaufen auch die Karrierewünsche vieler qualifizierter, beruflich ambitionierter Frauen zunehmend nach anderen Mustern, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Sie sind vielfältiger, ungeplanter und vor allem individueller geworden.

Gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben

Dabei ist die Führungsmotivation bei Frauen nicht grundsätzlich schwächer ausgeprägt als bei Männern. Vielmehr taugt ihnen eine Führungsstruktur, bei der es um die 150-prozentige Aufopferung für den Job geht, immer weniger. Sie brauchen eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Was ja innerhalb eines Führungsjobs schon schwer genug ist. Hinzu kommt, dass Frauen viel stärker unter der Angst zu versagen leiden.

Denn Ämter wie klassische Vorstandsposten oder Bereichsverantwortlichkeiten sind Karriereentscheidungen von hoher Tragweite, zumal sie nicht selten mit persönlichen Entbehrungen einhergehen. Häufig hat man sogar den Eindruck, dass die dauerhaft hohe Belastbarkeit in diesen Positionen ohnehin nur mit einem intakten Familienleben realisierbar sein kann. Solche Entscheidungen wälzen insbesondere Frauen sehr lange herum, bis sie sich wirklich darauf einlassen. Und hat sich eine Frau einmal für den Sprung in die disziplinarische Führung mit allen Konsequenzen entschieden, gibt es erst einmal kein natürliches Zurück mehr.

Frauen in Führungspositionen stehen stärker unter Beobachtung als Männer

Eine Studie aus den USA hat in diesem Kontext die Jobzufriedenheit von Männern und Frauen nach einer Beförderung verglichen. Das Ergebnis: Während Männer mit ihrer neu gewonnenen Macht sehr zufrieden waren, sank die Zufriedenheit bei den befragten Frauen mit ihrem Amt. Die Erläuterung der Studienverfasser: Sie wussten, dass das Arbeitsumfeld für sie künftig härter werden würde.

Schließlich stehen diese "Quotenfrauen" unter ständiger Beobachtung: beim Team, bei den männlichen Kollegen und bei den Mitarbeitenden insgesamt. In dieser Position dürfen sie sich keinen Schnitzer erlauben. Kein Wunder also, dass so ein Posten für den weiblichen Nachwuchs immer stärker an Glanz verliert, und sie lieber ihre Energien auf andere Dinge im Leben verwenden. Auch gestandene Top-Frauen ziehen sich lieber zurück, wenn es ihnen an der Spitze zu turbulent zugeht und sie sich dort nicht mehr wohlfühlen.

Festgefahrene Kompetenzraster aufbrechen

Aber wie sehen die weiblichen Führungspräferenzen aus, was müssen Unternehmen konkret bieten, damit sich Frauen auf eine Führungskarriere einlassen?

Unternehmen sollten zunächst sorgfältig diagnostizieren, ob und wo es innerhalb der Organisation eingefahrene Beförderungsmechanismen gibt, die – bewusst oder unbewusst - männliche Kandidaten bevorzugen. Auf welchen Ebenen und bei welchen Stellenprofilen führen festgelegte Kompetenzraster, dazu, dass männliche Kandidaten automatisch den Vorzug bekommen? Wie müssten solche Entwicklungspfade in Zukunft verändert werden, damit sie für den weiblichen Führungsnachwuchs in jeder Lebensphase attraktiv werden?

Dies sind nur die ersten grundsätzliche Fragen, wenn Führungskompetenz nicht mehr an den üblichen Besetzungspraktiken der Vergangenheit festgemacht, sondern ebenfalls wertvolle Führungspotenziale für die Zukunft identifiziert werden sollen.  Denn so viel steht fest: Karrierepfade für weibliche Talente sollten in jedem Fall ihren Anforderungen an Individualität sowie der Vereinbarkeit mit ihrem Privatleben Rechnung tragen.

Selbstzweifel halten Frauen häufig ab

Laut einer qualitativen Befragung unter 50 Frauen durch die Hochschule Furtwangen und Gehrke & Vetterkind Consultants wollen sie vor allem langsam in eine Führungsrolle hineinwachsen, anstatt mit der Brechstange auf den Thron gehievt zu werden. Dabei wünschen sich viele die Begleitung durch einen persönlichen Mentor oder eine Mentorin. Diese Personen haben die Rolle der Vertrauensperson inne, stehen ihren Mentees im täglichen Doing zur Seite, und bestärken sie immer wieder darin, dem Schritt in die Führungsposition fachlich sowie auch mental gewachsen zu sein. So ein Sparringspartner fungiert als psychologische Stütze, da er aktiv mit Unsicherheit und Selbstzweifel ("Impostor Syndrom") umgeht. Eigenschaften, die vor allem junge Frauen meistens davon abhalten, sich überhaupt für eine Führungsrolle zu interessieren.

Keine Machtspielchen und Ellbogen-Mentalität

Ohnehin ist es weiblichen – wie auch den männlichen - Talenten wichtig, in ihren Leistungen wertgeschätzt zu werden. Sie möchten in ihrer Expertise gefragt sein, und nicht einfach übergangen werden. Denn nichts ist schlimmer, als dass sich Mitarbeitende immer als erstes an den Mann im Team wenden, und zwar noch bevor sie die Chefin fragen. Sie möchte sich innerhalb einer Führungsrolle in ihren persönlichen Eigenschaften und Stärken zeigen dürfen, und keine übliche "Ellenbogen-Haltung" an den Tag legen, die ihr gar nicht wirklich entspricht.

Denn laut Aussagen der Befragten möchten sich die meisten Frauen in einer Führungsposition als "Befähigerin" verstanden wissen, die auf Kollaboration setzt und ohne Vorbehalte die Verantwortung an ihr Team abgeben kann. Und weniger als "Herrscherin", die auf politische Spielchen und Tricks setzt und mit harter Hand durchregiert. Auf Zerreißproben zwischen Team und Management können sie dankend verzichten, vielmehr schätzen sie Handlungsspielräume, eine faire Unternehmenskultur, in der respektvoll miteinander umgegangen wird sowie eine gewisse Fehlertoleranz.

Führung entlang individueller Lebensentwürfe

Eine der wichtigsten Bedingungen für führungswillige Frauen ist allerdings, dass Unternehmen nicht nur den linearen, hierarchischen Aufstieg für sie im Angebot haben. Schließlich bedeutet Diversität doch vor allem, das Möglichmachen individueller Lebensentwürfe. Und warum sollte das nicht auch im Führungskontext funktionieren? Unglücklicherweise vergeben genau hier noch viele Unternehmen wertvolle Chancen. Denn sie stellen flexible Arbeitsmodelle wie zum Beispiel Top-Sharing im Kontext eines Führungsjobs von Vornherein in Frage. Im gleichen Atemzug weisen interessanterweise aber viele von ihnen darauf hin, wie wichtig ihnen ausgeglichene Mitarbeitende sind, die sich in ihrer Arbeitssituation rundum wohlfühlen.

Fazit: Wenn es Unternehmen nicht schnellstens gelingt, weiblichen Talenten einen neuen Rahmen für individuelle Karriereentwicklungen und Führungsperspektiven an die Hand zu geben, bleiben nicht nur wertvolle Potenziale ungenutzt. Auch die geschlechtergerechte Verteilung der Spitzenjobs wird von diesem Hintergrund keinen Schritt weiterkommen.


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Schlagworte zum Thema:  Frauenquote, Diversity, Leadership