Diversity: Vielfalt als Business Case

Die neue Normalität zwingt Unternehmen, mit begrenzten Mitteln zu jonglieren und ihre strategischen Prioritäten neu zu justieren. Diversity hat im Kontext harter Businessziele verschwindend geringe Bedeutung.

Mit dem Thema Diversity verhält es sich oft wie mit den guten Vorsätzen für mehr Sport am Jahresanfang: erst sind alle euphorisiert, dann tritt die Ernüchterung ein und am Ende wird es eine zähe Angelegenheit. In Sachen Investition in eine vielfältige Arbeitskultur scheinen Führungskräfte gerade die ernüchternde Phase zu durchlaufen. Anders lassen sich die Ergebnisse des aktuellen HR-Reports von Hays in Zusammenarbeit mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) wohl kaum erklären.

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Demnach bewerten 44 Prozent von knapp 1.000 befragten Führungskräften klassische Themen wie Umsatzsteigerung und Stabilisierung des Kerngeschäfts (38 Prozent) höher, als den Kulturveränderer Diversity. Gerade einmal 14 Prozent bemessen dem Ziel, in die Vielfalt zu investieren, strategische Bedeutung bei.

Diversity scheint demnach in den Führungsetagen immer noch den Status des "Schönwetter-Themas" zu haben, das man bestenfalls in wirtschaftlich stabilen Zeiten auf die Agenda setzt. Oder, wie es kürzlich die Verfasser der Studie "Inclusion & Diversity" von der Beratung Odger Berndtson beschrieben haben: "Diversity wird eher als Selbstzweck, denn als Notwendigkeit für den Unternehmenserfolg gesehen". Dabei wissen viele Entscheider längst, wie zentral die Rolle diverser Teams und vielfältiger Perspektiven bis in die Top-Etagen ist. Zumal die wirtschaftlichen Herausforderungen immer komplexer und vielschichtiger werden.

Diversity als Business Case

Das prophezeite bereits Management-Vordenker Peter Drucker Mitte des 20.Jahrhunderts. Seine bekannte Erkenntnis "Culture eats strategy for breakfast" scheint angesichts der geringen strategischen Wertigkeit von Diversity heute, etliche Jahre später, relevanter denn je. Man könnte sagen: "Diversity eats strategy for breakfast". Denn nicht wenige Organisationen managen ihre Unternehmen vorwiegend als wirtschaftliche oder technische Einheiten. Der mentale Zustand einer Organisation, der meist erst durch Diversity-Initiativen oder auch Frauenkarriere-Aktivitäten sichtbar wird, ist entlang dieser Kriterien nur schwer greifbar. Dennoch: eine funktionierende Arbeitskultur ist unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Unternehmen schneller und innovativer werden. Daher sind allzu konservative Maßstäbe der Vergangenheit kontraproduktiv.

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"Vielfalt wird zwar mittlerweile als strategisches Thema anerkannt. Dennoch wird oft ein falscher Fokus gesetzt. Es geht häufig allein um den Human Case, nicht um den Business Case", so Michaela Jaap, Head of Diversity & Inclusion bei Hays. Aus Erfahrung weiß sie, wie wichtig es ist, das Top-Management immer wieder für Diversity als Business-Case zu sensibilisieren, und mit der Annahme aufzuräumen, es handle sich um ein technokratisches Projekt, das im Problem-Lösungs-Schema abgearbeitet werden kann. Diversity bedinge einen Kulturwandel, der nicht selten auf Widerstände in der Organisation stoße, langfristig jedoch massiv auf ihre Zukunftsfähigkeit einzahle.

Diversity: Kaum Ziele für Strategieprozesse

Auch in den Reihen der Personalvorstände ist man überzeugt, dass es mittlerweile zwar ein verbessertes Bewusstsein für die Vorteile von vielfältig gestalteten Arbeitskulturen gibt. Dennoch gäbe es bei der Anerkennung von Diversity als echten Wirtschaftsfaktor noch viel Luft nach oben. "Unternehmen tun sich schwer, sich in Sachen Diversity klare Ziele zu geben, die im Rahmen von Strategieprozessen überprüft werden können", weiß Marion Röwekamp, Vorständin Personal & Recht beim Energieversorger EWE AG. Ihrer Ansicht nach braucht es hier vor allem Vorbilder und ausreichend Zeit, damit Diversity Stück für Stück weiter an Relevanz auf der Business-Agenda gewinnt.

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Aber genau die Zeit ist es, die Unternehmen laut HR-Report eben nicht haben, um schnelle Veränderungen in der Arbeitskultur bis in die obersten Führungsetagen zu erwirken. Die befragten Führungskräfte machen die permanente Zeitknappheit im Tagesgeschäft an der Zunahme ihrer Projekte fest (39 Prozent), wobei gleichzeitig 36 Prozent von ihnen anführen, zu wenig Personal für die anstehenden Aufgaben zu haben. Anders ausgedrückt: das Aufgabenvolumen steigt bei gleichbleibender Anzahl der Beschäftigten. Um das ungesunde Verhältnis zwischen Zeit-, und Arbeitsvolumen in den Griff zu bekommen, will rund die Hälfte der Entscheider weiter an der Effizienzschraube drehen und die Prozesse optimieren. Gut ein Drittel gedenkt das Dilemma über die Einstellung neuer Mitarbeitender zu lösen.

Produktivitätssteigerung und Arbeitsentlastung schließen sich nicht aus

Interessanterweise versucht nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Befragten (14 Prozent), die Zeitknappheit mit Maßnahmen zur Entlastung der Mitarbeitenden zu beantworten. Diese Führungskräfte sprechen sich klar für die Erweiterung des Arbeitsvolumens durch flexible Arbeitsmodelle oder Konzepte zur Work-Life-Integration aus. Sie wissen, dass auch über diesen Weg Produktivitätssteigerung möglich ist. Viel zu Wenige, die ihren Blick nach innen richten und auf die Engpass-Situationen und die damit einhergehenden Arbeitsbelastungen mit entsprechenden Maßnahmen reagieren.

Aber warum ist das so? "Es ist momentan noch Standard und damit leichter, für neue Projekte einfach neue Leute zu rekrutieren. Viel unbequemer ist es, neue Ansätze wie das Anpassen von Stellen an den Workload und die zeitliche Verfügbarkeit der Mitarbeitenden auszuprobieren. Das ist nicht nur günstiger und nachhaltiger, sondern verbessert die Arbeitskultur und die Arbeitgeberattraktivität", sagt Nina Gillmann, Geschäftsführerin von Twise. Die strategische Bedeutung eines Investments in die Entwicklung der eigenen Belegschaft sehen gerade einmal 29 Prozent aller Befragten. Für sie steht klar die Bindung ihrer Mitarbeitenden im Fokus. Sie haben ihre wirtschaftlichen Herausforderungen im Blick, können aber auch entsprechende personalstrategische Ableitungen für einen kulturellen Shift treffen.  

Potenzialentfaltung muss Managementaufgabe werden

Damit kommt vor allem den Führungskräften eine wichtige Rolle zu. Sie müssen Verantwortung dafür übernehmen, den richtigen Rahmen zu schaffen. Für das HR- und Diversity-Management bedeutet das, weniger Konzentration auf die fachlichen Aufgaben, mehr Fokus auf die Entwicklung aller Mitarbeitender. Potenzialentfaltung wird zur Managementaufgabe, Vorgesetzte werden zu Förderern ihrer Mitarbeitenden.

Zudem ist bekannt, dass eine Stärken- und Talentorientierung im Personaleinsatz entlastend wirkt. Beschäftige, die entlang dieser Fähigkeiten eingesetzt und qualifiziert werden, empfinden jede Art von Druck oder Veränderung weniger risikoreich. "Mitarbeitende, die selbst zu einem hohen Grad bestimmen können, wann und wo sie arbeiten, sind nachweislich zufriedener und oft auch bereit, die 'Extra Meile' mitzugehen", weiß Marion Röwekamp aus eigener Erfahrung. Wer allerdings weiterhin reflexhaft auf Neueinstellungen setzt und die Entwicklung interner Talente als lästige Pflicht sieht oder sie ganz ignoriert, setzt nichts in Bewegung.

Dieser Ansicht ist auch Nina Gillmann und nennt drei wesentliche Hebel, um die Vielfalt in der Gesellschaft auch im Unternehmen widerzuspiegeln: "Nur wenn Unternehmen es schaffen, Transparenz, Unvoreingenommenheit und Vereinbarkeit in allen Prozessen der Personalentwicklung umzusetzen, ist eine chancengleiche Förderung der internen Talente möglich", so die Ökonomin.

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Entscheider, die sich hingegen allein um die wirtschaftliche Agenda kümmern und zusehen, wie ihre Mitarbeitenden sich völlig überarbeitet von Projekt zu Projekt schleppen, bekommen langfristig die Quittung. "Psychische Erkrankungen zählen inzwischen zu den häufigsten Ursachen für Fehltage am Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund sollten HR- und Diversity-Verantwortliche unbedingt flexible Arbeitsmodelle einführen, die jeden einzelnen entlasten und auf Vereinbarkeit einzahlen", so Michaela Jaap.

Diversity muss Teil der Unternehmenskultur werden

Denn bei aller strategischen Geringschätzigkeit im Thema Diversity darf man nicht vergessen, dass sich Fachkräfte in Zukunft verstärkt ihren neuen Arbeitgeber danach aussuchen, welche Arbeitskonzepte dieser ihnen anbietet, um das individuelle Zeit-Stress-Verhältnis in gesunder Balance zu halten. Sie werden sich nur auf das neue Arbeitsumfeld einlassen, wenn der soziale und kulturelle Rückhalt stimmt. Ist das nicht der Fall, werden Diversity-Strategien tatsächlich schon zum Frühstück verspeist.


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