CHRO of the Year 2023 Interview mit Claudia Viehweger

Mit 40 Prozent der Stimmen gewann Claudia Viehweger von der Scout 24 Gruppe die Publikumswahl "CHRO of the Year 2023". Die Chief People und Sustainability Officer sprach in einem Live-Interview anlässlich der Preisverleihung mit dem Personalmagazin über ihre Personalstrategie und die Bedeutung der Auszeichnung.

Personalmagazin: Was bedeutet es für Sie, von der Leserschaft des Personalmagazins zur "CHRO of the Year 2023" gewählt worden zu sein?

Claudia Viehweger: Die Wahl hat mich vollkommen überrascht. Nie hätte ich gedacht, als Personalchefin eines mittelgroßen Unternehmens im Voting eine Chance zu haben. Ich freue mich riesig über die Auszeichnung. Sie steht nicht nur für meine Arbeit, sondern auch für die meines Teams. Ohne sie würde ich heute nicht hier sitzen. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Personalmagazin: Die Vorjahressiegern Frauke von Polier hat in ihrer Laudation davon gesprochen, dass die HR-Community sich "mehr Claudia" wünsche. Welche Eigenschaft würden dem Personalwesen guttun?

Viehweger: Ganz ehrlich: mehr Humor. Mehr Humor in der Debatte. Ein bisschen Entspanntheit würde HR guttun. Das heißt nicht weniger Ambition. Das heißt auch nicht weniger Leistung oder Impact.

Ein bisschen Entspanntheit würde HR guttun. Das heißt nicht weniger Ambition. Das heißt auch nicht weniger Leistung oder Impact." - Claudia Viehweger, Scout 24 Gruppe


Personalmagazin: Setzen Sie darauf auch in Ihrem Unternehmen?

Viehweger: Wir sind ein vibrierendes Digitalunternehmen mit inzwischen rund 1.200 Mitarbeitenden, das Spaß an der Leistung hat. Das merkt man auch, wenn man hier durch die Gänge geht. Wir sind eine Talent Company. Die Leute kommen nicht zu uns, um hier verrentet zu werden, sondern um zu lernen und sich weiterzuentwickeln. In so einem Umfeld sind drei Dinge entscheidend, ich nenne sie die drei Ps: Purpose, darauf spielen unsere Nachhaltigkeitsbestrebungen ein, Package, dazu zählt ein attraktives Gesamtpaket als Arbeitergeber, und Progress, sowohl für das Unternehmen als auch die Mitarbeitenden. Wachstum ist ein zentraler Treiber bei Scout 24.

Synergien zwischen Personal- und Nachhaltigkeits-Ressort

Personalmagazin: Gegenwärtig prägen die drei Ds die Personalarbeit vieler Unternehmen. Sie lauten: Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie. Wo liegt der Fokus Ihrer Arbeit?

Viehweger: Es verwundert wahrscheinlich kaum, wenn ich sage: Die Digitalisierung in der Personalarbeit ist für uns als Digitalunternehmen durch. Wir sind da auf einem sehr hohen Niveau. Die Demografie sehe ich als gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Für uns als relativ junges Unternehmen ist sie kein Problem. Wir hatten in diesem Jahr 34.000 Bewerbungen, fast doppelt so viele im Vergleich zum Vorjahr. Das zeigt, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind. Also bleibt die Dekarbonisierung. Wir haben eine sehr ambitionierte Klimastrategie formuliert und erst kürzlich unsere neue Materialitätsanalyse abgeschlossen, um unseren Geschäftsbetrieb zu analysieren und darauf basierend ein Reporting-System aufzubauen.

Personalmagazin: Sie bekleiden als Personal- und Nachhaltigkeitschefin eine Doppelrolle im Unternehmen. Welche Synergien gibt es zwischen diesen beiden Ressorts?

Viehweger: Sehr große, würde ich behaupten. Die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (Corporate Sustainability Reporting Directive) stärkt die Dimension People in den nicht finanziellen Kennzahlen. Wir können uns keine bessere Aufwertung der People-Themen wünschen. Als Digital Company sind wir ein People-Business, die Menschen machen den Erfolg dieses Unternehmens aus. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist unser Dach, die People-Strategie eine tragende Säule.

Als Digital Company sind wir ein People-Business, die Menschen machen den Erfolg dieses Unternehmens aus. Die Nachhaltigkeitsstrategie ist unser Dach, die People-Strategie eine tragende Säule." - Claudia Viehweger, Scout 24 Gruppe


Personalmagazin: Der Energieverbrauch der Tech-Branche ist gewaltig und steigt jährlich. Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, kann nur ein Teil der Lösung sein. Gelingt es Ihnen, den Energieverbrauch Ihres Unternehmens zu senken?

Viehweger: Ja, das packen wir an und schaffen es auch. Wir haben unsere ganzen Daten in eine Cloud migriert. Wir haben keine On-Premise-Server mehr, die viel Energie verbrauchen. Wir haben unsere Reiserichtlinien angepasst, fliegen kaum noch. In der Regel fahren wir Bahn und unsere Dienstwagenflotte ist rein elektrisch. Vergangene Woche haben wir unseren aktuellen Corporate Carbon Footprint erhoben und lagen bei 73 Prozent unter dem Basisjahr. Doch das reicht uns noch nicht. Kürzlich haben wir einen Sustainability Hack Week veranstaltet und mehr als 60 Terabyte Daten aufgeräumt. Wir haben allerdings noch viele Scope-drei-Emissionen. Die Nutzung unserer Plattform frisst viel Energie. Auch bei der Speicherung der Daten müssen wir noch effizienter werden.

Weiterqualifikation über die eigene Abteilung hinaus

Personalmagazin: Sie sind Personalchefin, aber auch Führungskraft. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Viehweger: Ich kann Ihnen sagen, was andere über mich sagen: dass ich eine eher seltene Kombination aus Toughness und Empathie besäße. Das passt zu meinem Führungsstil, der sehr klar und partizipativ ist. Ich gebe viel Freiraum, verlange aber auch, dass Menschen in Verantwortung gehen. Ich kann gut mit konfrontativen Themen umgehen. Das liegt sicherlich auch an meiner Vergangenheit als Anwältin und Restrukturiererin. Da musste ich auch harte Maßnahmen managen. Gleichzeitig bin ich aber auch eine Menschenfreundin. Mein Professor an der FU Berlin, bei dem ich promoviert habe, nannte mich einmal eine Menschenfängerin. Ich glaube, er hat das positiv gemeint.

Personalmagazin: Hierarchien werden in Ihrem Unternehmen also kleingeschrieben.

Viehweger: Wir haben natürlich Hierarchien und sind vielleicht auch hierarchischer als manches junge Tech-Unternehmen. Aber wir arbeiten cross-funktional, auch sehr viel in agilen Teams, was wiederrum bedeutet, dass Hierarchien bei uns eine untergeordnete Rolle spielen. Was allerdings schon eine Rolle spielt, ist Führung. Das bedingt sich aus meiner Sicht gegenseitig: Je mehr Freiraum die Leute haben, desto klarer muss die Führung sein. Wir messen die Ergebnisse am Ende sehr genau anhand von KPIs und sind sehr datengetrieben.

Je mehr Freiraum die Leute haben, desto klarer muss die Führung sein." - Claudia Viehweger, Scout 24 Gruppe


Personalmagazin: Setzen Sie auf Shared Leadership?

Viehweger: Ja, bei den Teams ganz klar. Wir sind sehr agil aufgestellt und natürlich übernehmen Teams auch Führungsaufgaben. In der Ausprägung, dass zwei Personen sich eine Führungsrolle teilen, allerdings weniger. Das gibt es bei uns nur punktuell. Was es häufiger gibt, ist Führung in Teilzeit – sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Ich bin überzeugt, dass nicht jede Führungsrolle zwingend mit 100 Prozent ausgefüllt werden muss.

Personalmagazin: Scout 24 ist ein junges Unternehmen mit eher flachen Hierarchien. Wie wirkt sich das auf die Karrieremöglichkeiten für Mitarbeitende aus?

Viehweger: Natürlich gibt es für uns den klassischen Karriereweg in die Führung oder in eine Expertenrolle, wie bei jedem Unternehmen. Aber diese Positionen sind begrenzt. Daneben entwickeln wir Mitarbeitende lateral weiter. Außerdem halte ich viel von unkonventionellen Moves. Ich habe beispielsweise eine ehemalige Marketing-Mitarbeitende bei mir in HR. Oder ein Geheimtipp: Ich habe einen fantastischen Recruiter, den ich aus dem Sales-Bereich geholt habe. Und umgekehrt hatte ich einen Recruiter, der sehr prozessverliebt war und inzwischen das Shared Servicecenter leitet. Die Möglichkeit, sich kontinuierlich zu verändern und im Daily Business weiter zu qualifizieren, ist das höchste Gut, das wir als Unternehmen haben.

Personalmagazin: Als Tech-Unternehmen stehen Sie unter weniger starkem Transformationsdruck als traditionellere Branchen. Haben Sie Upskilling-Programme überhaupt nötig?

Viehweger: Das kommt sehr darauf an, wo wir den Vergleich ansetzen. Verglichen mit der Automobilbranche vermutlich nicht. Das Durchschnittsalter unserer Beschäftigten liegt bei unter 36 Jahren, wir ziehen viele junge Talente an. Gleichzeitig entwickelt sich unser Geschäftsmodell weiter. Die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt waren auch für uns eine Disruption. Also müssen wir sehen, wo wir unsere Strategie anpassen und mit welchen Produkten wir am Markt am erfolgreichsten sind. Die Entwicklung der Mitarbeitenden läuft aber, wie bereits gesagt, vorranging aus dem Tagesgeschäft heraus und ist sehr individuell.

Empathie und Veränderungsbereitschaft als Skills der Zukunft

Personalmagazin: "Future Skills" ist derzeit ein geflügeltes Wort unter Personalerinnen und Personalern. Was bedeutet das konkret?

Viehweger: Klingt doch super, oder? (lacht). Müsste ich einen nennen, wäre das Empathie. Die wird in Zukunft immer wichtiger, wenn die Verbindung von Mensch und Maschine noch enger wird. Davon abgesehen, betrachte ich das Thema eher auf der Ebene des Mindsets. Die Notwendigkeit zur organisationalen Anpassung wächst in einem volatilen Marktumfeld stetig. Diese Erkenntnis ist im Prinzip ein alter Hut, hat aber praktische Auswirkungen. Wir brauchen eine Business-Resilienz, die wiederum eine hohe persönliche Anpassungsfähigkeit voraussetzt. Also müssen wir die Veränderungsbereitschaft unserer Mitarbeitenden erhöhen.

Personalmagazin: Schaut man auf die Gesellschaft, scheint die Lust auf Veränderung nicht besonders groß. Wie überzeugen Sie Ihre Beschäftigten?

Viehweger: Ich halte es für ein gutes Konzept, eigene Coaches zu beschäftigen und tue das auch. Mit ihnen führen wir sogenannte Adaptability-Tests durch - gerade für Positionen, die für unseren Unternehmenserfolg strategisch besonders wichtig sind. Darin sehen wir, wie hoch die Veränderungsbereitschaft der Personen ist und können bei Bedarf individuell coachen. Der Ansatz ist immer entwicklungsorientiert und nie defizitorientiert.

Personalmagazin: Ist das auch der Kern Ihrer Lernstrategie, die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeitenden zu erhöhen oder gibt es noch weitere Bausteine?

Viehweger: Die gibt es! Ein wesentlicher lautet Feedback. Für die persönliche Weiterentwicklung ist Feedback unerlässlich. Deshalb sind Feedbackgespräche im Grunde Wachstumsgespräche. Sie sind immer positiv orientiert. Was ich beispielsweise gerne mache, ist ein standardisierter Upward-Feedbackprozess. Das machen weniger als zehn Prozent der Unternehmen in Deutschland. Jeder Manager, der drei teilnehmende Mitarbeitende hat, erhält einen Report. Darin sind alle wesentlichen Aspekte enthalten: Unternehmenswerte, Leadership-Werte, Veränderungsbereitschaft, Ansprechbarkeit, Anpassungsfähigkeit. Damit sieht jede Führungskraft, wo sie oder er steht.

Für die persönliche Weiterentwicklung ist Feedback unerlässlich. Deshalb sind Feedbackgespräche im Grunde Wachstumsgespräche. Sie sind immer positiv orientiert." - Claudia Viehweger, Scout 24 Gruppe


Personalmagazin: Nehmen Sie dieses Feedback aus selbst in Anspruch?

Viehweger: Ja, ich habe wie jeder Manager in diesem Jahr auch am Prozess teilgenommen. Darüber hinaus ermitteln wir einen Manager Effectiveness Score. So können wir uns mit Führungskräften aus der Tech-Branche vergleichen und ich kann genau sehen, wo Verbesserungspotenzial besteht. 

Personalmagazin: Sehen Sie Verbesserungspotenzial auch bei sich?

Viehweger: Natürlich. Es wäre auch wirklich komisch, wenn bei mir da alles in Ordnung wäre. Das ist bei niemandem. Auch ich kann und möchte mich weiterentwickeln.


Es handelt sich hier um eine gekürzte Version des Gesprächs. Hier gelangen Sie zur Aufzeichnung des kompletten Interviews auf Linkedin.


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