Rz. 65

Umstritten sind die Auswirkungen von Betriebsübergängen auf Gesamtbetriebsvereinbarungen. Gesamtbetriebsvereinbarungen regeln keine Angelegenheit "des Unternehmens", Bezugsobjekt und Regelungssubstrat sind vielmehr die einzelnen Betriebe. Eine Gesamtbetriebsvereinbarung gilt daher nicht "im Unternehmen", sondern in den Betrieben des Unternehmens (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[1]). Der Fortbestand oder die fortbestehende Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist folglich keine notwendige Voraussetzung für die normative Fortgeltung der von ihm mitgeschaffenen Gesamtbetriebsvereinbarungen. Entscheidend für die normative Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang ist die Wahrung der jeweiligen Identität der übernommenen Betriebe. Im Einzelnen gilt für die Fortgeltung von bislang beim Veräußerer geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen im Fall des Betriebsübergangs Folgendes:

 

Rz. 66

Geht ein einzelner Betrieb des abgebenden Unternehmens unter Wahrung der Betriebsidentität auf ein anderes aufnehmendes Unternehmen über, das bislang keinen Betrieb hatte, bleiben die Gesamtbetriebsvereinbarungen als Einzelbetriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung bestehen (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[2]). Gleiches gilt, wenn nur Betriebsteile übergehen, die aber als selbstständige Betriebe fortgeführt werden (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[3]). Im Einzelfall mag eine Fortgeltung allerdings daran scheitern, dass die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetzt und nach dem Betriebsübergang gegenstandslos ist (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[4]). Dies kann z. B. der Fall sein, wenn das von den Betriebsparteien mit der Gesamtbetriebsvereinbarung verbundene Ziel nur in den Betrieben des abgebenden Unternehmens verwirklicht werden konnte[5].

 

Rz. 67

Wenn alle oder mehrere Betriebe des abgebenden Unternehmens auf ein anderes Unternehmen übergehen, das bis dahin keinen Betrieb führte, bleiben die in ihnen geltenden Gesamtbetriebsvereinbarungen als solche bestehen. Voraussetzung ist allerdings, dass eine gesamtbetriebsratsfähige Anzahl der Betriebe ihre Identität bewahrt hat. Gleiches gilt, wenn nur Betriebsteile übergehen, die aber als selbstständige Betriebe fortgeführt werden (BAG, Beschluss v. 18.9.2002, 1 ABR 54/01[6]; LAG Hamburg, Urteil v. 10.8.2006, 8 Sa 9/06[7]). Kommen Betriebe in ein Unternehmen mit bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen hinzu, fragt es sich, ob die bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen auch für die neu hinzukommenden Betriebe gelten. Zur Klärung dieser Frage ist die jeweilige Gesamtbetriebsvereinbarung – unter Anwendung der grammatikalischen, historischen, teleologischen und systematischen Auslegungsmethoden[8] – auszulegen. Ist die Gesamtbetriebsvereinbarung nur für einzelne Betriebe abgeschlossen worden, gilt sie nicht für die neu hinzukommenden Betriebe.[9] Auch aus dem Gegenstand der Gesamtbetriebsvereinbarung kann sich bei historischer und teleologischer Auslegung ergeben, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung nicht für alle neu hinzukommenden Betriebe gelten soll. So kann nicht davon ausgegangen werden, dass Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat bei Abschluss von Gesamtbetriebsvereinbarungen über Entgeltbestandteile (z. B. Sonderleistungen) oder betriebliche Altersversorgung auch alle neu hinzukommenden Betriebe erfassen und erhebliche, bei Abschluss der Vereinbarung noch überhaupt nicht absehbare Verbindlichkeiten begründen wollten.[10]

 

Rz. 68

Der Inhalt einer Gesamtbetriebsvereinbarung gilt als Einzelbetriebsvereinbarung auch dann weiter, wenn ein Betrieb unter Wahrung seiner Identität von einem Unternehmen mit mehreren Betrieben übernommen wird und die in der Gesamtbetriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten beim aufnehmenden Unternehmen nicht normativ ausgestaltet sind (BAG, Urteil v. 5.5.2015, 1 AZR 763/13[11]). Dies gilt auch für Gesamtbetriebsvereinbarungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Existiert in den bisherigen Betrieben des Erwerbers bereits eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum selben Regelungsbereich, so ist streitig, ob die Gesamtbetriebsvereinbarungen nebeneinander gelten und nur Wirkung in den Betrieben entfalten, in denen sie bislang galten.[12] Nach anderer Auffassung lösen die im aufnehmenden Unternehmen zum gleichen Regelungsgegenstand bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarungen die in den übertragenen Betrieben existierenden Gesamtbetriebsvereinbarungen ab.[13]

[1] NZA 2003 S. 670, 673; zustimmend Thüsing, DB 2004, S. 2474, 2480; Meyer, ZIP 2004, S. 545.
[2] NZA 2003 S. 670, 674; Bachner, NJW 2003, S. 2861, 2862; ders., AiB 2003, S. 408, 409; Meyer, ZIP 2004, S. 545; a. A. Hohenstatt/Müller-Bonanni, NZA 2003, S. 766, 771 für Gesamtbetriebsvereinbarungen aufgrund originärer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats; kritisch auch Preis/Richter, ZIP 2004, S. 925, 932 f.
[3] NZA 2003 S. 670, 674 f.; Bachner, NJW 2003, S. 2861, 2863; a. A...

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